Der amerikanische Aussenminister hat einen der schwierigsten Jobs der Welt gefasst – in einer gefährlichen Zeit. Viele Hoffnungen ruhen auf ihm. Doch prägnant wirkt seine Rolle bis jetzt nicht.
Er hat mehr Erfahrung in der Aussen- und Sicherheitspolitik als alle anderen Mitglieder in Trumps Kabinett. Über zehn Jahre lang sass Marco Rubio im Committee of Foreign Relations des Senats; 2020 leitete er die Geheimdienstkommission. Doch in den vergangenen turbulenten Tagen wirkte Rubio seltsam abwesend. Es war der Nahostbeauftragte Steve Witkoff, der nach Moskau flog, um einen Gefangenenaustausch auszuhandeln. Es war Verteidigungsminister Pete Hegseth, der die Nato-Partnerländer in Europa aufscheuchte.
Letztlich ist es immer Trump, der in der Trump-Regierung die Dynamik bestimmt. Rubio wusste, was ihn als Aussenminister erwartet: «Er sagt, was er tut, und dann tut er’s. Aussenpolitik funktioniert besser mit einer solchen Führung», meinte Rubio Ende Januar im Interview mit der Journalistin Megyn Kelly. Auf die schelmische Nachfrage, ob das den Job leichter mache für ihn, antwortete er mit einem entschiedenen: «Ja.»
Das war, bevor er seine erste Dienstreise antrat und erlebte, auf welche Achterbahn er sich begeben hatte. Rubio – der erste amerikanische Aussenminister mit Latino-Wurzeln – tourte soeben in Zentralamerika, um erste Lorbeeren als Aussenminister einzusammeln. Obwohl ihm migrationspolitisch Beachtliches gelang, schien seine Jungfernreise kaum zu interessieren. Denn in Washington jagte ein politischer Eklat den anderen – und holte Rubio ein.
USAID-Shutdown und «Riviera»-Eklat
Am dritten Tag seiner Reise wurde er zum Chef von USAID ernannt. Die plötzliche Stilllegung der Entwicklungsorganisation mit fast 10 000 Mitarbeitern hatte ein enormes Chaos verursacht. Rubio ordnete sofort eine Ausnahmeregelung für lebensnotwendige Entwicklungshilfe an, was beschränkt funktionierte, weil die Zahlungs- und Kommunikationskanäle schon gekappt waren. Rubio, der sich als Senator für die Finanzierung von USAID eingesetzt hatte, ist nun für die unordentliche Abwicklung der global tätigen Organisation zuständig.
Dann kam der nächste Eklat: Trumps Vorstoss, den Gazastreifen in eine «nahöstliche Riviera» zu verwandeln – als eine Kolonie der USA –, schickte Schockwellen durch die Welt. Nur ein enger Kreis im Weissen Haus habe im Voraus davon gewusst, berichtet CNN und nennt den Nahostbeauftragten Steve Witkoff als wichtigsten Influencer. Ob Aussenminister Marco Rubio vorinformiert wurde, ist nicht bekannt. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in Guatemala.
Aus der Ferne übte Rubio die Deeskalation. Für das «grosszügige Angebot» des Präsidenten sollten die Palästinenser dankbar sein. Ihre Umsiedlung sei bloss temporär, während der Aufbauarbeiten, interpretierte er, offensichtlich bemüht, die Vorwürfe einer ethnischen Säuberung zu entschärfen. Inzwischen hat Trump aber nachdrücklich erklärt, dass die zwei Millionen Palästinenser dauerhaft umgesiedelt würden. Zum ersten Mal musste man sich fragen: Wie viel gilt das Wort von Aussenminister Rubio? Geniesst er das Vertrauen von Trump?
Alle Senatoren für Rubio
Donald Trumps Aussenminister zu sein, ist zweifellos einer der schwierigsten Jobs, den man sich aussuchen kann. Denn Präsident Trump lanciert Ideen, ohne sie vorher mit seinem Beraterstab oder den zuständigen Ministern abzustimmen. Davon können Rubios Vorgänger ein Lied singen: Rex Tillerson hielt sich gut ein Jahr im Amt, bevor er sich mit Trump zerstritt. Mike Pompeo erwies sich als ein loyaler Aussenminister, der stoisch den Kopf unter Wasser hielt. Doch kürzlich entzog Trump ihm den Personenschutz – obwohl er von Iran bedroht wird. Trumps Dank für Pompeos Treue reichte nicht weit.
Marco Rubio traut sich viel zu – und er ist nicht allein. Während andere Nominierungen für Trumps Kabinett für Kontroversen sorgten, wurde Marco Rubio einstimmig bestätigt. Das ist eine Seltenheit im polarisierten Kongress.
Das Wunderkind der Republikaner
Der Sohn kubanischer Auswanderer interessierte sich schon im Kindesalter für Politik. Damals nannte man ihn Tony, wie er in seiner Autobiografie «An American Son» erzählt. Als 13-Jähriger überzeugte er seinen Vater, der als Bartender in Las Vegas arbeitete, an einem Streik der Gastronomiearbeiter teilzunehmen, und malte die Plakate. Im Alter von 14 Jahren zog Rubio zurück nach Florida, wo er von den konservativen Werten der exilkubanischen Gemeinschaft geprägt wurde. Mit 29 war er Parlamentarier in Florida, zehn Jahre später wurde er in den Senat gewählt, auf der Welle der Tea-Party-Bewegung und mit der Hilfe des jüdisch-konservativen Milliardärs Sheldon Adelson.
In Washington sahen Republikaner im Latino-Politiker die republikanische Antwort auf Barack Obama. «Der beste Kommunikator seit Ronald Reagan», entzückte sich etwa der frühere Politstratege von Präsident George W. Bush, Karl Rove. Im Senat positionierte sich Rubio als aussenpolitischer Falke und als Anti-China-Turbo.
Vom Trump-Gegner zum Trump-Partner
Niemand war erstaunt, als Rubio 2015 für die Präsidentschaft kandidierte. Im dicht besetzten Kandidatenkarussell der Republikaner präsentierte sich der Senator aus Florida als schnittige junge Alternative zu seinem Mentor Jeb Bush – etwas Establishment, aber näher am Volk. Doch Donald Trump, der Kandidat der Stunde, ruinierte Rubios Ambitionen. Wie eine Dampfwalze fuhr er über seine republikanischen Rivalen hinweg – auch «little Marco», wie er Rubio nannte, hatte keine Chance.
Die Ära Trump begann, und Rubio passte sich früher als andere Republikaner dem Zeitgeist an. Viele staunten über die Wandlungsfähigkeit von Rubio. Er sah es sportlich: «Wer fragt schon den Sieger eines Boxkampfs, warum er dem Gegner in der dritten Runde ins Gesicht geschlagen hat?» Der ehemalige Wirtschaftsliberale sprang auf den ökonomischen Populismus der «Make America great»-Bewegung auf und dehnte seinen aussenpolitischen Einfluss aus. Die «New York Times» nannte ihn den «Schattenaussenminister für Lateinamerika». Am 6. Januar 2021 zertifizierte er nach dem Sturm auf das Capitol Joe Bidens Wahlsieg – ein Schritt, den ihm Trump offenbar verziehen hat.
Ein überzeugter «America first»-Aussenminister
Auch für das Amt des Aussenministers von Trump positionierte sich Rubio geschickt. So stimmte er letzten Frühling im Senat gegen das sechs Milliarden Dollar schwere Hilfspaket für die Ukraine. In Interviews nach seinem Amtsantritt vertritt er eine scharfe «America first»-Haltung. Hohe Priorität sieht Rubio im Schutz der westlichen Hemisphäre gegen chinesischen Einfluss, von Panama bis Grönland. In der Ukraine fordert er, wie Trump, eine möglichst schnelle Friedenslösung. Die USA seien nicht bereit, einen endlosen Krieg zu finanzieren. Allerdings sei es entscheidend, dass die Souveränität und die Sicherheit der Ukraine gewährleistet blieben: «Wir wollen eine nachhaltige Lösung, wir wollen nicht in zwei Jahren wegen eines neuen Krieges wieder hier sein.»
Hört man genau hin, gibt es feine Differenzen zwischen Rubios Rede und den Hauruck-Ankündigungen von Präsident Trump und anderen Exponenten im Trump-Team. Zwar verlangt auch Rubio, dass die europäischen Nato-Länder massiv aufrüsten. Ebenso findet er es nicht mehr sinnvoll, dass die USA in erster Linie für die Sicherheit Europas garantieren. Im Gegensatz zu Verteidigungsminister Hegseth sagt er aber, das sei ein langfristiges Ziel. «America First does not mean America Alone», postete Rubio am Donnerstag.
Die Frage ist, ob sich Marco Rubio mit seinem nuancierteren Stil bemerkbar machen kann, wenn demnächst die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in der Ukraine beginnen. Er ist Teil der amerikanischen Delegation, die Trump bestimmt hat. Es wird sich zeigen, ob die Erfahrung, die Elastizität und das Kommunikationstalent von Rubio zu konstruktiven diplomatischen Resultaten führen – und ob man ihn lässt.