Kehrt nun der Krieg zurück? Von einer drohenden Eskalation profitiert vor allem der Hizbullah.
Trotz all dem Schutt, der immer noch auf den Strassen liegt, schien der Krieg in der südlibanesischen Hafenstadt Tyros nur noch eine böse Erinnerung. Doch am Samstagabend war der Horror mit einem Mal zurück. Mitten in der Stadt wurden mehrere Etagen eines Wohnhauses durch eine gewaltige Explosion zertrümmert. Knapp vier Monate nach dem offiziellen Ende der Kämpfe zwischen Israel und der Schiitenmiliz Hizbullah war Tyros zum ersten Mal seit langem wieder Ziel eines israelischen Luftangriffes geworden.
Laut Angaben der libanesischen Behörden sind dabei zwei Menschen ums Leben gekommen. Videos aus den sozialen Netzwerken zeigen beklemmende Szenen: Krankenwagen, brennende Trümmer und Rauch, der in der abendlichen Dunkelheit über der Stadt aufsteigt. Der Angriff auf Tyros war Teil einer Angriffswelle, die Israels Luftwaffe am Samstag auf angebliche Stützpunkte der Schiitenmiliz Hizbullah im Süden und im Osten Libanons flog.
Volatile Lage an der Grenze
Dabei handelt es sich um die heftigsten Luftangriffe seit dem Ende des letzten Krieges zwischen Israel und dem Hizbullah im November 2024. Zuvor waren am Samstagmorgen allerdings zum ersten Mal seit langem auch Raketen aus Südlibanon in Richtung Israel geflogen. Wer die Geschosse abgefeuert hat, ist bis anhin unklar. Der Hizbullah wies die Verantwortung für den Angriff in einer Stellungnahme von sich. Sie werde Israel keinen Vorwand für Angriffe auf Libanon liefern, schrieb die Miliz.
An der Härte der israelischen Antwort änderte das aber nichts. Bereits am Samstagmorgen beschoss Israels Armee libanesische Grenzdörfer mit Artillerie. Zudem flog die Luftwaffe später am Tag zwei ausgedehnte Angriffswellen auf angebliche Hizbullah-Stellungen und Waffenlager in Südlibanon und in der Bekaa-Ebene. Insgesamt kamen dabei laut libanesischen Angaben mindestens acht Menschen ums Leben, unter ihnen auch zwei Hizbullah-Kämpfer.
Der Schlagabtausch zeigt, wie volatil die Lage an der Grenze zwischen den beiden Ländern ist. Monatelang lieferten sich dort Hizbullah-Kämpfer und israelische Truppen Scharmützel, nachdem die von Iran unterstützte Schiitenmiliz im Oktober 2023 zur Unterstützung der Hamas in Gaza eine zweite Front eröffnet hatte. Im Herbst letzten Jahres weitete sich der Konflikt zu einem offenen Krieg aus. Israel brachte dem Hizbullah dabei eine empfindliche Niederlage bei, tötete dessen Führung um Hassan Nasrallah und marschierte in Südlibanon ein.
Israel hat die Gangart verschärft
Der Krieg endete im November mit einer Waffenruhe, die einen Abzug sowohl des Hizbullah als auch der Israeli aus Südlibanon vorsieht. Doch keine der beiden Kriegsparteien hält sich daran. So sind immer noch Hizbullah-Kämpfer im Grenzgebiet aktiv, und die vorgesehene Entwaffnung der Truppe dort durch die libanesische Armee geht nur schleppend voran. Gleichzeitig hält Israel nach wie vor fünf Stützpunkte auf libanesischem Territorium besetzt und fliegt trotz Waffenstillstand regelmässig Luftangriffe auf das Nachbarland.
Nun hat Israel die Gangart nochmals verschärft. Das passt ins Gesamtbild. Denn auch in Syrien und Gaza flog Israels Luftwaffe am Wochenende Angriffe. In Syrien bombardierte sie den Militärflugplatz von Palmyra. Im Gazastreifen war die Armee zudem sogar wieder mit Bodentruppen eingerückt. Die Eskalation kommt zu einem Zeitpunkt, in dem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu innenpolitisch unter Druck steht. Die angekündigte Entlassung des Shin-Bet-Chefs Ronen Bar hatte am Wochenende in Israel zu grossen Protesten geführt.
In Libanon wiederum sorgten die Angriffe für Angst vor einem neuen Krieg. Die neue Beiruter Regierung, die von prowestlichen Kräften dominiert wird, protestierte gegen die Bombardierungen. Viel ausrichten kann sie jedoch nicht. Zwar ist der Hizbullah derzeit zu geschwächt, um eine neue Konfrontation gegen Israel zu wagen. Innenpolitisch ist die in der schiitischen Gemeinschaft tief verwurzelte Truppe aber immer noch ein Machtfaktor. Mit ihren Waffen kann sie das Land jederzeit ins Chaos stürzen.
Vom Chaos profitiert der Hizbullah
Derweil versucht die Regierung um den Präsidenten Joseph Aoun, Libanon zu stabilisieren und Hilfsgelder für den Wiederaufbau des zerstörten Südens aufzutreiben. Dabei ist sie aber auf Ruhe im Grenzgebiet angewiesen. Jüngst konnte Aoun diesbezüglich einen Erfolg vorweisen, als Israel mehrere libanesische Gefangene freiliess. Die erneuten Kämpfe drohen diese Bemühungen aber nun zu sabotieren.
Das Chaos nützt daher vor allem einem Akteur: dem Hizbullah, der sich einmal mehr als Beschützer Libanons aufspielt und die scheinbar schwache Regierung vor sich hertreiben kann. Bereits in den letzten Wochen hatten Vertreter der Miliz immer wieder betont, man werde nicht ewig zusehen, wie Libanon angegriffen werde. Bisher hielt sich die von Grabenkämpfen zerrüttete und von ihren Nachschublinien abgeschnittene Truppe allerdings zurück. Wie lange die Radikalen innerhalb des Hizbullah aber weiter still sitzen werden, ist fraglich.