Die obsessive Beschäftigung mit dem neuen Hausherrn in Washington lenkt von dringenden Reformen ab.
Trump-Flüsterer und Trump-Versteher sind gesuchte Experten in diesen Tagen. Aber ihre Ratschläge helfen im Grunde auch nicht weiter im Umgang mit dem schwierigen Mann im Weissen Haus. Man solle Trumps Eitelkeit flattieren, schrieb die «Washington Post». Der kanadische Premierminister Justin Trudeau versuchte es und scheiterte: Trump liebäugelt jetzt sogar mit dessen Land als 51. Gliedstaat.
Nur nicht unterwürfig gegenüber Trump sein, sagt der bulgarische Politologe Ivan Krastev warnend. Wer Trump schwach erscheine, den mache er zum Opfer. Die britische Premierministerin Theresa May soll in diese Falle getappt sein. Und schliesslich Golf als diplomatisches Gleitmittel: Damit versuchte es der verstorbene japanische Ministerpräsident Shinzo Abe. Es klappte, solange er Trump gewinnen liess.
Der Grönland-Test der EU-Diplomatie
Der erste Härtetest für die Europäer im Umgang mit Trump II ist jetzt die Grönland-Krise. Der Präsident hat verkündet, die Insel kaufen zu wollen. Das sei aus sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Gründen die beste Lösung – für die USA. Was zuerst bloss als eine Provokation erschien, hat die Dänen mittlerweile in Panik versetzt. Grönland, eine ehemalige Kolonie, ist ein selbstverwaltetes Gebiet des Königreichs.
Jetzt suchen die Dänen Rückendeckung in der EU. Am Montag traf Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in Berlin den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Nach dem Treffen beschworen sie die wachsende Stärke Europas. Das Wort Grönland nahm niemand in den Mund. Später beim Nato-Generalsekretär Mark Rutte in Brüssel gab es nicht einmal eine gemeinsame Pressekonferenz.
Die Drohungen Washingtons gehörten dort «in den Bereich des Unsagbaren», schreibt die «FAZ». Nicht so in Paris. Aussenminister Jean-Noël Barrot gelobte, Frankreich werde immer zur Stelle sein, wenn Dänemark Hilfe brauche. Auch die Entsendung von Truppen habe man diskutiert. Frederiksen, wenig überraschend, lehnte ab.
Man muss kein Trump-Versteher sein, um die deutsche Leisetreterei und die französische Angeberei als unangemessen zu empfinden. Dass Barrot einen Wortkrieg mit Trump riskiert, ist unnötig und dumm. Doch wenn Trump die Dänen zur Preisgabe Grönlands zwingen will, ist das natürlich inakzeptabel. Das sollte man in Berlin und anderswo auch klar sagen.
Trump ist am Schluss auch nur ein amerikanischer Präsident – und seine Macht, jetzt auf dem Höhepunkt, nimmt mit der Zeit ab. Sein Charisma, das die halbe Welt elektrisiert, wird mit jedem Monat seiner Präsidentschaft schwinden. Denn der brutale Abnützungskrieg des politischen Alltags hat begonnen, mit seinen Zwängen, Fehlern und Irrtümern.
Die Reformagenda ins Zentrum rücken
Statt wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, sollte sich Europa (die Schweiz eingeschlossen) auf seine Reformagenda konzentrieren: Um für die kommenden Herausforderungen gewappnet zu sein, muss es militärisch stärker und wirtschaftlich erfolgreicher werden. Die Länder werden ihre Verteidigungsbereitschaft erhöhen und deutlich mehr Geld für ihre Armeen ausgeben müssen.
Die grossen militärischen Lücken sollten schnell gestopft werden. Das betrifft die Flugabwehr und den Aufbau von Drohnen-Streitkräften. Notwendig ist auch eine stärkere Kooperation bei der Beschaffung neuer Waffensysteme. Das wird nicht leicht sein, die Länder pochen in Rüstungsfragen eifersüchtig auf ihre Souveränität.
Auch die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit muss zu jener der USA wieder aufholen. Der Abbau bürokratischer Hürden, die Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes und neue Handelsabkommen sind drei wichtige Ziele, die sich die EU gesetzt hat. Europa braucht Trumps Weckrufe nicht mehr. Es ist aufgewacht und weiss, was zu tun ist. Jetzt ist entscheidend, ob es gelingt.