In der Schweiz nominieren auffallend viele Firmen ihre ehemaligen Konzernchefs für den Verwaltungsrat. Dieser Schritt verspricht Kontinuität, aber er birgt auch Risiken. Manche Topmanager überfordert der Rollenwechsel.
Es gehört zum Schlimmsten, was Konzernchefs widerfahren kann: Vom einen Tag auf den anderen abgesetzt zu werden. Mark Schneider, dem CEO von Nestlé, passierte es im vergangenen August.
Kommen und Gehen auf der Teppichetage
Der heute 59-jährige Manager war zum Zeitpunkt seiner Entlassung aber immerhin siebeneinhalb Jahre im Amt gestanden. Damit brachte er es auf eine längere Verweildauer als die meisten Konzernchefs. In der westlichen Welt ist diese, wie Headhunter berichten, auf unter fünf Jahre gesunken.
Dies sei eine sehr kurze Zeit, sagt ein prominenter Branchenvertreter, der namentlich nicht genant werden möchte. Er fügt hinzu, dass allein in den vergangenen vier Jahren bei 15 der 20 Schweizer Grosskonzerne, die im Swiss-Market-Index vertreten seien, der Chef ausgetauscht worden sei.
Angesichts dieses Kommens und Gehens sind Topmanager gut beraten, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wie es mit ihnen nach dem Ausscheiden als CEO weitergehen könnte. Dass sie abermals bei einer Firma die Geschäftsführung übernehmen, kommt eher selten vor.
In der Schweiz wechseln auffallend viele Konzernchefs nahtlos oder nach einem kurzen Unterbruch von der Geschäftsleitung ins Aufsichtsgremium ihres Arbeitgebers. Dabei streben manche sogar das Präsidium an. Auch Paul Bulcke, der seit 2017 dem Verwaltungsrat von Nestlé vorsteht, hatte zuvor als CEO gewirkt.
Gute Chancen für Wechsel bei solider Leistung
Ein solcher Rollenwechsel war wohl auch für Schneider, Bulckes Nachfolger auf dem Chefposten, dereinst vorgesehen. Allerdings kam dies mit der Absetzung Schneiders als Konzernchef nicht mehr infrage. Chefs, die aus Sicht ihres Arbeitgebers eine ungenügende Leistung erbracht haben, qualifizieren sich nicht für eine Weiterbeschäftigung im Verwaltungsrat.
Anders sieht es bei Managern aus, deren Abschneiden über Jahre als solide eingestuft wurde. Bei Schweizer Industrieunternehmen scheint es in letzter Zeit fast zur Regel geworden zu sein, bewährte Chefs nach ihrem Rücktritt für die Wahl in den Verwaltungsrat vorzuschlagen.
Ein aktuelles Beispiel ist die Ostschweizer Firma VAT, bei der an der kommenden Generalversammlung (GV) der ehemalige CEO Mike Allison für die Aufnahme ins Aufsichtsgremium kandidieren wird. Beim Urner Unternehmen Dätwyler wurde bereits im vergangenen Jahr kurz nach seinem Rücktritt als Konzernchef Dirk Lambrecht in den Verwaltungsrat gewählt. Mit Paul Hälg, der seit 2017 den Vorsitz innehat, ist sogar ein zweiter früherer CEO der Firma im Gremium vertreten.
Doch es sind nicht nur Industriefirmen, die ihren Chefs den Weg ins Aufsichtsgremium ebnen. Bei der Bank Vontobel soll im Mai der ehemalige CEO Zeno Staub an der GV in den Verwaltungsrat gewählt werden. Der heute 55-Jährige war im April 2024 nach zwölfjähriger Tätigkeit von der Konzernspitze zurückgetreten.
Breites Wissen und vielfältige Beziehungen
Beim Versicherer Swiss Life soll mit Patrick Frost an der übernächsten GV, also im Frühjahr 2026, ein Manager für den Verwaltungsrat kandidieren, der bis letztes Jahr der Geschäftsführung vorstand. Viele Marktbeobachter erwarten, dass er auch den langjährigen Präsidenten Rolf Dörig ersetzen wird. Frost selbst hatte sein Amt als CEO während zehn Jahren ausgeübt. Auch Dörig hatte vor seiner Wahl zum Präsidenten bereits der Konzernleitung vorgestanden.
Dafür, dass Konzernchefs ihre Karriere beim selben Unternehmen im Verwaltungsrat fortsetzen, gibt es gute Gründe. Hannes Stettler, der als geschäftsführender Partner bei der Personalfirma Boyden arbeitet, nennt das breite Wissen, den Erfahrungsschatz und vielfältige Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, über die ehemalige Firmenchefs verfügten. «Dadurch versprechen sie, Stabilität und Kontinuität in ein Unternehmen zu bringen.»
Manche haben Probleme beim Loslassen
Allerdings gibt es auch potenzielle Reibungsflächen. Heikel werde es, wenn ehemalige Firmenchefs es nicht schafften, sich von ihrer früheren Rolle zu distanzieren und beispielsweise versuchten, sich als Verwaltungsrat weiterhin ins operative Geschäft eines Unternehmens einzumischen, sagt Stettler.
Wie mehrere angefragte Headhunter bestätigen, kommt dies gar nicht so selten vor. Besonders problematisch wird es, wenn ein früherer CEO nicht nur als einfaches Mitglied, sondern als Präsident im Aufsichtsgremium mitwirkt. Dann bestehe unweigerlich die Gefahr, dass der neue Konzernchef seiner Rolle nicht gerecht werden könne und zu einer Art Chief Operating Officer degradiert werde. Als abschreckende Beispiele dieser Art gelten der Bauzulieferer Forbo und das Chemieunternehmen Clariant, in denen es in den vergangenen Jahren wegen allzu eigenmächtiger Präsidenten prompt zu Führungskrisen kam.
Als die Industriefirma VAT vergangene Woche die Kandidatur ihres früheren Chefs für die Wahl in den Verwaltungsrat ankündigte, begründete sie dies damit, dass Allison das Unternehmen «in seine aktuelle, starke Position» gebracht habe. «Mit Mike Allison gewinnen wir einen der wichtigsten Architekten des jüngsten Erfolgs der VAT», liess sich Verwaltungsratspräsident Martin Komischke im Mediencommuniqué zitieren. Da Komischke den wachstumsstarken Zulieferer der Halbleiterindustrie bereits seit 2017 präsidiert, halten es Marktbeobachter für gut möglich, dass der 62-jährige Allison ihn in den nächsten Jahren ablösen wird.
Sinnvolle Abkühlungsperiode
Allison, der aus Schottland stammt, ist ein umgänglicher Typ. Der Wechsel von der eher autoritären Funktion des Konzernchefs zu jener des Präsidenten, der eher ausgleichend wirken muss, sollte ihm nicht allzu viel Mühe bereiten. Erleichtern dürfte ihm sein Rollenwechsel auch die gut einjährige Zeitdauer zwischen seinem Ausscheiden als CEO und der angestrebten Wahl in den Verwaltungsrat.
Die Schweiz kennt anders als beispielsweise Deutschland keine gesetzlich vorgeschriebene Abkühlungsperiode für Manager, die nach ihrem Rücktritt Einsitz im Aufsichtsgremium nehmen wollen. Allerdings setze sich eine solche auf freiwilliger Basis zunehmend durch, sagt der Experte für die Personalrekrutierung Stettler. Dies sei aus Sicht der guten Unternehmensführung positiv zu werten, denn so erhalte auch ein ehemaliger Firmenchef die Chance, Abstand zu seiner früheren Tätigkeit zu gewinnen. «Wenn er die Dinge ausschliesslich so betrachtet, wie er dies bereits als CEO getan hat, ist dies eine zu einseitige Perspektive.»
Stimmrechtsberater schauen genau hin
Auch Staub wird bis zu seiner geplanten Wahl in den Verwaltungsrat ein Jahr ausserhalb des Unternehmens verbracht haben. Im Fall von Frost sind es sogar zwei Jahre. Doch werden beide weiterhin nicht als unabhängige Kandidaten gelten, deren ausreichende Vertretung Stimmrechtsvertreter in Aufsichtsgremien als zentral erachten.
Glass Lewis und ISS bilden international die beiden einflussreichsten Stimmrechtsvertreter. Ihre Empfehlungen im Vorfeld von Generalversammlungen werden auch in der Schweiz von Investoren stark beachtet. Beide stufen, wie sie auf Anfrage erklären, eine Kandidatur erst dann als unabhängig ein, wenn zwischen der erstmaligen Wahl eines ehemaligen Führungsmitglieds und seinem Ausscheiden aus der Konzernleitung mindestens fünf Jahre verstrichen sind.
Obschon seine Absetzung als Nestlé-Chef eine bittere Niederlage ist, hat Schneider rechtzeitig vorgesorgt. Der Deutsche liess sich 2023 bereits in den Verwaltungsrat des Pharmakonzerns Roche wählen. Vor einem Monat wurde er zudem für den Aufsichtsrat von Siemens nominiert. Dort soll er nach zweijährigem Mitwirken 2027 auch den Vorsitz übernehmen. Headhunter empfehlen sämtlichen Konzernchefs, schon während ihrer Amtszeit Erfahrungen im Verwaltungsrat eines anderen Unternehmens zu sammeln: Um nicht mit leeren Händen da zu stehen, wenn der Chefposten plötzlich weg ist.