Das Tourismusministerium in Nepal will die Liste der vierzehn Achttausender um sechs weitere Gipfel ergänzen. Wirtschaftlich ergibt das Sinn, geografisch weniger.
Im Himalaja und im Karakorum gibt es vierzehn Berge, deren Hauptgipfel höher als 8000 Meter sind. Dazu kommen sogenannte Nebengipfel, die ebenfalls eine Höhe von 8000 Metern und mehr erreichen. Das nepalesische Tourismusministerium hat der Reihe der vierzehn Achttausender, die es in Nepal, China und Pakistan gibt, nun sechs weitere hinzugefügt. Um das offiziell zu machen, werden auf der vom Tourismusministerium verantworteten Website Nepal Himal Peak Profile statt der bisherigen acht Achttausender, die auf dem Staatsgebiet Nepals liegen, seit kurzem vierzehn Gipfel aufgeführt, die höher als 8000 Meter sind.
Die Idee dahinter: Die Verantwortlichen im Tourismusministerium, das auch für das Bergsteigen im Land zuständig ist, erhoffen sich dadurch, noch mehr Menschen nach Nepal locken zu können. Und den Expeditionsunternehmen weitere Einkommensquellen zu eröffnen. Die Genehmigungen für die Besteigung der Gipfel sollen mehr Geld in die Kassen des Ministeriums spülen. Am Mount Everest wird diese Gebühr, die derzeit 11 000 Dollar beträgt, ab dem Herbst auf 15 000 Dollar pro Expeditionsteilnehmer angehoben.
Die neue Liste soll nun von Interessengruppen wie Tourismusunternehmern und der Nepal Mountaineering Association, aber auch von Armee und Polizei offiziell anerkannt werden. Anschliessend solle sie auch von der UIAA, der internationalen Vereinigung der Bergsportverbände, bestätigt werden, erklärte Narayan Prasad Regmi, der Generaldirektor des Tourismusministeriums, laut der Tageszeitung «Kathmandu Post».
Dabei hat die Bergsport-Kommission der UIAA schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass es bei der bisherigen Liste der insgesamt vierzehn Achttausender bleiben sollte. In der Stellungnahme der UIAA-Kommission heisst es indes: «Sollte die nepalesische Regierung aus verwaltungstechnischen oder anderen Gründen beschliessen, mehr Gipfel anzuerkennen, so ist dies natürlich ihr gutes Recht.»
Der Body-Mass-Index der Berge
Die Diskussion ist nicht neu, sie wurde bereits vor zehn Jahren geführt. 2014 wagte das nepalesische Tourismusministerium schon einmal einen Vorstoss, der allerdings ohne weitere Folgen blieb. Bis heute ist indes umstritten, ab wann eine Bergspitze als eigenständiger Gipfel gelten soll.
Eberhard Jurgalski, der sich als Chronist des Achttausender-Bergsteigens einen Namen gemacht hat, dessen eigentliche Leidenschaft aber der Geografie Hochasiens gilt, hält von dem neuerlichen Vorstoss nichts. «Das sind keine eigenständigen Berge, das sind keine neuen Achttausender», sagt er. Der Lhotse Shar (8400 Meter) war bisher nur Ziel von wenigen Expeditionen. Als Nebengipfel ist er bei weitem nicht so attraktiv wie der Lhotse (8516 Meter). «Den Lhotse Middle, eine technisch schwierige Spitze, als Gipfel und Ziel von kommerziellen Expeditionen zu verkaufen, ist völliger Irrsinn», sagt Jurgalski.
Yalung Kang (8505 Meter), Kangchendzönga Central (8473 Meter) und Kangchendzönga South (8476 Meter) seien eindeutig Nebengipfel des 8586 Meter hohen Kangchendzönga-Hauptgipfels. «Der Yalung Kang West ist sogar nur die Schulter des Nebengipfels.»
Vor zwanzig Jahren hat Jurgalski im wissenschaftlichen Jahrbuch des Deutschen Alpenvereins eine Systematik zur sogenannten orometrischen Dominanz vorgestellt. Anhand dieser Methode lassen sich unabhängig von der Höhe eines Berges und der Form eines Gebirges Haupt- von Nebengipfeln unterscheiden. Sie ist so etwas wie der Body-Mass-Index von Bergen.
Jurgalski setzt die Höhe eines Gipfels ins Verhältnis zum tiefsten Punkt, der zwischen ihm und dem nächsthöheren Berg liegt. Beträgt die Dominanz am Ende der Rechnung mindestens sieben Prozent der Höhe eines Berges, handelt es sich laut Jurgalski um einen eigenständigen Berg. Und seine Rechnung geht auf: Jurgalskis Liste der Achttausender umfasst genau vierzehn Gipfel – der Mount Everest ist der höchste, der Shishapangma der niedrigste. Keiner der Achttausender-Nebengipfel erreicht diesen Wert.
Angesichts der gegenwärtigen Diskussion würde es sich lohnen, auch die im März 1994 von der UIAA vorgelegte «offizielle Liste» der Viertausender in den Alpen genauer unter die Lupe zu nehmen. Darauf sind derzeit 82 Namen gelistet. Manche davon sind nicht mehr als nur Graterhebungen. Dass der Montblanc de Courmayeur, das Stecknadelhorn oder auch der Grand Pilier d’Angle, eine Spitze auf dem Peutereygrat, keine eigenständigen Berge sind, ist mit blossem Auge zu erkennen. Wäre die UIAA in den Alpen so streng verfahren wie jetzt bei der Diskussion um die Achttausender, wäre die Liste der Viertausender deutlich kürzer.
Höhenbergsteiger nehmen es gelassen
Und was bedeutet der neuerliche nepalesische Vorstoss für die Höhenbergsteiger? Kristin Harila, eine 38 Jahre alte Norwegerin, die 2023 gemeinsam mit dem Nepalesen Tenjen Lama Sherpa in der Rekordzeit von nur 92 Tagen auf alle vierzehn Achttausender stieg, sieht keinen Grund, noch einmal loszuziehen. Zumal es ihr nie um einen Rekord gegangen sei. Harila: «Ich wollte einfach zeigen, dass auch Frauen imstande sind, auf hohe Berge zu steigen.»
Auch Billi Bierling von der Himalayan Database, der Chronik des Höhenbergsteigens in Nepal, sieht den Vorstoss der Regierung entspannt. ««Für uns machen die sechs ‹neuen› Achttausender keinen Unterschied.» Gipfel wie den 8382 Meter hohen Lhotse Shar, der im Jahr 1970 von den Österreichern Sepp Mayerl und Rolf Walter als Erste bestiegen wurde, führe man heute schon in der Datenbank auf. Unabhängig von Entscheidungen der Regierung und des Tourismusministeriums werde man die Chronik des Himalaja-Bergsteigens in Nepal so weiterführen wie bisher. Billi Bierling sagt: «Es bleibt den Leuten selbst überlassen, ob sie diese Gipfel als Einzelgipfel sehen oder nicht.»