Nach dem hässlichen Streit im Oval Office ist das Verhältnis zwischen Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten zerrüttet. Es droht ein politischer Bruch, der für die Ukraine katastrophale Folgen hat. Der lachende Dritte heisst Putin.
Jahrelang hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski im Umgang mit Donald Trump einen bewundernswerten Hochseilakt vollführt. So übel ihm der amerikanische Präsident auch mitspielte – Selenski behielt die Nerven. Als Trump 2019 in seiner ersten Amtszeit die Ukraine politisch zu erpressen versuchte und dadurch in den Strudel eines Impeachment-Verfahrens geriet, zog sich Selenski diskret aus der Affäre. Er kritisierte Trump auch nicht, als dieser im letztjährigen Wahlkampf offen für ein Ende der Militärhilfe an die Ukraine warb. Das war taktisch geschickt. Doch an diesem schwarzen Freitag brannten Selenski offenkundig alle Sicherungen durch. Die Folgen werden drastisch sein.
Noch nie in der Geschichte des Weissen Hauses hat die Weltöffentlichkeit einen solchen Streit im Amtszimmer des amerikanischen Präsidenten erlebt. 40 Minuten lang schien das Treffen zwischen den beiden Staatsmännern in einigermassen guten Bahnen zu verlaufen. Doch dann eskalierte das Ganze in wenigen Augenblicken. Der Eklat begann, als sich Vizepräsident J. D. Vance in das Gespräch einschaltete und Selenski ihm klarzumachen versuchte, dass nach den unzähligen Wortbrüchen des Putin-Regimes Diplomatie mit Russland illusionär sei. Das war ein offener Angriff auf Trumps Versuch, einen Frieden zu vermitteln.
Es folgte ein Hin und Her, das darin gipfelte, dass Trump mit hochrotem Kopf seinem Gast mangelnde Dankbarkeit vorwarf und ihn vor ein Ultimatum stellte: «Entweder unterzeichnen Sie ein (Friedens-)Abkommen, oder wir sind draussen.» Der Präsident drohte damit den Stopp jeglicher Unterstützung für das Kriegsland an und rieb Selenski noch unter die Nase, dass dieser über keine guten Karten verfüge. Der Gast wurde anschliessend aus dem Weissen Haus geführt, ohne das geplante Mittagessen und ohne die feierliche Unterzeichnung des eben erst ausgehandelten Rohstoffvertrags. Statt die Basis für eine weitere Zusammenarbeit zu legen, stehen die beiden Länder vor einem Scherbenhaufen.
Fataler Fehler im Umgang mit Trump
Auf einer persönlichen Ebene hat Selenski viel Sympathie verdient: All die Falschinformationen, die Trump in den letzten Wochen über die Ukraine und ihren Präsidenten verbreitet hatte, hinterliessen eine verständliche Frustration. Erst recht enttäuschend ist die Weigerung der neuen amerikanischen Regierung, gemeinsam mit den Europäern zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine beizutragen. Stattdessen äusserte Trump bei dem Treffen die naive Ansicht, dass man Putin vertrauen könne und allein schon die Präsenz amerikanischer Rohstofffirmen in der Ukraine genug Abschreckung gegenüber Russland darstellen werde.
Aber Selenski beging den Fehler, vor laufenden Kameras eine Grundsatzdebatte führen zu wollen, für die das Oval Office der falsche Ort war. Seine abweichende Haltung hätte er besser hinter verschlossenen Türen deutlich gemacht. Sein Gastgeber ist ein Narzisst mit unendlichem Geltungsdrang und einer Sucht nach Schmeicheleien. Da ist es ein denkbar schlechtes Rezept, ihn in aller Öffentlichkeit zu korrigieren, seinen Vorgänger Biden in Schutz zu nehmen und Trumps Friedensplan als untauglich hinzustellen.
Selenski hat in der Sache zwar recht – dem Kreml ist nicht zu trauen, ohne entschlossenen westlichen Rückhalt wird es für die Ukraine keinen Frieden geben, und Hilfe an Kiew ist kein blosses Almosen, sondern dient ebenso amerikanischen Interessen. Die abschätzige Art, wie die Administration Trump mit der vom Untergang bedrohten Ukraine umspringt, wirkt beschämend. Aber Selenski hätte sich keiner Illusion hingeben sollen, wer in dieser schwierigen Beziehung der Schwächere ist. In Washington gibt es, wie es Vance kürzlich ausdrückte, einen «neuen Sheriff in der Stadt». Dieser Machtwechsel ist für die Ukraine gefährlich, aber nichtsdestoweniger eine Realität. Es ist schwer begreiflich, weshalb sich Selenski vor dem wichtigen Treffen keine bessere Taktik zurechtgelegt hatte.
Nun muss Selenski rasch handeln
Nun haben die Interessen der Ukraine Schaden erlitten; auch ihre politischen Unterstützer in Amerika geraten in die Defensive. Selenski muss deshalb schnell handeln, um einen völligen Bruch mit der Regierung Trump abzuwenden. Ohne eine förmliche Entschuldigung für seine Rolle bei dem Eklat wird dies kaum funktionieren. Vielleicht ist es dafür aber bereits zu spät, und Trump wendet sich endgültig von der Ukraine ab und Russland zu. Allerdings ist es auch für den amerikanischen Präsidenten politisch riskant, wenn das Verhältnis mit Kiew völlig aus den Fugen gerät. Er stünde damit als gescheiterter Vermittler da, und seine überschwänglich formulierte Friedensvision wäre frühzeitig geplatzt.
Niemand weiss, wie Trump nach dem peinlichen Vorfall handeln wird. Sicher ist, dass die ohnehin schon geringen Chancen auf neue grosse Waffenlieferungen der USA weiter gesunken sind. Kündigt Washington die Unterstützung vollständig auf, so hätte dies katastrophale Auswirkungen auf die Ukraine.
Nicht nur leistete Amerika in den bisherigen drei Kriegsjahren mehr Militärhilfe als alle Staaten Europas zusammen. Die Weltmacht verfügt auch über Waffensysteme, die den Europäern fehlen. Sie hat einzigartige Möglichkeiten bei der satellitengestützten Aufklärung sowie die federführende Rolle bei der Logistik hinter den internationalen Hilfslieferungen. Nicht zuletzt ist mit amerikanischem Rückhalt stets eine hohe politische Symbolik verbunden.
Es stehen deshalb Dinge auf dem Spiel, welche die Europäer selbst mit viel Geld nicht aufwiegen können. Freuen kann sich in dieser Situation nur eine Seite – das Putin-Regime in Moskau. Es kann triumphierend zuschauen, wie der Stern Selenskis sinkt und sich die westliche Allianz gleich selbst zerlegt.