Der Kanton Zug ist für Einkommensmillionäre ein Magnet. Aber die Reichen leben auch noch in anderen Regionen der Schweiz – wo sie viel mehr Steuern zahlen. Das zeigt eine NZZ-Datenanalyse.
Was haben Ruedi Noser, Lukas Gähwiler und Thomas Jordan gemeinsam? Der ehemalige Zürcher Ständerat, der UBS-Vizepräsident und der Ex-Nationalbankchef sind in den letzten Jahren umgezogen: von Zürich in die steuergünstigen Kantone Zug oder Schwyz.
Meist wird beteuert, solche Umzüge hätten rein private Gründe. Dennoch bleibt die Vermutung bestehen, dass sie auch etwas mit einer Reduktion der Steuerlast zu tun haben könnten. Denn der Steuerwettbewerb in der Schweiz sorgt für grosse Unterschiede: Wer eine Million Franken pro Jahr verdient, kann seine Steuerzahlungen fast halbieren, wenn er beispielsweise von der Stadt Zürich in die Stadt Zug umzieht.
Vor allem linke Parteien stören sich daran. Sie finden, die Reichen in der Schweiz würden sich aus der finanziellen Verantwortung für den Staat stehlen. «Tax the rich» – die Reichen sollten mehr Steuern zahlen – ist zu einem Schlagwort geworden. Ein Beispiel dafür ist die Erbschaftssteuerinitiative der Jungsozialisten, die womöglich noch dieses Jahr an die Urne kommen wird.
Doch stimmt es, dass Vermögende nur dem Lockruf niedriger Steuern folgen? Die NZZ hat Daten dazu ausgewertet, wo Einkommensmillionäre in der Schweiz wohnen. Dabei zeigt sich: Zug und andere steuergünstige Orte sind tatsächlich Magneten. Aber viele Reiche wohnen weiterhin an Orten, wo sie hohe Steuern zahlen.
Die Wohnorte der Einkommensmillionäre
In der Schweiz gibt es rund 7000 Haushalte, die ein steuerbares Einkommen von mehr als 1 Million Franken haben. Dies geht aus Daten hervor, die die Eidgenössische Steuerverwaltung der NZZ geliefert hat. Sie beziehen sich auf das Jahr 2021 (das letzte verfügbare Jahr).
Bei manchen dieser Haushalte dürfte das hohe Einkommen aus Löhnen stammen. Bei anderen sind wohl Erträge aus Kapitalvermögen wichtiger, etwa Dividendenzahlungen von Firmen, an denen die Personen wesentliche Anteile besitzen, oder Erträge aus der Vermietung von Liegenschaften. Zu den 7000 Millionärshaushalten gehören auch rund 350 pauschalbesteuerte Ausländer, die nach dem Aufwand für ihren Lebensunterhalt veranlagt werden.
Schweizweit gesehen wohnen besonders viele Einkommensmillionäre rund um den Zürichsee und den Zugersee. (Sie können in die untenstehende Karte hineinzoomen und einzelne Gemeinden anklicken.)
Ein Hotspot ist der Kanton Zug. Allein in der Stadt Zug leben 376 Einkommensmillionäre. In den umliegenden Gemeinden Baar, Walchwil und Cham sind es insgesamt weitere rund 190.
Beliebt ist auch die Schwyzer Seite des Zürichsees, die den Spitznamen Diamantküste trägt. In den als Steueroasen bekannten Kleingemeinden Freienbach, Wollerau und Feusisberg wohnen 225, 216 bzw. 120 Einkommensmillionäre. In Wollerau findet sich gleichzeitig die grösste Dichte an Wohlhabenden in der Schweiz: Fast jeder zwanzigste Haushalt versteuert hier mehr als eine Million Franken.
Eine Ballung gibt es zudem an der Zürcher Goldküste. Es tummeln sich viele Reiche in den Gemeinden Küsnacht (175), Zollikon (119), Herrliberg (75), Meilen (71), Erlenbach (65) und Zumikon (64).
Schweizweit gesehen wohnt die grösste Zahl von Einkommensmillionären allerdings an einem Ort, der kein Steuerparadies ist: in der Stadt Zürich. Im Jahr 2021 gab es 419 Millionärshaushalte in der Limmatstadt.
Zudem finden sich viele Reiche in anderen «Steuerhöllen». Ein Hotspot ist auch die Region Basel. In der Rheinstadt und in den umliegenden Gemeinden wohnen rund 300 Millionäre. Schliesslich ist auch die Romandie die Heimat vieler Wohlhabender. In der Stadt Genf und den umliegenden Seegemeinden leben rund 530 Einkommensmillionäre.
Reiche haben eine sehr unterschiedliche Steuerlast
Wie viele Steuern Reiche an Bund, Kantone und Gemeinden bezahlen, hängt stark vom Wohnort ab. Dies liegt am Schweizer Föderalismus, in dem die Steuersätze je nach Kanton und Gemeinde unterschiedlich sind. Die Eidgenössische Steuerverwaltung stellt Daten dazu bereit, welchen Teil seines Einkommens ein Millionärshaushalt an den Fiskus abliefern muss.
In der Schweiz gibt es ein starkes West-Ost-Gefälle bei den Einkommenssteuern. Am geringsten sind die Belastungen in den Innerschweizer Kantonen Zug, Schwyz, Uri, Obwalden und Nidwalden sowie im ostschweizerischen Appenzell Innerrhoden.
Im Kanton Zürich liegt die Steuerbelastung deutlich höher. Spitzenwerte erreicht sie im Westen der Schweiz in den Kantonen Bern, Waadt und Genf.
Dies zeigt das Beispiel eines Haushalts, der ein Bruttoeinkommen von 1 Million Franken erzielt (Aufteilung des Einkommens 70/30 auf die Ehepartner, zwei Kinder).
Dieser Haushalt zahlt gegenwärtig in der Stadt Zug rund 180 000 Franken Einkommenssteuern (Bund, Kanton und Gemeinde). Dazu kämen noch Vermögenssteuern, die hier aber ausgeklammert werden. Im Millionärs-Hotspot Wollerau an der Schwyzer Diamantküste zahlt der gleiche Haushalt 173 000 Franken Einkommenssteuern.
Wenn die Familie auf die andere Seite des Zürichsees an die Goldküste zieht, erhöht sich die Steuerlast bereits spürbar. In Küsnacht muss der Haushalt 265 000 Franken Einkommenssteuern abliefern. Noch teurer wird es in der Stadt Zürich, wo die Steuerlast auf 310 000 Franken steigt. In der Limmatstadt bezahlen Millionäre also fast doppelt so viel wie in der Stadt Zug, die nur 30 Autominuten entfernt liegt.
Ähnlich teuer ist es für Reiche in der Stadt Basel. Dort liegt die Steuerlast bei 301 000 Franken. In der Bundeshauptstadt Bern werden 332 000 Franken fällig. Am meisten müssen Einkommensmillionäre in den Westschweizer Grossstädten Lausanne (364 000 Franken) und Genf (340 000 Franken) an den Staat abliefern.
Tiefe Steuern sind verlockend – aber sie sind nicht das Einzige
Die Steuern sind ein wichtiger Faktor bei der Wahl des Wohnortes. Dies zeigt eine Analyse der Entwicklung über die letzten zwei Jahrzehnte: Steuergünstige Gemeinden haben am meisten Einkommensmillionäre angezogen.
Ein Magnet für Reiche ist die Stadt Zug. Sie hat zwischen 2003 und 2021 fast 300 Millionäre dazugewonnen. Das ist der höchste Wert in der Schweiz. Einen grossen Zuwachs gab es auch in Steueroasen wie Wollerau (159) und Freienbach (131) oder an der Zürcher Goldküste.
Das beweist, dass der Steuerwettbewerb in der Schweiz spielt. Gutverdienende nutzen die Möglichkeit, mit der Wahl ihres Wohnortes ihre Steuern zu verringern. Sie können so ein Stück weit auch die starke Progression bei den Einkommenssteuern brechen, wie die Basler Ökonomen Kurt Schmidheiny und Marcus Roller nachgewiesen haben.
Dennoch sind die Steuern nicht das einzige Kriterium bei der Wohnsitzwahl. Wie die Analyse zeigt, ist die Zahl der Einkommensmillionäre auch vielerorts gestiegen, wo die Steuerlast hoch ist. In der Stadt Zürich leben heute 252 Reiche mehr als vor zwanzig Jahren – das ist der zweithöchste Wert in der Schweiz. In Basel sind es 79 mehr und in Genf 128.
Die Beobachtung gilt auch, wenn der Anteil der Millionäre an der Gesamtbevölkerung betrachtet wird. In den Hochsteuerstädten Zürich, Basel, Bern, Genf und Lausanne hat die Dichte an Millionärshaushalten zwischen 2003 und 2021 nicht ab-, sondern leicht zugenommen. Die Städte scheinen bei den Reichen mit anderen Qualitäten als den Steuern zu punkten, etwa mit einem breiten Kulturangebot oder einem urbanen Lebensgefühl.
Zudem hat fast keine Gemeinde in der Schweiz Einkommensmillionäre verloren. Eine nennenswerte Zahl findet sich einzig in Muri bei Bern, wo heute 16 Millionäre weniger leben als 2003. Der Steuerwettbewerb stellt mithin kein Nullsummenspiel dar. Das liegt auch daran, dass sich die Zahl der Millionäre in der Schweiz in den vergangenen zwanzig Jahren generell mehr als verdoppelt hat. Gründe dafür sind das Wachstum der Einkommen und der Bevölkerung.
Die Reichen zahlen viel an den Staat
Zu den reichsten Menschen in der Schweiz gehören André Hoffmann und Jörg Duschmalé. Beide sind Roche-Erben und besitzen Anteile am Basler Pharmakonzern. Sie könnten ihre Steuerlast massiv verringern, wenn sie nach Zug ziehen würden. Doch beide leben seit langem an Orten mit hohen Steuern: Duschmalé in Bettingen im Kanton Basel-Stadt und Hoffmann im waadtländischen Vaux-sur-Morges – einer der «Steuerhöllen» der Schweiz.
Warum sie das tun, dazu haben sich die beiden nie öffentlich geäussert. Doch die Beispiele illustrieren das grössere Bild: In der Schweiz spielt zwar der Steuerwettbewerb, dennoch wohnen viele Reiche aus freien Stücken an Orten, an denen sie viele Steuern an den Staat abliefern.
Und sie werden dabei gehörig zur Kasse gebeten. In den meisten Kantonen zahlen die Reichen ähnlich viel Steuern wie ihre Pendants in den Hochsteuerländern Deutschland und Österreich. Mit Ausnahme der Innerschweiz ist die Eidgenossenschaft kein Steuerparadies für Millionäre.
Dies dürfte ein Grund dafür sein, warum sich der Beitrag der Reichen ans Gemeinwesen in den letzten Jahrzehnten – trotz Steuerwettbewerb – nicht verringert hat.
Mit einem steuerbaren Einkommen von 1 Million Franken gehört man in der Schweiz zu den 0,1 Prozent der reichsten Haushalte. Wie eine Auswertung des Luzerner Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) zeigt, hat dieses oberste Tausendstel seit der Jahrtausendwende konstant rund 10 Prozent aller Einkommenssteuern in der Schweiz bezahlt. Das reichste Promille finanziert unverändert einen grossen Teil des Staates.