In unserer von Elektronik dominierten Welt umgibt uns Magnetismus beinahe überall. Mechanische Armbanduhren haben damit oft ein Problem. Doch es gibt mittlerweile Lösungen.
Eine der mysteriösesten Kräfte auf der Erde ist der Magnetismus, der dafür sorgt, dass bestimmte Metalle aus der Erdkruste eisenhaltige Materialien mit einer unsichtbaren Kraft anziehen: Magnete. Dabei sind sie auch noch fähig, Metalle anzustecken und ebenfalls magnetisch zu machen. Metallspulen, die von elektrischem Strom durchflossen werden, entwickeln ein Magnetfeld, das sich sogar abschalten lässt.
In unserer Welt, die vor elektrischen und elektronischen Geräten nur so strotzt, ist elektrisch erzeugter Magnetismus fast überall anzutreffen. Computer, Lautsprecher, Zündspulen, medizinische Geräte und solche des Haushalts, sie alle erzeugen Magnetfelder, die wir selbst gar nicht wahrnehmen, da wir Magnetismus weder sehen noch spüren können.
Mechanik reagiert empfindlich auf Magnetismus
Ausgerechnet die mechanische Uhr, die uns täglich begleitet und alles Mögliche mitmacht, ist ausserordentlich empfindlich gegenüber dieser Kraft. Genaugenommen ist es ein winziges Bauteil in der Uhr, das davon betroffen ist: die Spiralfeder, die dafür sorgt, dass die Unruh in Bewegung bleibt und die Hemmung zum unverkennbaren Ticktack angeregt wird. Dass Magnetismus einen schädlichen Einfluss auf dieses Stahlteil hat und es aus dem Takt bringen kann, weiss man schon seit Jahrhunderten, und so haben Uhrmacher und Metallurgen schon lange nach Lösungen für dieses Problem gesucht.
Eine davon besteht darin, das gesamte Uhrwerk in eine Dose aus Weicheisen zu stecken, ein Metall, das gegen Magnetfelder abschirmen kann, ähnlich wie ein Faradayscher Käfig gegen Blitze schützt. Die elegantere Lösung besteht aber darin, ein nicht magnetisches Metall für die Feder zu finden. Dieses Metall konnte aber trotz allen Fortschritten in der Metallurgie lange nicht gefunden werden. Heutige Legierungen für Unruhspiralen sind zwar weitgehend gegen Hitze und Kälte gefeit, indem sie sich kaum mehr ausdehnen oder zusammenziehen. Gegen Magnetismus sind die meisten aber noch immer nicht vollends immun.
Silizium, ein Werkstoff ist immun
Man suchte also weiter und wurde um das Jahr 2000 bei Materialien fündig, die keine Metalle sind. Silizium ist ein in der Elektronik weit verbreiteter Werkstoff, der den Halbleitern zugeordnet wird, ein Material, das bestimmte Eigenschaften von Metallen und Mineralien vereint. Dass dieses Material elastische und mechanische Eigenschaften aufweist, die für die Uhrmacherei ideal sind, darauf kamen findige Köpfe erst gegen Ende der 1990er Jahre. Silizium kann zu Spiralfedern und anderen winzigen Komponenten verarbeitet werden, welche damit ausgerüstete Uhren gegen starke Magnetfelder resistent machen.
Der Werkstoff hat allerdings für manche Marken einen gravierenden Nachteil: Die Verwendung zur Herstellung von Unruhspiralen ist seit rund 25 Jahren patentiert und darf ausschliesslich von Marken der Swatch Group, von Rolex, Patek Philippe und Ulysse Nardin verwendet werden.
Omega hat viel in die Forschung investiert, um auch die übrigen eisenhaltigen Komponenten wie Achsen und Triebe gegen Magnetfelder unempfindlich zu machen, und führte 2015 gemeinsam mit dem Eidgenössischen Institut für Metrologie (Metas) das neue Zertifikat Master Chronometer ein. Es setzt neben der Zertifizierung der Offiziellen Schweizer Kontrollstelle für Chronometer (COSC) für besonders gute Gangergebnisse eine Prüfung der Magnetfeldresistenz bis 15 000 Gauss voraus, also ungefähr die Feldstärke, die in einem Magnetresonanztomografen wirkt. Die Prüfungen der Uhrwerke und Uhren werden in den Räumlichkeiten des Herstellers durch Mitarbeiter des Metas durchgeführt.
Die neue Norm ist auch für andere Marken nutzbar. Bis heute ist Tudor (gehört zu Rolex) die einzige Marke ausserhalb der Swatch Group, die einen Teil ihrer Uhren als Master Chronometer zertifizieren lässt. Aber auch innerhalb der Swatch Group ist Omega die einzige Marke, die die Dienste des Metas bis jetzt nutzt. Rolex hatte bis 2023 ein Modell mit erhöhtem Magnetschutz im Sortiment. Das Modell «Milgauss» mit dem charakteristischen blitzförmigen Sekundenzeiger, das sich mit einem Weicheisen-Innengehäuse gegen Magnetismus schützt, fehlt seither. Wer weiss, vielleicht nutzt Rolex die von Tudor gesammelten Erfahrungen mit der Metas-Zertifikation und bringt dieses Jahr eine «Milgauss» mit ähnlich hohem Magnetschutz?
2018 brachte die Swatch Group gemeinsam mit Audemars Piguet eine weitere Sensation auf den Markt: eine amagnetische Unruhspirale aus Metall. Dank der Verwendung von Titan anstelle von Eisen besitzt diese Legierung mit dem Namen Nivachron die Eigenschaften, nach denen die Uhrenindustrie so lange gesucht hat. Unruhspiralen aus Nivachron lassen sich auch in Uhrwerke einbauen, die bisher mit konventionellen Spiralfedern bestückt waren, ohne diese modifizieren zu müssen. Sie passen optisch besser zu traditionell aufgebauten und gefertigten Uhrwerken, und sie lassen sich durch geschickte Hände auch in spezielle Formen wie etwa die Breguet-Spirale biegen.
Falls Ihre Uhr keine dieser Errungenschaften an Bord hat, was ziemlich wahrscheinlich ist, da der Grossteil der bisher produzierten Uhren noch mit konventionellen Unruhspiralen ausgestattet ist, dann gibt es einen Trost: Sollte Ihre Uhr einmal magnetisiert werden – das merken Sie am ehesten, wenn die Uhr auf einmal schneller geht als normal –, kann dieser Umstand ohne grossen Aufwand rückgängig gemacht werden. Gut ausgerüstete Uhrmacherateliers besitzen ein Gerät, mit dem man die Unruhspirale entmagnetisieren kann. In der Regel muss man dazu nicht einmal die Uhr öffnen.