Bauarbeiter, Wäscherinnen, Haushaltsangestellte: Als um 1900 ein Kanal gebaut wird, der Atlantik und Pazifik verbindet, treffen in Panama unterschiedlichste Menschen aufeinander. Cristina Henríquez’ Roman «Der grosse Riss» gibt ihnen eine Stimme.
Lange hatte man von ihm geträumt, doch als er beginnt, ist der Bau des Panamakanals in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine ungeheure Plackerei. Inmitten lärmender Dampfbagger und hämmernder Felsbohrer schaufeln Arbeiter mit Blasen und blutigen Händen den USA eines der letzten Hindernisse auf dem Weg zu Weltmacht aus dem Weg.
Auf den ersten Blick eine Welt der Männer. Doch auch die sechzehnjährige Ada Bunting hofft in diesem Umfeld Arbeit zu finden. Als blinde Passagierin hatte sich die Nachfahrin von Plantagensklaven in Barbados auf einem Raddampfer der Royal Mail versteckt und war im Hafen von Colón von Land gegangen. Ada will Geld nach Hause schicken, um der kranken Schwester die dringend notwendige Operation zu bezahlen. Die erste Nacht streift sie im Wald umher, nächtigt in einem ausrangierten Güterwaggon.
Ada ist neben dem Fischer Francisco und seinem Sohn Omar, einem Fischhändlerehepaar und dem aus den USA stammenden John Oswald, dem Spross einer Familie von Holzfabrikanten, eine der Hauptfiguren in Christina Henríquez’ Roman «Der grosse Riss». Der wichtigste Schauplatz ist die am höchsten Punkt der Kanalroute und ungefähr in der Mitte zwischen dem Atlantik und dem Pazifischen Ozean gelegene Stadt Empire.
Ziviler Protest
Durch einen Zufall bekommt Ada hier eine Anstellung als Pflegerin von Johns junger Frau Marian, die schwer erkrankt das Bett hüten muss. John ist Mediziner und hat sich eines vorgenommen: Er will die unter den Arbeitern grassierende und häufig tödliche Malaria ausrotten. Er vertritt die damals noch heftig umstrittene These, dass Moskitos für deren Verbreitung in dem sumpfigen Land verantwortlich sind.
Der Perspektive der Frauen, die als Wäscherinnen, Haushaltsangestellte und im Handel unabdingbar waren und auch in der Oberschicht unter patriarchalen Verhältnissen leiden, räumt die Autorin breiten Raum ein. Sie zeigt uns Lesende eine Welt, in der Rassismus selbstverständlich zum Alltag gehört. Als Marian nach einer Hilfe im Haushalt sucht, hört sie von einer aus Georgia stammenden weissen Frau: «Die Schwarzen hier sind nicht wie die Schwarzen zu Hause. Sie tun nicht, was man ihnen sagt, und offenbar bringt sie keine Ermahnung der Welt dazu, schneller zu arbeiten.»
Gegen die Vorherrschaft der amerikanischen Siedler beginnt sich in der gerade von Kolumbien unabhängig gewordenen panamaischen Bevölkerung mancherorts ziviler Protest zu formieren. Das zeigt die Autorin am Beispiel des lokalen Widerstands gegen ein Umsiedlungsprojekt. Deutlich wird, dass der von aussen importierte Fortschritt Fluch und Segen zugleich ist.
Papayas aus Florida
Dabei tritt das Machtgefälle zwischen den Einheimischen sowie den karibischen Arbeitskräften und denen, die das Sagen haben, immer deutlich hervor. An einer Stelle lässt Henríquez die Erzählstimme sagen: «Alles in der Kanalzone – Geschäfte, Eisenbahnwaggons, Speisesäle, Unterkünfte, Postämter und der Lohn – war aufgeteilt in Gold und Silber. Gold waren die Nordamerikaner.» Anschaulich wird die Situation, die de facto eine spätkoloniale ist, als Marian beim Einkauf bemerkt, dass Papayas, die doch vor Ort wachsen, eigens aus Florida importiert werden.
Stark ist das Buch immer dann, wenn es Henríquez gelingt, die Motivationen, Ziele, aber auch die Zwänge, unter denen ihre Figuren handeln, plastisch herauszuarbeiten. Etwa als sie schildert, wie die als Pflegerin im Hause der Oswalds arbeitende Ada dazu gezwungen ist, einen für Weissen bestimmten Laden zu betreten, weil es die einzige Möglichkeit ist, ein womöglich lebensrettendes Medikament für ihre ans Bett gefesselte Dienstherrin zu kaufen.
Die voneinander abweichenden materiellen Lebensumstände der männlichen und weiblichen Protagonisten, die Arbeitssituation auf den Baustellen oder in den Haushalten werden deutlich – ebenso die ungleiche Verteilung der Bildungschancen zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Allerdings gelingt es der Autorin nur unzureichend, die Unterschiede im Denken, Fühlen und Reden in der Sprache zum Klingen zu bringen.
Die am Bau des Kanals Beteiligten sind enormen Belastungen ausgesetzt. Viele von ihnen scheitern daran, greifen zu Alkohol und Drogen. Davon zeichnet Henríquez ein tiefenscharfes Bild. Doch statt das Agieren der Protagonisten konsequent aus ihrem Tun heraus begreiflich zu machen, greift sie allzu oft zu einem auch unter Autoren von TV-Serien beliebten erzählerischen Trick: Sie setzt Rückblenden ein, die den Erzählfluss bremsen, ohne dass dies nötig wäre. Henríquez erklärt, wo sie zeigen sollte. Sie hat einen gründlich recherchierten, lehrreichen Roman vorgelegt. Nur streckenweise auch einen wirklich überzeugenden.
Cristina Henríquez: Der grosse Riss. Roman. Aus dem Englischen von Maximilian Murmann. Hanser-Verlag, München 2025. 416 S., Fr. 36.90.