Am Valentinstag wird die romantische Paarbeziehung zelebriert. Doch was ist mit den Freundschaften, die uns durchs Leben tragen? Ein Plädoyer für die platonische Liebe.
Kein anderer Tag führt mir mein Single-Dasein so deutlich vor Augen wie der Valentinstag. In meinem Postfach landet ein Newsletter mit der Überschrift: «Kissing Season» – schön, nur habe ich gerade niemanden zum Küssen. Im Restaurant, das ich heute Abend mit meiner Schwester besuchen wollte, sind alle Zweiertische bereits seit einer Woche reserviert. Und plötzlich sehe ich an jeder Ecke einen Blumenladen. Auf wen wohl heute alles zu Hause ein Strauss Rosen wartet?
Während Personen in Beziehungen den Valentinstag oft belächeln und betonen, dass sie keinen bestimmten Tag brauchen, um ihre Liebe zu zeigen, fühle ich mich an diesem Tag von der Gesellschaft ausgeschlossen. Der ohnehin präsente Wunsch nach jemandem, mit dem ich den Alltag teilen kann, wird grösser. Die Sehnsucht nach einem Menschen, der Stabilität in mein 25-jähriges, durch Fragen der Selbstfindung verunsichertes Leben bringt, wächst.
Die Liebe in der Freundschaft finden
Im Buch «Conversations on Love», einem Sammelband von Gesprächen der Autorin Natasha Lunn mit Expertinnen und Experten unter anderem über das Finden von Liebe, spricht die britische Journalistin etwa mit Alain de Botton, dem in Zürich geborenen und in London lebenden Schriftsteller und Philosophen. Er sagt, dass viele das Gefühl hätten, ihr Leben sei ohne eine romantische Beziehung unvollständig. Würden sie dann gefragt, was ihnen in ihrem Single-Dasein fehle, nennten sie Dinge wie etwa Verbundenheit oder intellektuelle Stimulation. Sachen, die ausserhalb romantischer Beziehungen existierten, so de Botton – und in unserem Leben dank Freundschaften bereits präsent seien.
«Mein Alltag ist durchdrungen von kleinen Zeichen der Zuneigung meiner Freundinnen und Freunde.»
Ich erinnere mich an einen Chat mit meiner besten Freundin. «Ich will Liebe», stand in der Nachricht, die ich ihr schickte. Sie entgegnete: «Du wirst schon geliebt. Von uns, deinen Freundinnen und Freunden.» Stimmt. Und plötzlich nehme ich sie überall wahr, die Liebe. Auf der Arbeit, als mir eine Kollegin eine Portion der Resten ihres Abendessens zum Zmittag mit ins Büro bringt. In Gesprächen mit meinem besten Freund, der mir aufmerksam zuhört und mich durch das Stellen der richtigen Fragen näher zu mir selbst bringt. Oder im selbst gestalteten Brief, den mir meine Mitbewohnerin nach einem emotional anstrengenden Wochenende auf mein Kopfkissen legte.
Mein Alltag ist durchdrungen von kleinen Zeichen der Zuneigung meiner Freundinnen und Freunde. Und das, ohne dass ich sie danach gefragt habe. Wieso empfinde ich diese platonische Form der Liebe als weniger wertvoll als die romantische?
Eine Bezugsperson reicht nicht aus
Wir tendieren dazu, romantische Beziehungen gegenüber platonischen zu idealisieren. Viele Alleinstehende wiegen sich im Glauben, und davon will ich mich nicht ausschliessen, mit einer romantischen Partnerschaft liesse sich das Leben leichter bestreiten. Gewiss scheint der Alltag durch das Verliebtsein für eine bestimmte Zeit schöner. Über längere Zeit sollte man das eigene Wohlergehen jedoch besser nicht von nur einer Person abhängig machen. Sein gesamtes finanzielles Vermögen würde man schliesslich auch nicht in nur eine Wertanlage investieren.
«Freunde begleiten uns durch sämtliche Phasen des Lebens.»
Eine Studie von Elaine Chung aus dem Jahr 2015 konnte aufzeigen, dass Menschen, die ihre emotionalen Bedürfnisse auf mehrere Bezugspersonen verteilen, tendenziell glücklicher sind als jene, die sich auf wenige beschränken. Für ein unbeschwertes Leben reicht eine einzige romantische Beziehung nicht aus. Enge Freundschaften sind mindestens genauso wichtig. Und ein Ort, aus dem wir täglich Liebe schöpfen.
«Unsere Freundinnen und Freunde bieten Stabilität und Kontinuität in einer sich stets verändernden Welt», schreibt die Psychotherapeutin Esther Perel in ihrem Blog «Letters from Esther». Liebschaften kommen und gehen, aber unsere Freunde, die bleiben. Sie sind es, die uns durch sämtliche Phasen des Lebens begleiten. Die zu Hause die Stellung halten, wenn wir für längere Zeit verreisen. Die wir als Erstes Anrufen, wenn die romantische Beziehung zu bröckeln beginnt.
Bereits der griechische Philosoph Aristoteles verstand die Freundschaft als mächtigste Form der Liebe. Als eine Verbindung zwischen Menschen, die wir brauchen, um selbst aufzublühen. Weil Freunde uns so akzeptieren, wie wir sind, gewinnen wir an Selbstvertrauen.
Freundschaft als Zone der Freiheit
Besonders schön am Konzept der platonischen Liebe: Ich bin frei in der Art und Weise, wie ich sie ausüben möchte. Freundschaft folgt im Vergleich zur romantischen Partnerschaft keinem vorskizzierten Plan. Aussenstehenden käme es beispielsweise nicht in den Sinn, zwei Freunde zu fragen: «Habt ihr schon ‹Ich liebe dich› gesagt?» Auch würde von ihnen nicht erwartet, dass sie irgendwann zusammenziehen, heiraten oder Kinder bekommen.
Freundschaften funktionieren nach eigens aufgestellten Regeln, die weiter gefasst sind als jene romantischer Partnerschaften. Auf Freundschaften liegt weniger Gewicht, sie sind freiwillig und spontan. So mag es manchmal Zeiten geben, in denen man etwas distanzierter voneinander ist. Ein Grund zum Beenden der Beziehung ist dies noch lange nicht. Ich darf mich bei guten Freunden immer darauf verlassen, dass sie im Ernstfall um jede Uhrzeit ans Telefon gehen. Auch heute – am Valentinstag.