Der US-Präsident aktiviert ein altes Kriegsgesetz, um venezolanische Gangmitglieder abzuschieben. Obwohl ein Richter dies blockiert, lässt die Regierung die Flugzeuge nicht mehr wenden. Kritiker sehen einen weiteren Schritt in Trumps «autoritärem Drehbuch».
Viele Verordnungen, die Donald Trump in den vergangenen Wochen unterzeichnet hat, sind rechtlich umstritten. In einigen Fällen gewann die Regierung vor Gericht, in anderen verlor sie. Nach rechtlichen Niederlagen beteuerte das Weisse Haus indes stets, dass es gewillt sei, sich an die Urteile der Richter zu halten. Doch mit der Ausschaffung von 261 angeblich kriminellen Migranten am Samstag ging die amerikanische Regierung einen Schritt weiter: Je nach Interpretation ignorierte sie den Rechtsstaat oder drehte ihm zumindest eine lange Nase.
Trump unterzeichnete Freitagnacht eine Proklamation, in der er die Alien Enemies Act aus dem Jahr 1798 aufrief. Das Gesetz erlaubt es dem amerikanischen Präsidenten, die Bürger eines feindlichen Landes zu verhaften und ohne den üblichen Rechtsweg auszuschaffen. Eigentlich kann sich das Weisse Haus nur auf dieses Recht berufen, wenn sich die USA mit einem anderen Land im Krieg befinden oder eine Invasion durch einen anderen Staat droht oder bereits im Gange ist. Dies ist zurzeit nicht der Fall – könnte man meinen. Doch gemäss Trumps Proklamation hat die venezolanische Gang Tren de Aragua das Regime von Nicolas Maduro «infiltriert». Das Resultat sei ein «hybrider krimineller Staat», dessen Mitglieder eine Invasion in die USA betrieben, indem sie sich unter die Migranten mischten, die über die Südgrenze ins Land drängten.
«Ups, zu spät!»
Trump ordnete deshalb an, alle venezolanischen Mitglieder von Tren de Aragua im Alter von über 14 Jahren in den USA festzunehmen und auszuschaffen. Allerdings unterzeichnete er die Proklamation nicht wie oft üblich vor laufenden Kameras im Weissen Haus. Er habe diese Amtshandlung bewusst nicht publik gemacht, berichtete das Nachrichtenportal «Axios». Als sie am Samstag bekanntwurde, klagten amerikanische Bürgerrechtsorganisationen dagegen. Nach einer Anhörung blockierte der Bundesbezirksrichter James Boasberg die Ausschaffungen unter der Alien Enemies Act temporär. Auch Flüge, die bereits unterwegs seien, müssten in die USA zurückkehren, urteilte der Richter zunächst mündlich. In der schriftlichen Verfügung fehlte danach aber der Hinweis auf die Umkehr der Flüge.
Bereits mündliche Anordnungen eines Richters seien gesetzlich bindend, erklärte der CNN-Rechtsexperte und frühere Staatsanwalt Elie Honig am Montag. Boasbergs verbales Urteil erfolgte am Samstag um 18 Uhr 47. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich zwei Flugzeuge mit Migranten bereits in der Luft. Ein dritter Ausschaffungsflug startete von Texas aus um 19 Uhr 36. Die Regierung habe das Gerichtsurteil jedoch nicht ignoriert, erklärte die Sprecherin des Weissen Hauses, Karoline Leavitt, am Sonntag. Die Flugzeuge hätten sich bereits nicht mehr auf amerikanischem Territorium befunden.
Der dritte Flug startete hingegen nach dem Urteil. Allerdings ist nicht klar, ob die Migranten darin unter dem Kriegsgesetz oder einer anderen rechtlichen Grundlage abgeschoben wurden. Gemäss einer Auswertung der «Washington Post» schob die amerikanische Regierung 137 Venezolaner auf der Grundlage der Alien Enemies Act ab. Weitere 101 Venezolaner und 23 salvadorianische Mitglieder der Gang MS-13 wurden unter Anwendung von anderen Bundesgesetzen ausgeschafft.
Das Endziel der Flüge war indes nicht Venezuela. Nach Zwischenstopps in Honduras landeten sie alle in El Salvador. Der Präsident des Landes, Nayib Bukele, teilte am Sonntagmorgen auf X ein Video von der Ankunft. Darin ist, mit dramatischer Musik unterlegt, zu sehen, wie bewaffnete Sicherheitskräfte mit Helmen und Schutzwesten die Häftlinge in Handschellen und mit gebückten Köpfen aus dem Flugzeug in Busse verfrachten. Sie würden nun mindestens für ein Jahr in einem Gefängnis für Terroristen eingesperrt, schrieb Bukele dazu. «Die Vereinigten Staaten werden eine für sie sehr tiefe Gebühr bezahlen, aber eine hohe für uns.» Das Gefängnissystem seines Landes könne sich so selbst finanzieren.
Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio teilte das Video von Bukele und bedankte sich für die «Unterstützung und Freundschaft» beim salvadorianischen Präsidenten. Zuvor hatte Bukele auf X bereits einen Artikel der «New York Post» über die gerichtliche Blockierung der Ausschaffungen in den USA geteilt. Er kommentierte dazu mit einem Tränen lachenden Emoji: «Ups, zu spät!»
Trumps «Grenz-Zar» will Richter ignorieren
Es stellt sich nun die Frage, ob die amerikanische Regierung das Urteil des Bundesbezirksrichter bewusst ignorierte. «Das sieht sehr nach einer Missachtung des Gerichts aus», erklärte der Rechtsprofessor David Super von der Georgetown University am Montag gegenüber der «New York Times». «Ein Flugzeug lässt sich wenden, wenn man will.» Offenbar gab es im Weissen Haus Diskussionen darüber. Die Rechtsberater kamen zum Schluss, dass das Gerichtsurteil in internationalem Luftraum keine Wirkung habe. Womöglich suchten Trump und seine Berater aber auch bewusst den Konflikt mit dem Gesetz. Der Rechtsstreit werde am Ende vor dem konservativ dominierten Supreme Court landen und Trump werde gewinnen, erklärte ein Regierungsberater gegenüber «Axios».
In Leavitts Erklärung am Sonntag schwang indes eine grosse Geringschätzung für die Gerichte mit. Bundesrichter hätten generell keine Zuständigkeit für die Aussenpolitik oder die Befugnisse des Präsidenten unter der Alien Enemies Act, meinte die Pressesprecherin des Weissen Hauses. «Ein einzelner Richter in einer einzelnen Stadt kann die Fahrtrichtung eines Flugzeugträgers voller ausländischer Terroristen, die von amerikanischem Territorium entfernt wurden, nicht bestimmen.»
Leavitt machte gegenüber den Medien aber auch ein politisches Argument geltend: «Wenn die Demokraten dafür sind, ein Flugzeug voller Vergewaltiger, Mörder und Gangster zurück in die USA zu bringen, dann kämpfen wir gerne dagegen an.» Es habe sich um «sehr schlechte Leute» gehandelt, meinte auch Trump. Derweil erntet der Präsident von seinen Anhängern grosse Zustimmung. Eine solche Konfrontation mit einem «schurkischen Bundesrichter» sei überfällig gewesen, meinte Charlie Kirk, der Gründer der konservativen Jugendbewegung Turning Point USA. Trump habe lediglich eine «lächerliche Forderung» des Gerichts missachtet.
Noch deutlicher äusserte sich Trumps «Grenz-Zar» Tom Homan am Montag. «Wir werden nicht aufhören», erklärte der für die Ausschaffungen zuständige Hardliner in einem Interview. «Es ist mir egal, was die Richter denken. Es ist mir egal, was die Linke denkt.» Trumps Stabschef Steven Miller bezeichnete die Intervention von Richter Boasberg am Montag gar als «verfassungswidrig». Er bezog sich dabei auf die kürzliche Einstufung von Tren de Aragua als Terrororganisation. Deshalb habe es sich bei der Ausschaffung um eine «Anti-Terroroperation» unter dem Oberbefehl des Präsidenten gehandelt. Ein Bundesrichter habe keine Befugnis darüber zu urteilen.
Derweil versuchte das Weisse Haus am Montag eine weitere Anhörung vor dem Bundesbezirksgericht in Washington zu verhindern. Die Regierung bat ein Berufungsgericht in einem Brief gar darum, Richter Boasberg von dem Fall abzuziehen. Die Regierung warf dem Richter unter anderem «Mikromanagement» vor. Die Anhörung fand am Nachmittag trotzdem statt, aber der Anwalt der Regierung weigerte sich, die Fragen das Richters zu beantworten. Sie könnten aus Sorge um die nationale Sicherheit keine detaillierten Informationen über die Ausschaffungsflüge liefern, erklärte dieser. Boasberg verlangte danach bis am Dienstag eine eidesstattliche Erklärung über den Ablauf der Abschiebungen.
Eine Mehrheit der Amerikaner begrüsst die Ausschaffung krimineller Ausländer. Allerdings scheint fraglich, ob der Präsident dafür Sondervollmachten braucht. Bis jetzt ist zudem nicht klar, ob es sich bei allen nun abgeschobenen Migranten wirklich um Mitglieder von Tren de Aragua handelt. Ihre Namen wurden nicht veröffentlicht. Als die Alien Enemies Act zuletzt im Zweiten Weltkrieg angewendet wurde, kam es oft zu willkürlichen Internierungen von Italienern, Deutschen und Japanern. Der Präsident der Nichtregierungsorganisation Democracy Forward, Skye Perryman, bezeichnete Trumps Vorgehen als «jüngsten Schritt in einem sich beschleunigenden autoritären Drehbuch».
Auch ein anderer gegenwärtiger Fall deutet darauf hin, dass die Trump-Regierung zunehmend dazu tendiert, richterliche Anweisungen geringzuschätzen. Nach einem Heimaturlaub in Libanon kehrte Rasha Alawieh, eine Spezialistin für Nierentransplantationen und Professorin an der Brown University, am Donnerstag mit einem gültigen Visum zurück in die USA. Sie wurde am Flughafen in Boston festgehalten und am Freitag zurück in ein Flugzeug nach Paris gesetzt, obwohl ein Gericht ihre Ausschaffung blockiert hatte. Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass Alawieh in Libanon angeblich das Begräbnis des von Israel getöteten Hizbullah-Führers Hassan Nasrallah besucht hatte. Alawiehs Sympathien für Nasrallah waren offenbar der Grund für die Ausschaffung. Die Brown University empfahl ihren ausländischen Studenten am Sonntag derweil, geplante Frühlingsferien in ihrer Heimat besser zu verschieben, bis es mehr Klarheit gebe.