Ein von Israel zusammengestelltes Dossier belastet zwölf Mitarbeiter der UNRWA schwer. Nun zeigt ein Bericht, was genau ihnen vorgeworfen wird.
Die israelischen Terrorvorwürfe gegen Mitarbeiter des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) haben die Organisation in eine schwere Krise gestürzt. Israel beschuldigt zwölf Mitarbeiter, sich am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt zu haben. Schon am Freitag setzten die USA, das wichtigste Geberland, deshalb ihre Zahlungen an die UNRWA aus, über das Wochenende zogen zehn weitere Länder nach. Washington berief sich dabei auf ein Dossier, in dem Israel die Anschuldigungen detailliert auflistet.
Die «New York Times» hatte Einsicht in das Dokument und beschreibt in einem Artikel vom Sonntag die genauen Vorwürfe. Konkret geht es um zwölf UNRWA-Angestellte: sieben Lehrer, zwei weitere Mitarbeiter von Uno-Schulen, einen Sachbearbeiter, einen Sozialarbeiter sowie den Leiter eines Lagerhauses. Die Identität des Letztgenannten konnte die Zeitung anhand von Social-Media-Profilen verifizieren. Zehn der Beschuldigten sollen Mitglieder der Hamas sein, ein weiterer soll dem palästinensischen Islamischen Jihad angehören.
Geheimdienst wertete Handydaten aus
Die Vorwürfe gegen die zwölf Mitarbeiter sind schwerwiegend: In dem Dossier wird einer der Schulmitarbeiter beschuldigt, gemeinsam mit seinem Sohn eine Frau in den Gazastreifen entführt zu haben. Der Sozialarbeiter soll mitgeholfen haben, die Leiche eines israelischen Soldaten in den Küstenstreifen zu verschleppen. Ausserdem habe er Munition verteilt und den Einsatz von Fahrzeugen koordiniert.
Drei andere Mitarbeiter seien am 7. Oktober per Textnachricht dazu aufgefordert worden, sich an Sammelpunkten einzufinden. Einer wurde zudem angeblich angewiesen, Panzerabwehrwaffen mitzubringen, die bei ihm zu Hause gelagert worden seien.
All diese Vorwürfe lassen sich nicht unabhängig bestätigen. Laut dem Bericht der «New York Times» haben auch die USA die Anschuldigungen noch nicht verifizieren können. Sie hätten die Informationen aber für glaubwürdig genug gehalten, um die Aussetzung der Hilfsgelder zu rechtfertigen, zitiert die Zeitung amerikanische Beamte.
Israel stützt sich auf geheimdienstliche Erkenntnisse. Laut dem Dossier wurden etwa Handydaten ausgewertet, die zeigen, dass sich sechs der Männer am 7. Oktober in Israel befanden. Andere hätten in Telefongesprächen über ihre Beteiligung an dem Angriff gesprochen, bei dem die Terroristen rund 1200 Menschen ermordeten und über 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppten.
Israel hielt offenbar Informationen zurück
Inzwischen sind weitere Vorwürfe gegen die UNRWA laut geworden. Am Sonntag berichtete ein israelischer Fernsehsender über Aussagen von zwei freigelassenen Geiseln, wonach sie in den Wohnungen von Mitarbeitern des Hilfswerks festgehalten worden waren. Sie hätten dort auch Lebensmittel mit dem Logo der Uno-Organisation erhalten. Am Montag schrieb ausserdem das amerikanische «Wall Street Journal», dass gemäss einem Geheimdienstbericht 10 Prozent der über 12 000 UNRWA-Angestellten im Gazastreifen Verbindungen zu islamistischen Gruppierungen hätten.
Israel informierte den UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini laut einem Bericht des «Guardian» am 21. Januar über die Vorwürfe. Dieser sei dann sofort nach New York geflogen, wo er sich mit Uno-Generalsekretär António Guterres besprochen habe. Am Freitag teilte er dann mit, er habe die Verträge der beschuldigten Mitarbeiter gekündigt und eine Untersuchung zu den «schockierenden Anschuldigungen» eingeleitet.
Laut der israelischen Tageszeitung «Israel Hayom» hatte die israelische Regierung allerdings schon seit längerer Zeit Informationen über die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitern am Hamas-Angriff. Doch habe sie diese aus politischen Gründen zurückgehalten, berichtete die Zeitung am Sonntag unter Berufung auf israelische Beamte. «Im israelischen politischen Establishment herrschte Einigkeit darüber, dass die UNRWA im Gazastreifen erhalten bleiben muss, weil es die einzige funktionierende Einrichtung im Gazastreifen ist und ohne sie das Chaos noch grösser wäre», wird einer zitiert. Es ist unklar, weshalb die Informationen nun dennoch veröffentlicht wurden.
Israels Aussenminister sagt Treffen mit Lazzarini ab
Die Krise des Hilfswerks für Palästinenser kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Im Gazastreifen ist es die wichtigste Organisation für die Lieferung von humanitärer Hilfe. Zwei Millionen Menschen sind auf seine Dienste angewiesen. Ohne die UNRWA wäre die Versorgung der Bevölkerung kaum mehr möglich. Bereits jetzt leiden grosse Teile dieser an Hunger, das Gesundheitssystem ist weitgehend zusammengebrochen. Laut der UNRWA suchen derzeit mehr als eine Million Menschen Zuflucht in Einrichtungen der Organisation.
Insgesamt ist die UNRWA in 58 Flüchtlingslagern in der ganzen Region tätig. Diese befinden sich neben dem Gazastreifen im Westjordanland, in Jordanien, Syrien und Libanon. Die Organisation ist heute für 5,9 Millionen Palästinenser zuständig, betreibt zahlreiche Schulen und leistet medizinische Grundversorgung.
Schon seit Jahren wirft Israel der UNRWA vor, sie schüre in ihren Schulen Hass auf Juden und kollaboriere mit der Hamas. Am Montag teilte Israels Aussenminister Israel Katz mit, er habe ein für Mittwoch geplantes Treffen mit UNRWA-Chef Lazzarini abgesagt. Katz forderte Lazzarini erneut auf, zurückzutreten.