Die Abfahrts-Olympiasiegerin ist rechtzeitig auf die Ski-WM von ihrem Kreuzbandriss genesen. Während der Reha-Phase sagt ihre Familie, sie erkenne Suter kaum wieder.
Als Corinne Suter vor gut einem Jahr in Cortina d’Ampezzo im Rettungshelikopter lag, dachte sie: «Lasst mich runter, ich habe morgen ein Rennen!» Statt eines Rennens gab es am anderen Tag eine Operation. Das vordere Kreuzband war gerissen, Suters Saison war vorbei.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihren persönlichen Erfolgsweg gefunden. Längst war bekannt, dass die zweifache Junioren-Weltmeisterin von 2014 zu den physisch stärksten Fahrerinnen gehört. Doch zunächst musste Suter im Kopf ähnlich stark werden wie in physischer Hinsicht, um zu Bestleistungen fähig zu sein.
Suter, 30 Jahre alt, legte während dieses Reifeprozesses einen Teil ihrer Verbissenheit ab, setzte sich selbst weniger unter Druck. Sie lernte, rascher mit schlechten Leistungen abzuschliessen, öffnete sich ihrem Umfeld. Sie vermied es, Kontrolle über alles haben zu wollen und sich in Details zu verlieren. Der Knoten platzte bei der Schwyzerin an den WM 2019 in Are, dort gewann sie Silber in der Abfahrt und Bronze im Super-G. Seitdem hat sie es 24 Mal auf das Weltcup-Podest geschafft.
Doch die Verletzung von vergangenem Jahr stellte alles Gelernte auf die Probe. Plötzlich wurde der Körper zum Hindernis – egal, wie stark oder entschlossen der Kopf war. Suter erweiterte ihr Können um eine neue Fähigkeit und lernte Geduld. Wenn sie heute über diesen Prozess spricht, lacht sie und klingt dabei halb erstaunt und halb belustigt, dass ihr das gelungen ist. Ihre Familie sagte: «Wir erkennen dich nicht wieder.» Suter sagt, sie sei überzeugt, dass sie vor zehn Jahren nicht so gelassen mit dem Rückschlag umgegangen wäre.
Suters Bilanz: fünf Medaillen aus neun WM-Rennen
Ein Kreuzbandriss gehört zu den häufigsten Verletzungen im Skisport, die Dauer des Heilungsprozesses ist schwierig vorauszusagen. Das zeigt der Fall der Gesamtweltcup-Siegerin Petra Vlhova, die sich sechs Tage vor Suter am Kreuzband verletzte und immer noch um eine Rückkehr kämpft. Suter hingegen fährt an den laufenden WM in Saalbach um die Medaillen mit, schon wieder. Von neun WM-Rennen beendete sie fünf auf dem Podest. Nur an ihren ersten Titelkämpfen 2017 in St. Moritz verpasste sie eine Medaille.
Seither aber hat sie sich zur Frau für die grossen Momente entwickelt, Suter gewann WM-Medaillen in beiden Speed-Disziplinen, wurde 2021 Abfahrts-Weltmeisterin, erlebte mit dem Olympiasieg in der Abfahrt 2022 einen Höhepunkt. Während Grossanlässen blendet sie den Rummel aus, bündelt ihre Energie und entfesselt diese im Rennen.
Gelingt ihr das auch in Saalbach?
In jüngster Zeit stand Suter zweimal auf dem Podest, einmal im Super-G in Cortina d’Ampezzo und einmal in der Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen. Das Knie ist verheilt, Suter fährt im Training wieder dieselben Umfänge wie vor der Verletzung. Doch sie braucht mehr Vertrauen als andere, um ihre Leistung abzurufen. Dieses erarbeitet sie sich mit vielen Trainingskilometern. Der Gruppentrainer Roland Platzer sagt: «Sie ist die Erste am Berg, fährt immer zwei Läufe mehr, da müssen wir sie fast bremsen. Aber nur mit viel Umfang findet sie das Vertrauen.»
Wegen der fehlenden Trainingskilometer sucht Suter noch das spezielle Gefühl am Start, das sie zu ihren besten Zeiten begleitet hat. Dieses Gefühl in Worte zu fassen, fällt ihr schwer, sie sagt: «Wenn das Vertrauen da ist, kann ich einfach fahren. Ohne mir Gedanken zu machen, ob ich hier etwas direkter fahren soll oder dort einen Meter mehr geben muss.»
Der Weg zurück zu diesem Zustand benötigt viel Zeit. Zumal sich Suter für einen defensiven Weg entschieden hat. Sie liess sich in der Saisonvorbereitung Zeit mit der Rückkehr auf den Schnee. Sie unternahm den nächsten Schritt erst, wenn das Knie nicht mehr schmerzte oder anschwoll. Suter zwang sich, die Ratschläge des medizinischen Teams zu befolgen, und akzeptierte, dass der Körper den Rhythmus bestimmte. Das zwang sie zu Geduld, weil sie nur ganz zu Beginn Schmerzen verspürte und danach das Gefühl hatte, mehr trainieren zu können.
Der Austausch mit Lindsey Vonn half Suter
Erst Mitte August begann Suter mit Schneetraining, zwei Wochen lang fuhr sie frei, ohne Rennski, zuerst nur drei, vier Fahrten pro Tag. Der Trainer Platzer kehrte danach früher aus dem Trainingslager in Südamerika zurück, um mit Suter den technischen Aufbau zu machen. Suter beschränkte sich zunächst auf den Riesenslalom, erst Ende Oktober kehrte sie ins Speed-Team zurück. Suter tauschte sich während des Aufbaus mit Lindsey Vonn aus, die sich als eine der Ersten bei ihr gemeldet hatte nach dem Kreuzbandriss. Zweifelte oder zögerte Suter, schrieb Vonn: «Stop that!»
Zum Auftakt der Saison verlor Suter im ersten Abfahrtstraining in Beaver Creek vier Sekunden, ihr fehlte das Vertrauen, «wenn es einfach wäre, würden es alle machen», sagte sie dazu im Dezember in St. Moritz. «Ich versuche schon, Vollgas zu geben und zu riskieren. Aber der Kopf ist das eine, der Körper das andere.»
Ausgerechnet im Super-G gelang Suter Mitte Januar der erste Podestplatz des Winters. In der Disziplin also, in der Skifahrerinnen wegen des fehlenden Trainings noch viel mehr auf ihr Gespür angewiesen sind als in der Abfahrt, um sich voller Vertrauen die Piste hinunterzustürzen. Suter sagt, sie müsse sich in gewissen Situationen nach wie vor überwinden, der Flow fehle noch: «Bisher war jedes Rennen der Saison eine riesige Herausforderung.»
Die WM in Saalbach beginnen für Suter am Donnerstag um 11 Uhr 30, mit dem Super-G. Die Strecke lernte sie erst in zwei Abfahrtstrainings kennen, in denen sie sich stark steigerte. Ihre Vergangenheit an Grossanlässen verleiht ihr etwas Sicherheit. «Aber Erfolg ist so vergänglich», sagt sie, «ich bin mit derselben Einstellung, Nervosität und Anspannung hier wie bei früheren Weltmeisterschaften.»
Immerhin kennt sich Suter mit Ungewissheit vor Grossanlässen aus. Vor zwei Jahren stürzte sie in Cortina d’Ampezzo kurz vor den WM heftig. Sie erlitt eine Hirnerschütterung und reiste nach Méribel und Courchevel, ohne zu wissen, was funktionieren würde. Dann funktionierte es besser als gedacht: Suter gewann in der Abfahrt die Bronzemedaille.