Die Energieversorgung der Schweiz ist dank den Stauseen in den Alpen erstaunlich gut gegen externe Schocks gewappnet. Das zeigt ein Stresstest der ETH Zürich.
Im Winter vor zwei Jahren schrammte die Schweiz nur knapp an einem Energieengpass vorbei. Nach dem Stopp russischer Gaslieferungen und dem Ausfall eines grossen Teils der Kernkraftwerke in Frankreich schien der Worst Case plötzlich nahe. Stromabschaltungen seien möglich, wenn die Importe ausfielen, warnten die Behörden damals und empfahlen der Bevölkerung, sich für den Winter mit Kerzen und Brennholz einzudecken.
Wie gut ist die Schweiz gerüstet, wenn ein solches Szenario tatsächlich eintritt und plötzlich kein Stromhandel mit den Nachbarländern möglich ist? Und wie müsste das Stromsystem aufgestellt sein, um solche Extremsituationen zu bewältigen? Um diese Frage zu beantworten, haben Forschende der ETH Zürich und der ZHAW Winterthur einen Stresstest durchgeführt. In der Studie simulierten sie verschiedene Schockszenarien und berechneten, wie das Stromsystem im Jahr 2050 aussehen müsste, um drastische Einschränkungen des Stromimports möglichst günstig und sicher kompensieren zu können. Dabei testeten sie etwa, ob es besser sei, mit Gas oder Öl betriebene Reservekraftwerke zu bauen, zusätzliche Photovoltaik- und Windkraftanlagen oder neue Kernkraftwerke.
Überraschend widerstandsfähig
Das Positive vorweg: Das Schweizer System zeigt sich in den Modellrechnungen erstaunlich resilient gegenüber externen Schocks. Selbst eine einjährige Reduktion der Importkapazität um bis zu 70 Prozent könnte es ohne zusätzliche Massnahmen gut verkraften. Widerstandsfähig ist die Versorgung vor allem dank den Stauseen in den Bergen. Letztere sind in der Lage, rund neun Terawattstunden Strom zu speichern, was etwa 15 Prozent des jährlichen Strombedarfs entspricht. «Zusammen mit den verbleibenden Importmöglichkeiten kann so die fehlende Verfügbarkeit ausgeglichen werden», sagt der Energieökonom Jonas Savelsberg vom Energy Science Center der ETH Zürich. Erst wenn der Stromhandel noch stärker reduziert wird, sind zusätzliche Produktionskapazitäten nötig, um die Nachfrage zu decken.
Nicht zuletzt bei kurzfristigen Schocks kommt der Schweiz die Flexibilität der Wasserkraft zugute: Dank ihr ist sie über mehrere Wochen in der Lage, Strom in einer Menge zu liefern, welche die maximale Nachfrage übertrifft – und das auch dann, wenn durch die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme der Bedarf steigt. «Solange während einiger Stunden ein grenzüberschreitender Stromhandel möglich ist, kommt das Schweizer System damit überraschend gut über die Runden», sagt Savelsberg. Auch sogenannte Dunkelflauten, also anhaltende Phasen ohne Wind und Sonne, kann die Schweiz daher bewältigen.
Doch welche Technologien sind am ehesten dazu geeignet, um solche Importschocks auszugleichen – und vor allem: Welche sind am günstigsten und effizientesten? Laut der Studie hängt dies davon ab, wie häufig mit solchen externen Schocks zu rechnen ist und wie stark diese ausfallen. Kommen drastische Einschränkungen des Stromhandels nur selten vor, sind Technologien zu bevorzugen, die zwar hohe Betriebs-, aber geringe Investitionskosten aufweisen. Dazu zählen vor allem Reservekraftwerke, die mit Gas oder Flüssigbrennstoff, also Öl oder Benzin, betrieben werden.
Gaskraftwerke als Reserve am besten geeignet
Diese Anlagen sind relativ günstig in der Anschaffung, verursachen aber hohe Kosten, wenn sie laufen; dies nicht zuletzt, weil die entstehenden CO2-Emissionen für teures Geld wieder abgeschieden oder die Kraftwerke mit synthetischen Brennstoffen betrieben werden müssten. Werden sie nur sporadisch genutzt, sind diese Kosten über die gesamte Laufzeit vernachlässigbar.
Stehen auch keine Gasimporte zur Verfügung und wird der Stromhandel vollständig unterbunden, sind gemäss der Studie Kraftwerke, die mit Öl oder Benzin laufen, die beste Option. Die Schweiz profitiert in einem solchen Szenario davon, dass sie über beträchtliche Kapazitäten zur Lagerung von flüssigen Brennstoffen verfügt, die aufgrund der Dekarbonisierung des Energiesystems immer weniger ausgelastet sein dürften.
Nur wenn man erwartet, dass die Schweiz regelmässig – also alle zwei bis fünf Jahre – fast oder ganz ohne Stromimporte auskommen muss, ist es gemäss der Studie angezeigt, auf andere Technologien zu setzen, etwa Photovoltaik und Windkraft oder – in sehr extremen Schockszenarien – auf die Kernkraft.
Der Bau neuer Kernkraftwerke ist als Absicherung der Stromversorgung in Extremszenarien nur dann sinnvoll, wenn alle zwei Jahre ein vollständiger Ausfall der Stromimporte droht und gleichzeitig Gasimporte möglich sind. Genauso wenig eignet sich nachhaltig hergestellter Wasserstoff als ausgleichender Stromspeicher dazu, einen allfälligen Wegfall von Strom- und Gasimporten zu kompensieren.
In der Tendenz bestätigt die Studie damit die Strategie des Bundesrats, für den Notfall Gaskraftwerke als Reserve bereitzustellen – auch wenn diese gemäss Kritikern teuer und unnötig erscheinen.