Ein russisch-amerikanischer Diktatfrieden in der Ukraine wäre eine Katastrophe für Europa. Die Ukraine muss in ihrem Widerstand durch tatkräftige Hilfe und Vermittlung der Europäer gestärkt werden.
Die Allianz zwischen Europa und den USA hat am Freitag im Oval Office einen einzigartigen Tiefpunkt erlitten. Die Woche war mit schmeichelhaften Besuchen des französischen Präsidenten Macron und des britischen Premierministers Starmer beim eitlen Präsidenten Trump glimpflich verlaufen. Doch dann wurde der ukrainische Präsident Selenski am Freitag nach einem wütenden Disput aus dem Weissen Haus geworfen. Der Eklat stellt die unabdingbare Partnerschaft Europas mit den USA brutal infrage. Und das in einem Augenblick, da der amerikanische Präsident dem russischen Kriegsverbrecher Putin irritierende Avancen macht.
Der offene Streit mit Selenski bedeutet allerdings auch für Präsident Trump eine Niederlage. Er, der im Wahlkampf grossspurig eine Friedenslösung in der Ukraine innert 24 Stunden versprochen hatte, ist vorläufig gescheitert. Das wurde wegen Selenskis verlorener Selbstbeherrschung im Oval Office unerwartet früh und abrupt offenbar, war aber keineswegs überraschend.
Trumps Verhandlungsstrategie war von Anfang an rätselhaft. Sein frischgebackener Verteidigungsminister Pete Hegseth verbreitete Mitte Februar mit Äusserungen zur Ukraine Entsetzen in Europa: Die besetzten Gebiete seien verloren, es werde keinen Nato-Beitritt, keine amerikanische Unterstützung und keine Mitsprache der Europäer geben. Präsident Trump doppelte nach seinem überraschenden Telefonat mit Putin nach. Er zollte Putin Respekt und Lob, wünschte die Rückkehr Russlands an den Tisch der sieben grossen Industriestaaten, stellte eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in Aussicht.
Die Kehrtwende der amerikanischen Aussenpolitik gipfelte in Trumps absurder Behauptung, die Ukraine habe den Krieg begonnen und Selenski, nicht Putin, sei der Diktator. Trump bot Putin mehr Zugeständnisse an, als dieser sich je hatte erträumen können, und das, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen hatten.
Trumps rätselhafte Verhandlungsstrategie
Wer versuchen will, darin einen möglichen Sinn zu erkennen, landet schnell bei dem Grundproblem von Trumps Friedensambition: Putin braucht und will keinen schnellen Frieden. Erstens rückt die russische Armee an der Front stetig voran, da ihr mit ihren riesigen Reserven an Menschen und Material das Ausgleichen der täglichen schrecklichen Verluste leichter fällt als der Ukraine.
Zweitens hat Putin immer und immer wieder erklärt, was das Ziel seines Krieges ist. Es ist nicht bloss die Eroberung von Terrain, sondern die Zerstörung und Unterwerfung des souveränen, demokratischen ukrainischen Staates. Dieses Ziel würde durch einen von Trump vermittelten, aber nicht garantierten Waffenstillstand nicht erreicht. Ein erneuter Angriff Russlands wäre nur eine Frage der Zeit, genau das hatte Selenski während des Streits im Oval Office dem Vizepräsidenten Vance vergebens zu erklären versucht.
Wie kann Trump Putin dennoch rasch an den Verhandlungstisch bringen? Er muss ihn durch Zugeständnisse locken. Genau das hat er getan. Sollte Putin am Ende eines solchen Prozesses einer Vereinbarung zustimmen, ist nur ein Ergebnis denkbar: der in Europa gefürchtete Diktatfrieden. Putin hat diese Woche erneut erklärt, was dieser enthalten müsse: ein dauerhaftes Abtreten der von Russland reklamierten Gebiete im Osten der Ukraine, der Verzicht auf einen Beitritt zur Nato, auf westliche Friedenstruppen und auf eine schlagkräftige Armee. Die Ukraine wäre Russland ausgeliefert.
Präsident Trump und seinem Vizepräsidenten Vance scheint dies gleichgültig zu sein. Nicht egal dürfen einem amerikanischen Präsidenten allerdings die Interessen seines Landes sein. Welche Vorteile könnte die Kapitulation Kiews für die USA bedeuten?
Das den Ukrainern aufgedrängte Rohstoffabkommen verweist auf wirtschaftliche Gelüste und könnte im besten Fall ein gewisses amerikanisches Interesse am Schutz der Ukraine begründen. Doch dessen Erträge sind zweifelhaft, und amerikanischer Besitz in der Ukraine und in Russland hat Putin auch 2022 nicht von der Invasion abgehalten. Putin bemüht sich listig, Trump wirtschaftliche Vorteile aus einer neuen Partnerschaft mit Russland zu versprechen. Doch das verbrecherische Regime im Kreml, das erst gerade westliche Investoren massenhaft enteignet hat, bedeutete unkalkulierbare Risiken für amerikanische Unternehmen.
Dann gibt es die geopolitische Theorie, dass Trump versuchen könnte, Russland an die USA zu binden und so dessen Bündnis mit China zu spalten. Doch auch diese These entbehrt einer realistischen Grundlage. Warum sollte sich Putin mit den sprunghaften demokratischen USA verbünden, wenn die Allianz mit der Kommunistischen Partei Chinas so berechenbar, stabil und vorteilhaft ist? In der von Trump wie Putin bevorzugten Welt transaktionaler Politik ist Peking für den Kreml der viel vertrauenswürdigere Partner als Washington.
Trumps Narzissmus als Vorteil nutzen
Doch Trump hat auch persönliche Interessen. Hier wiegt der drohende Gesichtsverlust schwer, wenn ihm, dem selbsterklärten Meister des Deals, die Friedensverhandlungen misslingen. Um diese Schmach zu vermeiden, bleiben ihm zwei Wege offen. Erstens kann er hoffen, die Ukraine genügend unter Druck zu setzen, dass ihr am Ende nur die Unterwerfung unter einen russischen Diktatfrieden bleibt.
Zweitens könnte Trump seine Strategie ändern und Druck auf Russland ausüben, dass es eine von der Ukraine und ihren europäischen Verbündeten mitgetragene Lösung akzeptiert. Trumps offizieller Ukraine-Gesandter Keith Kellogg hatte ursprünglich diese Strategie vertreten und die Drohung verstärkter Waffenlieferungen an die Ukraine als Druckmittel gegen Russland ins Spiel gebracht. Trump selbst sprach nach der Inauguration kurzzeitig von möglichen neuen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Doch dann wurde Kellogg an die Seitenlinie der amerikanischen Verhandlungsdelegation geschoben. Und Trump begann, russische Propaganda zu verbreiten und die Ukraine wie einen Feind zu behandeln.
Trump schreitet derzeit klar auf dem ersten Weg voran, doch die Ukraine leistet noch lästigen Widerstand. Dasselbe muss Europa tun. Ein Triumph Putins in der Ukraine brächte die Sicherheit Europas in höchste Gefahr. Gerade in dem Moment, da die schützende Partnerschaft der USA durch einen unberechenbaren Präsidenten aufgekündigt wird, braucht Europa die kriegserprobte, demokratische Ukraine als Partner und Bollwerk gegen Putins Imperialismus.
Ein blasser Premierminister glänzt auf der Weltbühne
Der Kontinent muss deshalb versuchen, Trump auf den zweiten Weg zu lenken. Das ist extrem schwierig, doch überraschende Kehrtwenden sind bei Trump nie ganz auszuschliessen, und der drohende Gesichtsverlust durch ein komplettes Scheitern seines Friedensversprechens könnte eine kleine Chance sein. Glücklicherweise tritt an dieser Stelle der britische Premierminister Keir Starmer auf die Weltbühne. Der Politiker wird von den britischen Medien gerne als glückloser und langweiliger Verwalter der Labour-Mehrheit im Parlament verspottet, dem Inspiration und Charisma komplett abgehen. Doch ausgerechnet Starmer scheint in einer schwierigen Zeit zu einer europäischen Führungsfigur aufzusteigen, die vieles instinktiv richtig macht.
Auf den Donnerschlag von Trumps Telefonat mit Putin reagierte Starmer schnell und konstruktiv. Er erklärte die Bereitschaft Grossbritanniens, Friedenstruppen in der Ukraine zu stationieren, und lud europäische Länder zur Partnerschaft ein. Er kündigte trotz grosser Finanznot die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts an. Er wies zu Recht darauf hin, dass Europa weiterhin den Rückhalt der USA benötigt, und reiste vergangene Woche nach Washington, um dafür zu werben. Auch ihm gelang es zwar nicht, Trump Sicherheitsgarantien abzuringen. Doch mit seinem geschickten Auftreten im Oval Office hat er sich als möglichen Vermittler in Position gebracht.
Nach dem Eklat im Weissen Haus empfingen Starmer und König Charles Selenski äusserst herzlich in London. Sie demonstrierten damit die europäische Entschlossenheit, die Ukraine nicht fallenzulassen. Gleichzeitig stimmte sich Starmer eng mit Frankreich ab und lud 18 europäische Regierungs- und Staatschefs nach London ein, um eine «Koalition der Willigen» für die Unterstützung der Ukraine zu bilden. Dass diese ausserhalb der Institutionen der EU operiert, um schlagkräftig zu sein, ist ebenso richtig wie Starmers klare Absage an europäische Phantasien einer beleidigten Abkehr von den USA.
Die Ukraine soll durch ihre europäischen Partner gestärkt werden. Das ist das entscheidende Signal an Trump, dass der von ihm bevorzugte russische Diktatfrieden keine leicht zu erreichende Option ist.
Starmer bietet sich als Brückenbauer zwischen Europa und Trump an und wird dabei von König Charles sekundiert, der Trump den verlockenden Zauber eines Besuchs auf Schloss Windsor in Aussicht stellt. Gleichzeitig umgarnt und ermahnt Starmer seine europäischen Partner, nun mit raschen Taten und nicht nur mit Worten eine glaubwürdige Drohkulisse gegen die Pläne Trumps und Russlands aufzubauen. Der Erfolg dieser doppelten Charmeoffensive ist nicht garantiert. Doch sie weist Europa den besten Weg aus einer ziemlich verzweifelten Lage.