Im Stadtrat seiner Heimatgemeinde wurde der Bundesratskandidat in seinen Machtansprüchen mehrfach zurückgebunden.
Macht ist eine Urerfahrung für Markus Ritter. In Altstätten, seinem Heimatstädtchen im St. Galler Rheintal, hatte die CVP lange die absolute Mehrheit. Selbst die Opposition kam, wenn überhaupt, aus den eigenen Reihen. Im katholischen Milieu pflegte man den Narzissmus der kleinen Differenz. Unvergessen, wie in den siebziger Jahren der Stadtpräsident abgewählt wurde – und sein Nachfolger, ein Parteifreund, zuerst vor lauter Misstrauen einige Schlösser habe ersetzen lassen. So erzählt man es sich bis heute. Über die Richtungskämpfe berichtete salomonisch die «Rheintalische Volkszeitung», die von den Lokalfürsten der CVP geführt wurde.
Das war die Welt, in die Markus Ritter hineinwuchs. Er kam von einem Bauernhof im abgelegenen Hinterforst, als er im Jahr 1992 für den Stadtrat (damals noch: Gemeinderat) von Altstätten kandidierte. In der «Volkszeitung» stellte er sich vor: 25 Jahre alt, Landwirt, Aktuar und Schützenmeister der Schützengesellschaft Hinterforst, Zuchtbuchführer der VZG Eichberg, Wachtmeister der Feuerwehr Altstätten. Militär: Kan Gfr in der Pz Hb Bttr II/33. Grössere Bekanntheit hatte damals erst sein Bruder Werner erlangt: ein junger Anwalt mit Krawatte und origineller Rhetorik, der damalige Präsident der CVP Altstätten.
Markus Ritter war noch nicht mehr als «ein junger, anständiger Porscht», wie man sich heute erinnert. Und doch wurde er am 27. September 1992 als einziger der neuen Kandidaten schon im ersten Wahlgang in die Stadtregierung gewählt.
Das war der Anfang seiner politischen Karriere. Als er zwanzig Jahre später vom Amt zurücktrat, war er der mächtigste aller Stadträte – und gleichzeitig waren ihm mehrfach seine Grenzen aufgezeigt worden. In diesen Tagen seiner Bundesratskandidatur betont Ritter seine Regierungserfahrung in Altstätten, eine andere hat er nicht vorzuweisen. Nie habe er ein unaufgeräumtes Haus verlassen, auch nicht damals im Stadtrat. Aber stimmt das auch? Altstätten ist die Heimat von Markus Ritter und die seiner vielleicht grössten Kritiker.
Schnell frisst langsam
Dass Ritter seine Kandidatur als Erster bekanntmachte, hat hier niemanden überrascht. «So war er immer», sagt Meinrad Gschwend, grüner Stadtrat von 1996 bis 2004, «er geht in die Offensive, besetzt als Erster das Feld und schüchtert damit Halbentschlossene ein.» Als Ritter im Jahr 2011 nach zwei gescheiterten Anläufen endlich Nationalrat werden wollte, stellte er schon fünf Monate vor der Wahl seine Plakate auf, als Erster überhaupt. Darauf zu sehen waren eine Rüstung und der Spruch: «Der Ritter für Bern.» In der Ostschweiz wurde er als «Blechkrieger» belächelt, aber am Ende war er gewählt. Das von Ritter oft zitierte Motto: «Schnell frisst langsam.»
Im Stadtrat war er berüchtigt dafür, wie er die wichtige Baukommission führte. Schon um 6 Uhr habe er sich im Rathaus mit dem Bauamtschef besprochen. «Ritter hatte den ganzen Prozess im Griff. Er hat das Bauamt beraten, in der Kommission die wegweisende Mehrheit vorgespurt – um anschliessend das von ihm vorbereitete Geschäft im Stadtrat durchzubringen»: So formuliert es Ruedi Dörig, langjähriger Stadtrat der Organisation Aplus, die in Opposition zur Machtballung der CVP entstanden war. Dörig lächelt manchmal, wenn er über Ritter spricht, er hat seine Methoden jahrelang studiert: «Er ist ein Machtgüggel, ein cleverer Typ.» Sein Ehrgeiz kippe manchmal ins Verbissene, sagen mehrere Weggefährten – wenn er verliere, könne sich sein Kopf rötlich verfärben. Im Rat sei er eher ein Einzelgänger gewesen, sagt Ruedi Dörig, «er wollte nicht Freunde finden, sondern Erfolg». Schon damals sei Ritter ein Meister der Allianzen gewesen. Selber ein konservativer Bauer, habe er den Spielraum, den ihm seine Position in der Mitte gegeben habe, immer genutzt. Der grüne Meinrad Gschwend sagt, auch für seine Ideen habe sich Ritter damals regelmässig offen gezeigt.
Der langjährige Altstätter Stadtpräsident Josef Signer (CVP, 1992–2006) bezeichnet Ritter als dominante Figur seiner Zeit: «Er war stets dossierfest. Bei ihm hast du gemerkt: Er hat jedes Geschäft der Sitzung intensiv vorbereitet.» Das Powerplay bekamen die Kollegen auch hinterher noch zu spüren, wenn man in corpore für einen Schieber in eine Beiz ging. «Er wusste jederzeit, welche Karten noch im Spiel sind», erinnert sich Signer. Nach Ritters ersten Jahren im Nationalrat habe er gedacht: Das geht einmal in Richtung Bundesrat.
Altstätter Abstrafungen
In seinen Dominanzansprüchen wurde Ritter in Altstätten aber mehrfach zurückgebunden. Im Jahr 2000 kandidierte er nicht nur für den Stadtrat, sondern auch für das Präsidium der Oberstufenschule. In der CVP Altstätten zog man ihn mit einer Stimme Unterschied einem anderen Kandidaten vor (der Bruder Werner Ritter erklärte, er sei in den Ausstand getreten). Der interne Gegner trat dann aber doch zur Wahl an. In einem Streitgespräch in der «Volkszeitung» präsentierte sich Ritter als Mann des Volkes. Auf Suchtprobleme von Schulkindern angesprochen, betonte er die Bedeutung der Vereine: «Sicher, der Rheintaler festet gern und hat es gern lustig.» Eine oder zwei Stangen seien aber «kein Schwerverbrechen», und in den Vereinen würden Jugendliche «beschützt und aufgehoben». Ritter versprach: «Ich versuche, nahe beim Bürger zu sein.» Aber sein Wahlkampf überzeugte nicht, das Schulpräsidium blieb ihm verwehrt.
Im Jahr 2008 straften ihn schliesslich die eigenen Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat ab. Ritter wurde als Vizepräsident abgewählt. Aus dem damaligen Rat ist zu hören, teilweise sei seine dominante Art nicht mehr erträglich gewesen. Offiziell kommuniziert wurde die Abwahl nie. Ritter war damals auch von der FDP Altstätten frontal angegriffen worden, weil er in den Stadtratswahlen – anders als es der Stadtrat wenige Monate vorher noch für «wünschenswert» hielt – nicht den Schulratspräsidenten unterstützte, sondern einen anderen Kandidaten. Die CVP hatte inzwischen ihre absolute Mehrheit im Stadtrat und bald zwei Mal hintereinander die Stadtpräsidentenwahl verloren: Zuerst wählten die Altstätter im Jahr 2006 einen FDPler aus dem Bündnerland. Und dann zogen sie 2012 einen Parteilosen jenem jungen CVPler vor, den Markus Ritter in Altstätten als «Glücksfall» portiert hatte.
«Da war klar: Etwas stimmt nicht mehr in der alten CVP-Stadt Altstätten», sagt Markus Rohner, ein Journalist, der einst in der lokalen CVP war und dann aus Unmut über die innerparteiliche Ritter-Dominanz die Organisation Aplus gründete. Er sagt: «Markus Ritter hat ein rücksichtsloses Machtbewusstsein, er konnte einen runterputzen. Das weckte Gegenkräfte.»
Das Machtdoppel – die Gebrüder Ritter
Unangefochten war er in Altstätten nie, was auch mit seinem Bruder Werner zusammenhängen dürfte, dem langjährigen Kantonsrat und Präsidenten der CVP Altstätten, einem sehr belesenen Polemiker. Als einst die stadtbekannte Wirtin des Restaurants Linde gegen den von Markus Ritter mitverantworteten Rathaus-Neubau prozessierte, rief der Bruder Werner zum kollektiven Protest gegen die «Querulantin». Und so schlugen eines Abends mehrere hundert Altstätter je einen Nagel in eine Protestlinde. Auch wenn die Gebrüder Ritter kein symbiotisches Verhältnis pflegten, so wurden sie bis zum frühen Tod von Werner im Jahr 2023 teilweise als Machtdoppel wahrgenommen.
Werner Ritter war ein brachialer Typ, der zwar stark engagiert war, sich aber auch jederzeit mit allen überwerfen konnte. Markus Ritter kam weiter, auch weil er «zwar raffinierter, aber nicht weniger machtbewusst» vorging, wie es Meinrad Gschwend formuliert.
Ritter ist ein Rechner, er übersetzt komplexe Politik in simple Zahlen. Sein Prinzip als Bauernpräsident und Nationalrat in Bern? «Wir brauchen mindestens 100 National-, 23 Stände- und 4 Bundesräte, die unsere Positionen teilen.» Er kennt jede Handynummer und jede Fussnote, die er kennen muss, um eine Mehrheit für seine Anliegen zu erreichen. Und dann lässt er nicht locker, bis die Kalkulationen seiner Macht aufgehen. So hat er sich in Bern einen Namen gemacht, und so ging er schon früher vor.
«Wie ein Turbo»
Ritter streitet seine dominante Rolle in Altstätten nicht ab. Im Gegenteil: «Mit der Power, die ich heute als Bauernpräsident habe, ging ich damals in den Stadtrat. Dass es für die Gemächlicheren nicht immer einfach war, ist gut möglich.» Vor allem das Präsidium der Baukommission habe ihn geprägt, sagt er: «Ohne diese Erfahrung könnte ich jetzt nicht als Bundesrat kandidieren.»
Ritter war verantwortlich für eine Gesamtüberbauung am Stadteingang – inklusive neuem Rathaus und Tiefgarage. «Das grösste Bauprojekt im Zentrum seit dem Stadtbrand von 1567», wie er sagt. Nie habe er in jener Zeit das Haus ohne Zonenplan verlassen, immer im Kopf, welche Parzellen der Stadtrat noch kaufen müsste. In Verhandlungen mit unzufriedenen Betroffenen sei er immer mit der Frage hineingegangen: «Was musst du haben, was ist dein Anliegen?» So würde er auch als Bundesrat auf die Leute zugehen, sagt er. Die Überbauung in Altstätten sei komplex gewesen und habe seinen «unbedingten Gestaltungswillen» gefordert. Den Hintersten und Letzten habe er nicht immer mitnehmen können, er habe sich stattdessen «an die Denker und Macher» in der Verwaltung und im Stadtrat gewandt, sie frühzeitig informiert, das Projekt so vorgespurt. «Ich habe wie ein Turbo gearbeitet, das war auch für den Stadtpräsidenten nicht immer einfach.» Er lacht.
Ritter kennt nur die Offensive: Er ist offensiv hochmütig und offensiv demütig. Wenn er mit dem Vorwurf konfrontiert wird, sein Machtanspruch übersteige im Land der Machtdiffusion das tolerierte Mass, dann relativiert er seine Macht nicht, er betont sie zusätzlich. Und wenn der Bauernverband zur Imagekampagne ruft, reiht sich Ritter als einfacher Bauer im Edelweisshemd wieder in die Bauernschweiz ein.
Die Tiefgarage
In Altstätten ist sein politisches Vermächtnis in Beton gegossen. Markus Ritter bleibt selber manchmal zwischen den beiden grossen Kirchen stehen und schaut auf die Architektur der Rathaus-Überbauung, die er geprägt hat. Der gegenwärtige Stadtrat schrieb zuletzt in einer Mitteilung mit dem Titel «Altstätten drückt Markus Ritter die Daumen!», Ritter habe «bleibende Spuren» hinterlassen: «Rathaus, Rathausplatz, Tiefgarage (. . .) – all das trägt seine Handschrift.»
Markus Rohner, der Gründer von Aplus, erinnerte sich an die besagte Tiefgarage, als Markus Ritter an einer Pressekonferenz davon sprach, er habe nie ein unaufgeräumtes Haus hinterlassen, auch nicht im Stadtrat von Altstätten. In der Abstimmungsbroschüre aus dem Jahr 2011 prognostizierte die Stadt mindestens einen leichten Gewinn. Tatsächlich aber resultierte in den vergangenen Jahren jeweils ein Verlust von über hunderttausend Franken. Der Journalist Rohner sieht schon eine mögliche Schlagzeile vor sich: «Die Cashcow wird zum Millionengrab!»
Auf die Verluste der Rathaus-Parkgarage angesprochen, bestätigt Markus Ritter, der Stadtrat sei einst von einer mindestens ausgeglichenen Rechnung ausgegangen. «Ich bin aber seit zwölf Jahren nicht mehr im Stadtrat, die gegenwärtige finanzielle Situation ist mir nicht bekannt.» In der Stadt ist es kein Geheimnis, dass die Parkgarage nicht allzu gut ausgelastet sei. Markus Ritter sagt, als Autofahrer falle ihm auf, dass die Tarife sehr günstig seien – was auf die Einnahmen drücken könne.
Für einen kurzen Moment sieht es aus, als habe man ihn mit Zahlen konfrontiert, die ihm nicht präsent seien. Dann versucht er diesen Eindruck sofort zu korrigieren.