Die Grossbank hat in dieser Woche nicht nur ein gutes Jahresresultat angekündigt, sondern auch die Boni bekanntgegeben. Diese bergen psychologische Sprengkraft.
Er habe schon überlegt, welche Uhr er für seine Frau kaufe, erzählt ein Kollege, der bei der UBS arbeitet. Die Bemerkung kommt nicht zufällig gerade jetzt. Bei der UBS wurde in dieser Woche nicht nur das Jahresresultat veröffentlicht, sondern auch, wer wie viel Bonus erhält. Zahlreiche Bankerinnen und Banker erfahren im Lauf der Woche, was sie sich in diesem Jahr zusätzlich zu ihrem Fixlohn noch gönnen können – oder ob sie dieses Mal zu kurz kommen.
Von dem Kollegen wissen wir nicht, ob er mit einer Rolex liebäugelt oder einer Omega. Eine gewöhnliche Swatch wird es kaum sein. Die Aussicht auf den Geldsegen löst bei den Empfängern aber nicht nur Freude und Dankbarkeit aus, sondern auch Frust.
Banker üben sich in Diskretion
Die Verteilung der Boni sei willkürlich und nicht nachvollziehbar, sagt ein Mitarbeiter. Mit den Kollegen rede er nicht über den Bonus, sonst bekomme er nur schlechte Laune. Das impliziert, dass er eher wenig erwartet. Doch nicht nur diejenigen, die sich vor einer Enttäuschung schützen wollen, bleiben still. «Wer zufrieden ist, sagt nichts», sagt Christian Fichter, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Kalaidos.
Dem Vernehmen nach üben sich viele Banker gegenüber ihren Kollegen in Diskretion. Offenbar ist es zumindest in Teilen der Grossbank ein ungeschriebenes Gesetz, dass man mit dem eigenen Bonus nicht hausiert. So scheint es Usus zu sein, die Summe lediglich gegenüber den besten Kollegen zu offenbaren. Darüber hinaus ist Schweigen Gold.
Das Schweigen schützt vor dem Neid der Kollegen – oder auch der Missgunst von Freunden, die in weniger zahlungskräftigen Branchen tätig sind. Da freut man sich lieber heimlich.
Wie die Boni verteilt, weiss niemand
Unmut wird vor allem von denjenigen geäussert, denen die Verteilung ungerecht erscheint – beispielsweise dann, wenn Boni einer Normalverteilung folgen: Level eins bis vier, oben die Guten, unten die Schlechten. Per Definition können nicht alle überdurchschnittliche Leistungen bringen. Doch was macht man als Vorgesetzter, wenn alle im Team anständig arbeiten? Irgendjemand muss trotzdem ein schlechtes Rating bekommen.
Die UBS macht auf Anfrage keine Angaben dazu, ob die Verteilung der Boni einem bestimmten Schema folgt. Eine Sprecherin sagt, man achte auf eine «faire und konsistente Vergütung», die sicherstelle, dass die Mitarbeitenden angemessen entlöhnt würden. Die Höhe der variablen Vergütung sei von dem Konzernergebnis, dem Ergebnis des Unternehmensbereichs, den Marktgegebenheiten sowie der individuellen Leistung des Mitarbeitenden und seinem Verhalten abhängig.
Einige überzeugt das nicht: Eine ältere Mitarbeiterin beklagt sich, in der Bewertung plötzlich hart abgesackt zu sein. Sie und ihr Umfeld argwöhnen, dass damit systematisch für eine Frühpensionierung vorgespurt wird.
Mehr Geld macht zufriedener
Das Misstrauen überrascht den Wirtschaftspsychologen Fichter nicht. Boni-Systeme würden oft als ungerecht empfunden. Der Mensch sei von Natur aus darauf ausgelegt, unfaire Behandlungen zu erkennen. Das hat einen unerwünschten Effekt. «Ich kenne kein Bonussystem, das die Motivation der Mitarbeitenden nicht schädigt», sagt Fichter.
Eine intransparente Bonuspolitik hat auch Vorteile. Sie schützt vor den neugierigen Blicken der anderen. Am Ende gilt: Auch wer schimpft, nimmt den Bonus gerne entgegen. Wenn der neue Tesla in der Garage glänzt und die frische Rolex am Handgelenk baumelt, kann sich der Ärger über die Ungerechtigkeit leicht auflösen.
«Natürlich, Geld macht zufrieden. Und mehr Geld macht zufriedener», sagt Fichter.
Dennoch ist Fichter kein Freund von Boni. Die Aussicht auf einen Bonus lasse die Mitarbeiter zwar kurzfristig hochspringen. Unter dem Strich sei sich aber jeder selbst der Nächste. Man fokussiert die Kräfte auf die Bonus-relevanten Ziele, der Rest interessiert weniger. Die Folge: das System wird zum eigenen Vorteil ausgenutzt. «Die Menschen sind cleverer als jedes Bonussystem.»
Es geht auch ohne Boni
Der Schweizer Ökonom Bruno S. Frey kritisierte das System der Bonuszahlungen schon vor über zwanzig Jahren. Auch heute ist er überzeugt: Boni schaden mehr, als sie nützen. Wer finanzielle Anreize für Leistung setze, verdränge damit die intrinsische Arbeitsmotivation, so Frey 2020 in einem Interview mit der «Wirtschaftswoche». Mit jeder neuen Kennziffer, für die Unternehmen Boni ausschütteten, gehe ein bisschen mehr an Motivation verloren.
Dass Banken und Boni nicht zwangsläufig zusammengehören, zeigt seit einigen Jahren die Migros-Bank: Seit 2019 verzichtet sie auf Bonuszahlungen. Boni seien mitverantwortlich für Übertreibungen, so die Bank, und im modernen Bankgeschäft nicht mehr zeitgemäss. Mitarbeiter würden sich dadurch zu sehr auf ihre für den Bonus relevanten Tätigkeiten fokussieren und den Blick fürs grosse Ganze verlieren.
Der Migros-Bank-Chef Manuel Kunzelmann sagte 2023 im Gespräch mit der NZZ, die Mitarbeiter seien ohne Boni genauso produktiv. Die Migros-Bank nahm den Angestellten das zusätzliche Geld nicht einfach weg, sondern erhöhte stattdessen die Fixlöhne. Finanziell scheint das jedenfalls nicht zu schaden: Das Geschäft läuft gut, die Gewinne entwickeln sich positiv. Inzwischen steuert die Bank den grössten Anteil am Migros-Konzerngewinn bei.
Doch Kunzelmann gibt auch zu, dass das System nicht unbedingt die ehrgeizigsten Banker anziehe: «Wir suchen keine Turbokapitalisten, die nur ans Geld glauben. Die würden bei uns nicht glücklich.» Einheitslöhne und ein faires Umfeld können aber auch eine Motivation sein – die vielleicht stärker von innen kommt.
Bei der UBS, die im vergangenen Jahr mehr als fünf Milliarden Dollar Reingewinn erzielte, haben die Banker das Geld im Visier. Das bedeutet: Über das Bonussystem wird zwar gemotzt. Dennoch darf vermutet werden, dass den meisten Bonus-Empfängern die Ungerechtigkeit doch lieber ist als das Leben ohne Bonus.
Zu Ohren gekommen ist uns auch die Anekdote von einem Banker, der seine Boni geflissentlich gegenüber seiner Frau verschweigt. Volle Geldtöpfe wecken leicht Begehrlichkeiten. Nicht jeder überlegt sofort wie unser lieber Kollege, an welcher Uhr die Frau am meisten Freude hätte. Lebenspartner aufgepasst: Jetzt ist der Moment.