Wegen eisiger Kälte findet die Amtseinführung in den USA erstmals seit vierzig Jahren im Innern des Capitols statt. Mit Zehntausenden Anhängern zelebrierte Trump bereits am Vorabend an seinem «Victory Rally». Er versprach ihnen, «jede einzelne Krise» schnell zu lösen.
Bevor in Washington am Sonntag der Schneefall einsetzte und die grosse Kälte kam, standen Tausende von Trump-Anhängern während Stunden im Nieselregen. Die Schlange zog sich über mehrere Strassenzüge. Alle wollten sie zu Trumps «Victory Rally» am Tag vor seiner Inauguration. Wer einen der rund 20 000 Plätze in der Eishockeyhalle der Washington Capitals ergattern wollte, musste sich lange vor der Türöffnung um ein Uhr nachmittags einreihen.
Viele kamen mit Freunden und Familien von weit her. Die 37-jährige Amy Teutenberg etwa reiste aus Wisconsin an. «Früher war ich eine Demokratin und machte Wahlkampf für Barack Obama», erzählte die Dolmetscherin und ehemalige Sozialarbeiterin. Aber 2016 stimmte sie für Trump. Ihr in der Bauwirtschaft tätiger Onkel habe ihr in Milwaukee all die stillgelegten Fabriken gezeigt, bei denen die Arbeitsplätze nach China verlegt worden seien. Für viele Menschen sei dies verheerend gewesen, aber nur Trump habe das Problem ernst genommen. «Das war überraschend. Wir dachten immer, die Demokraten setzten sich für die Arbeiterklasse ein.»
Hoffen auf höhere Zölle und härtere Migrationspolitik
Teutenberg hofft, dass Trump noch höhere Zölle gegen China verhängt und die amerikanische Industrie damit wiederbelebt. Obama enttäuschte sie aber auch, weil er die Kriege im Irak und in Afghanistan nicht wie versprochen beendete. Sie habe für ihn gestimmt, weil sie gegen diese Kriege gewesen sei. Obwohl Biden die Truppen aus Afghanistan abzog, sieht sie in ihm eine schwache Figur. «Wir brauchen einen starken Anführer, mit dem sich andere Staaten nicht anlegen.» So einer sei Trump. «Mir gefällt auch die Art, wie er spricht.»
Die ehemalige Demokratin ist ebenfalls von Trumps hartem Kurs in der Einwanderungspolitik überzeugt. «Die Leute denken, dass jemand, dem Migranten am Herzen liegen, auch illegale Einwanderer unterstützen sollte», holt Teutenberg aus. Aber die Papierlosen würden von Unternehmern bloss ausgenutzt, um diesen rechtlosen Arbeitern den halben Lohn von Amerikanern zu bezahlen. «Ich glaube nicht an Sklaverei. Die nehmen Einheimischen die Stellen weg und drücken die Löhne.»
Unabhängig von den Gesprächspartnern waren in der langen Schlange manche Argumente immer wieder zu hören. Trump kümmere sich um die einfachen Leute: «Er gibt dir das Gefühl, wichtig zu sein», meinte ein 55-jähriger Kleinunternehmer aus Florida. Zudem scheint der angehende Präsident seinen Anhängern das gute Gefühl zu verleihen, stolz auf ihr Land sein zu dürfen und zuversichtlich in die Zukunft blicken zu können. «Das Gefühl, ein Amerikaner zu sein, der sein Land liebt, war unter Trump viel stärker», meinte der 47-jährige Schulverwalter Tristan Yovino aus Massachusetts. Unter Biden schien es ihm, als gingen die USA einer dunklen Zeit entgegen. Nun aber hoffe er auf eine blühende Zukunft.
Bei seiner Rede am frühen Abend in der Arena bestärkte Trump seine Anhänger in dieser Gemütslage. «Morgen am Mittag fällt der Vorhang nach vier langen Jahren des amerikanischen Niedergangs, und wir beginnen einen brandneuen Tag der amerikanischen Stärke, des Wohlstands, der Würde und des Stolzes.» Für immer werde er die Herrschaft des «gescheiterten und korrupten Establishments» beenden.
Über 100 Verordnungen am ersten Tag
Kurz nach der Vereidigung wird Trump am Montag über 100 Verordnungen unterzeichnen. Zu erwarten ist dabei eine unmittelbare Verschärfung der Einwanderungspolitik. Trump kündigte die «aggressivsten» Grenzschutzmassnahmen an, welche die Welt je gesehen habe. Einerseits will er offenbar zur «Bleibt-in-Mexiko-Politik» zurückkehren. In seiner ersten Amtszeit mussten Schutzsuchende in der unsicheren Grenzregion in Mexiko auf ihre langwierigen Asylentscheide warten. Andrerseits könnten die Einwanderungsbehörden in amerikanischen Grossstädten bereits nächste Woche verstärkt nach illegalen Migranten fahnden, um sie auszuschaffen. Vermutlich wird die neue Regierung auch mehrere Drogenkartelle in Mexiko, für die auch der Menschenschmuggel ein lukratives Geschäft ist, zu Terrororganisationen erklären.
Zu den Massnahmen der ersten Stunde dürfte auch eine Aufweichung des Arbeitsschutzes für Beamte gehören. Dies könnte es Trump erlauben, Zehntausende von Staatsangestellten zu entlassen und sie womöglich mit loyalen Mitstreitern zu ersetzen. Trump kündigte am Sonntag zudem auch die Lockerung von Umweltvorschriften an, um die Erdölförderung anzukurbeln.
Bidens Regierung habe ihm etliche «Desaster» im In- und Ausland hinterlassen, meinte Trump. Die Welt stehe am Rande eines dritten Weltkrieges. Aber das werde nicht passieren: «Von morgen an werde ich mit historischer Geschwindigkeit und Stärke handeln, um jede einzelne Krise zu lösen.» Seine politische Koalition werde den USA auf Generationen hinaus «beispiellosen Erfolg» bringen.
Ein frostiger Start in die Amtszeit
Trump liess in seiner Rede kein gutes Haar an seinem Amtsvorgänger Joe Biden und den Demokraten. Allerdings verzichtete er darauf, seinen politischen Gegnern mit einem juristischen Rachefeldzug zu drohen. Ob dies ein versöhnliches Zeichen sein könnte, bleibt abzuwarten. Ihren Frieden mit Donald Trump scheinen hingegen die Village People gemacht zu haben. Sie sangen am Ende des Rallys mit einem zufrieden lächelnden Trump in ihrer Mitte ihren Hit «Y. M. C. A». Victor Willis, das einzige übrig gebliebene Bandmitglied der Originalbesetzung, wollte Trump einst die Verwendung des Songs bei seinen Auftritten verbieten. Nun schrieb er jedoch in einer Erklärung, Musik sollte nicht nur den Demokraten vorbehalten sein. «Lasst uns Trump eine Chance geben.»
Nicht ganz zufrieden wird Trump jedoch mit dem Wettergott sein. Am Montag fällt das Thermometer in Washington auf minus 4 Grad Celsius. Weil zudem auch eine eisige Brise angekündigt ist, wird die Inauguration erstmals seit Ronald Reagan 1985 nicht unter freiem Himmel an der Westseite des Capitols stattfinden. Anstatt vor einer grossen Zuschauerkulisse wird Trump seinen Amtseid in kleinerem Rahmen unter der grossen Kuppel des Parlamentsgebäudes ablegen. Ungewöhnlich ist dabei auch die Gästeliste. Traditionell ist die Inauguration des amerikanischen Präsidenten eine innenpolitische Angelegenheit. Erwartet werden nun aber unter anderem der chinesische Vizepräsident Han Zheng, der argentinische Präsident Javier Milei oder die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni.
Bei der Entscheidung für eine Indoor-Zeremonie war Trump vielleicht das Schicksal von Präsident William Henry Harrison eine Warnung. Dieser soll sich bei seiner Inauguration 1841 während einer zweistündigen Rede erkältet haben. In der Folge erlitt er eine Lungenentzündung und verstarb einen Monat nach seiner Amtseinsetzung. Denkbar ist aber auch, dass der angehende Präsident aufgrund der Kälte mit einem geringen Zuschaueraufmarsch rechnete. Vor acht Jahren ärgerte sich Trump über Bilder seiner ersten Inauguration 2017, die eine wesentlich kleinere Menschenmenge zeigten als bei Obamas Amtseinsetzung 2009. Mit der Verlegung ins Innere des Capitols erübrigen sich nun ein erneuter Vergleich und eine Diskussion darum.
Amy Teutenberg wäre auf jeden Fall bereit gewesen, auch am Montag für Trump in der Kälte zu stehen. Im nördlichen Wisconsin sei man es gewohnt, auch bei tiefen Temperaturen ein Football-Spiel zu besuchen, meinte sie etwas enttäuscht. «Ich habe alles mitgebracht. Auch Socken aus Merinowolle und Handwärmer.»