Die deutlich verbesserte Rentabilität weckt beim Management der europäischen Elektrotechnikunternehmen ABB, Schneider und Siemens Wachstumsfantasien. Das grösste Aufholpotenzial haben die Aktien des deutschen Konzerns.
Für Elektrotechnikunternehmen war das Umfeld selten so gut wie jetzt. Mit Blick auf die Bekämpfung der Klimaerwärmung profitieren sie von der zunehmenden Substituierung fossiler durch elektrische Energieträger. Während Strom im globalen Energiemix bisher auf einen Anteil von rund 20% kam, sollen es bis 2030 schon 30% und 2050 sogar 50% sein. Bei der Energie gehört die Zukunft der Elektrizität.
Der Trend zu mehr Effizienz im Energieverbrauch zwecks ökologischer und ökonomischer Verbesserungen belebt die Nachfrage nach Stromlösungen. Und auch spezifische Wachstumstrends (Bau von Rechenzentren, Automatisierung der Produktion, E-Mobility) sind ausreichend gross und beständig genug, damit sich für die Elektrotechnikbranche die guten Zeiten fortsetzen.
Diese vorteilhaften Umstände spiegeln sich im Kursverlauf der Aktien der drei grossen europäischen Anbieter. Im Vergleich zum Gesamtmarkt haben die Valoren von ABB, Schneider Electric und Siemens den Markt über ein, drei und fünf Jahre deutlich hinter sich gelassen. Seit dieser Woche wird diese Überperformance durch das Phänomen DeepSeek auf die Probe gestellt.
Aktien von Schneider schnitten am besten ab
Die Kursavancen der drei Grosskonzerne stehen auf einem soliden Fundament, denn ihre Ergebnisse haben sich in den vergangenen Jahren klar verbessert. Seit der Pandemie sind die operativen Gewinnmargen kontinuierlich gestiegen. Nach Einschätzung der Analysten haben sie auch in den kommenden Jahren noch Raum für Verbesserungen.
Kein Wunder notierten die Aktien des Trios jüngst auf Allzeithoch. Die luftigen Bewertungen der Valoren haben erst diese Woche einen kleinen Dämpfer erhalten.
Die gesamte Elektrotechnikbranche profitiert vom besseren Umfeld. Mit Abstand die besten Margen des Trios erwirtschaftet der französische Anbieter Schneider Electric. Auch im vergangenen Jahr sollte es ihm gelungen sein, die (bereinigten) Margen zu verbessern. Die detaillierten Jahreszahlen publiziert er am 20. Februar.
Dank zahlreichen Partnerschaften verfügt die Gruppe über eine geografisch breite Abstützung. Sie arbeitet mit gut 6000 Distributoren zusammen, die auf ein Netzwerk mit rund 300’000 Elektrikern zurückgreifen können. Das Unternehmen rühmt sich, der globale Energietechnikkonzern mit der grössten lokalen Abdeckung zu sein. Rund 60% der Einnahmen generiert es über Partnerschaften.
Eine Erklärung für die überdurchschnittlich guten Margen ist die grössere Exponiertheit bei den Rechenzentren, einem lukrativen Geschäft mit sehr guten Margen und überdurchschnittlich gutem Wachstum. Laut Berenberg erwirtschaftet Schneider 19% des Umsatzes mit Rechenzentren, deutlich mehr als ABB (5%) und Siemens (1%).
Das vergangene Woche von US-Präsident Donald Trumpf lancierte Infrastrukturprojekt «Stargate», das Investitionen von bis zu 500 Mrd. $ in amerikanische Rechenzentren vorsieht, wird auch für Schneider und ihre Konkurrenten weitere Aufträge nach sich ziehen.
Die Chancen stehen gut, dass sich Schneiders Erfolgssträhne fortsetzt und sie die ambitiösen Ziele erreicht. Die Kapitalrendite (ROCE) dürfte im laufenden Jahr steigen und die progressive Ausrichtung der Dividendenstrategie zu höheren Ausschüttungen führen.
Rätselhafter Wechsel in Schneiders Topmanagement
Vor knapp drei Monaten geschah jedoch etwas Unerwartetes, was die Glückseligkeit infrage stellt. Nach lediglich eineinhalb Jahren musste der deutsche Konzernchef Peter Herweck gehen. Die Überraschung war nicht nur seine kurze Amtszeit, sondern vor allem der Umstand, dass er ja vieles richtig gemacht hat. Sein Mandat hiess Evolution statt Revolution, also die bestehenden Strukturen effizienter machen und keine fundamentalen Umwälzungen riskieren. In Anbetracht der bisher bekannten Fakten ist ihm das gelungen.
Der Kapitalmarkttag 2023 stand unter dem Motto, organischem Wachstum Priorität einzuräumen und über den Zyklus hinweg um 5% zu wachsen. Von 2023 bis 2027 wurde ein organisches Umsatzwachstum von jährlich 7 bis 10% angepeilt, was 1 bis 3 Prozentpunkte über dem erwarteten Marktwachstum liegt.
Zu diesem Zeitpunkt wuchs das Unternehmen organisch noch zweistellig. Die Analysten gehen davon aus, dass sich dies in den kommenden Jahren nicht wiederholen wird. Das Gleiche gilt jedoch auch für ABB und Siemens, falls die Prognosen zutreffend sind (vgl. Grafik). Mit Blick auf die starken Megatrends (Dekarbonisierung, künstliche Intelligenz, Digitalisierung) müsste das Marktwachstum um einiges höher sein.
Marktbeobachter vermuten, dass die Wachstumsziele dem starken Mann bei Schneider, Jean-Pascal Tricoire, der siebzehn Jahre Konzernchef war und seit Mai 2023 das VR-Präsidium bekleidet, zu wenig ambitioniert gewesen sind. Mit dem Franzosen Olivier Blum hat ein Vertrauter von ihm, der seit über dreissig Jahren im Unternehmen ist, die Geschäftsleitung von Schneider Electric übernommen. Die überraschende Rochade hat bisher erstaunlich wenig Aufsehen erregt.
Die Befürchtung ist berechtigt, dass Schneider Electric, geblendet vom Erfolg der vergangenen Jahre, die nun reichlich vorhandenen Mittel für wenig wertsteigernde Akquisitionen verwendet. «Eine neue Phase der fokussierten Beschleunigung» soll nun gemäss Medienmitteilung anbrechen. Im besten Fall wird sich der Konzern strategisch sinnvolle Unternehmenskäufe leisten. Doch für Dividendenausschüttungen sowie Aktienrückkäufe, die dem Aktienkurs in den vergangenen Jahren zusätzlich Auftrieb gaben, wird er künftig weniger Mittel haben.
Wenig Leichtsinn bei ABB auszumachen
Vor einer ähnlichen Ausgangslage steht der Schweizer Konkurrent ABB. Nach Jahren der Gesundschrumpfung und den Bestrebungen, mit einer Dezentralisierung und mehr unternehmerischem Agieren in den einzelnen Geschäftsfeldern die Rentabilität zu steigern, befindet er sich heute in einer nicht nur strategisch, sondern auch finanziell vorteilhafteren Verfassung.
Das gestern publizierte Rekordergebnis 2024 belegt dies eindrücklich: Die adjustierte Gewinnmarge auf Stufe Ebita verbesserte sich um 120 Basispunkte auf 18,1%. Die Marge im traditionell schwächsten Schlussquartal war mit 16,7% noch nie so hoch. Die zyklischen Schwankungen der Rentabilität sind geblieben, doch auf einem tendenziell stetig höheren Niveau.
Der erneut hohe freie Cashflow von 3,9 Mrd. Fr. stärkt die Bilanz. Auch wenn das Unternehmen im bisherigen Tempo akquiriert, wird sich die Nettoverschuldung schon dieses Jahr in eine Nettoliquidität kehren. Der neue Konzernchef Morten Wierod verheimlicht nicht, auch wieder grössere Brocken ins Visier zu nehmen. «Wir haben die Möglichkeit, auch grössere Deals von 1,5 Mrd. $ zu machen», erklärt er gegenüber The Market. «Aber nur, wenn sie für Aktionäre Mehrwert kreieren.»
Noch ist die Gefahr also gering, dass ABB in Zeiten zurückfällt, als Wachstum zulasten der Rentabilität über allem stand. Für die kommenden Jahre traut sich das Management ein organisches Umsatzwachstum von 5 bis 7% zu; 2025 dürfte es eher am unteren Ende dieses Zielwerts ausfallen. Organisches Wachstum habe Priorität. Zusätzlich sollen 1 bis 2% p. a. durch Akquisitionen hinzukommen, also jährlich 300 bis 600 Mio. $ Umsatz zugekauft werden, umschreibt Wierod den strategischen Rahmen.
So weit ist ABB noch lange nicht. Im vergangenen Jahr wurden lediglich sechs Akquisitionen durchgeführt, die kumuliert knapp 200 Mio. $ Umsatz bringen. Zudem geht mit den vier Veräusserungen ungefähr gleich viel Umsatz verloren.
Der neue ABB-Chef scheint nicht Gefahr zu laufen, vom Erfolgspfad seines Vorgängers abzurücken. Die gute finanzielle Situation wird für höhere Ausschüttungen und Investitionen genutzt. Die Dividende soll auf 90 (i. V. 87) Rp. pro Aktie erhöht werden. Zudem wird ein neues Aktienrückkaufprogramm gestartet, mit dem innerhalb eines Jahres Titel im Wert von bis zu 1,5 Mrd. $ erworben werden (2024: 0,9 Mrd. $).
Dieser haushälterische Umgang mit den Mitteln schlägt sich in einer deutlich verbesserten Kapitalrendite nieder. Seit zwei Jahren liegt der ROCE von ABB deutlich über dem langfristigen Zielwert (mindestens 18%). Die deutlich höhere Bewertung der ABB-Aktien steht also auf einem soliden Fundament.
Siemens strategisch im Rückstand
Bei der Fokussierung auf unternehmerische Stärken und der entsprechenden Portfoliobereinigung befindet sich der deutsche Elektrotechnikkonzern Siemens im Vergleich mit seinen beiden europäischen Mitstreitern im Rückstand. Zwar wurde bereits einiges getan, um den Konglomeratsmalus zu verringern. Doch aus dem äusserst breit diversifizierten Industriekonglomerat ist noch kein schlanker Elektrotechnikkonzern geworden. Der Spin-off von Siemens Energy war bisher der wichtigste Schritt in diese Richtung.
Die sehr gute finanzielle Verfassung des Konzerns zeigt die jüngste Heraufstufung des Kreditratings durch S&P auf Aa–. Der ausserordentlich hohe Free Cashflow im vergangenen Geschäftsjahr (per Ende September 2024) von 9,6 (10,1) Mrd. € erlaubt es Siemens, nicht nur eine stattliche Dividende von gut 4 Mrd. € auszuzahlen, sondern auch umfangreiche Aktienrückkaufprogramme zu unterhalten. Derzeit läuft ein fünfjähriges Programm, mit dem Titel im Wert von bis zu 6 Mrd. € erworben werden sollen. Per Anfang November 2024 waren davon 1,2 Mrd. € realisiert.
Und trotzdem hat Siemens noch genügend Mittel für den Kauf von Unternehmen. So konnten sich die Deutschen den als teuer eingestuften Kauf von Altair Engineering für 10 Mrd. $ leisten, ohne die Verschuldungsquote namhaft zu erhöhen. Hierfür haben sie angekündigt, Anteile an Siemens Energy sowie etwa 5% an Siemens Healthineers zu veräussern.
Gestern wurde ein erster Schritt bekannt: Siemens hat bei Siemens Energy in den vergangenen Monaten um rund 2 Prozentpunkte auf knapp 15% reduziert, was rechnerisch etwa 1 Mrd. € eingebracht hat. Damit und durch den Mittelzufluss aus dem Verkauf von Innomotics (3,5 Mrd. €) verändert sich die Verschuldungsquote (0,7 per September 2024) kaum und bleibt im grünen Bereich.
Fazit: Von den langfristig zuversichtlichen Megatrends profitieren alle drei europäischen Elektrotechnikunternehmen. Die guten Margen dürften in den kommenden Jahren zumindest verteidigt werden. Die zyklischen Schwankungen, die das Geschäft mit sich bringt, werden trotzdem nicht gänzlich verschwinden.
Mit Skepsis müssen die Wachstumsambitionen beobachtet werden. Zu Recht werden Akquisitionen ein wichtiger Bestandteil der künftigen Strategie der Elektrotechnikkonzerne sein. Hingegen sollte Ergänzungskäufen der Vorrang gegeben werden.
Das Kurssteigerungspotenzial von Schneider Electric 📈scheint etwas ausgereizt zu sein. Zudem raten der undurchsichtige Wechsel an der Konzernspitze sowie die vergleichsweise hohe Bewertung der Aktien zur Vorsicht.
Weitere Kursavancen bei ABB 📈liegen drin, wenn es dem neuen Management gelingt, noch mehr aus der 2020 eingeführten Neuausrichtung zu machen. Das Potenzial ist vorhanden, wenn auf margenschmälernde Grossakquisitionen verzichtet wird. Die Ausrichtung auf offene Standards statt eigener Softwareplattform, wie ABB es seit einigen Jahren macht, erachtet The Market für ein Industrieunternehmen in diesem sich rasch wandelnden Bereich als Vorteil.
Am meisten Raum für Verbesserungen besitzt Siemens 📈. Das ist aber nicht neu. Damit der Bewertungsabschlag zur Konkurrenz gänzlich verschwindet, braucht es wohl eine endgültige Trennung von Siemens Healthineers. Im Weiteren wären eine stärkere Performancekultur im Unternehmen sowie eine der tendenziell geringeren Grösse angepasste Struktur angebracht. Das Verbesserungspotenzial sowie der (notorische) Bewertungsabschlag der Valoren machen Siemens derzeit für viele Analysten zum Favoriten unter den drei europäischen Elektrotechniktiteln. Allerdings spricht aus heutiger Sicht wenig dafür, dass das Potenzial in nächster Zeit gehoben wird.