Seine Vorstellung von dem, was Literatur soll und kann, grenzte ans Absolute: Sie sollte zum eigentlichen Medium indianischer Identität werden. N. Scott Momaday hat diese Vorgabe überzeugend umgesetzt.
Als 1969 der Pulitzerpreis an den Roman «House Made of Dawn» des jungen Kiowa N. Scott Momaday ging, begann eine neue Ära in der Geschichte der Literaturen nordamerikanischer Indianer. Sie eroberten sich einen Platz im modernen englischsprachigen Schrifttum der USA und Kanadas. Texte von «native Americans» auf Englisch hatte es da schon zweihundert Jahre lang gegeben, aber ihre Anerkennung als Teile einer eigenständigen Literatur hatte auf sich warten lassen.
Der Roman des 1934 in Lawton, Oklahoma, geborenen Schriftstellers lieferte Themen, Blickpunkte und literarische Verfahren, an die sich andere Autoren anhängen konnten.
Hier war ein Umgang mit der Identitätsthematik, der die Entfremdung von der eigenen Tradition wie von der «weissen» Moderne für Regeneration und Rekonstruktion nutzte. Hier war Verständnis für die Unmöglichkeit einer einfachen Rückkehr zum Früheren und für die Notwendigkeit von Transformationen in Kultur und Bewusstsein.
Daraus ging die Suche nach einer eigenen literarischen Sprache hervor, die sich gegen die negativen Stereotype der dominanten Kultur wenden konnte, ohne ihrerseits lediglich in stereotype Formeln positiver Selbstdarstellung abzugleiten.
Selbstbestimmt durch Sprache
Wer wie Momaday bei Yvor Winters in Stanford eine literaturwissenschaftliche Dissertation geschrieben hat, kann nicht anders, als Integrität des Denkens und Integrität des Ausdrucks in eins zu setzen. Gerade diese Einheit macht der zweite Text, mit dem Momaday das Selbstverständnis indianischen Schreibens für Jahrzehnte prägte, zur Basis einer Identitätskonzeption.
«The Man Made of Words» ist der 1970 im Druck erschienene Vortrag, den Momaday vor einem ersten grossen Treffen indianischer Autoren und Akademiker hielt. Darin macht er die Imagination, die sich in Sprache äussert und aus ihrem Reichtum nährt, zur Basis einer Bestimmung des Indianischen: Indianer ist, wer sich (insbesondere literarisch) als Indianer imaginiert.
Das schreibt eine nachgerade sakrale Funktion für die Literatur fest und stellt die Frage nach ihrer Legitimation und ihren Grenzen. Kann nun jede esoterische Ausschweifung sich als «indianisch» legitimieren? Momaday setzt Vorstellungen von Herkunft (biologisch und kulturell) sowie einen starken Begriff der Einheit von Selbst und Landschaft solchen Tendenzen entgegen – sie bleiben als zurückgewiesene Bedrohung gleichwohl noch in seinem zweiten Roman, «The Ancient Child» (1989), präsent.
Neben den Romanen stehen zwei frühe autobiografische Selbstbestimmungen, deren Montagetechnik grosse Offenheit und Flexibilität mit einer akribischen Präzision in der Darstellung intensiv erlebter Sinnmomente verbindet. «The Way to Rainy Mountain» (1969) entwirft in der Verklammerung von traditionellem Erzählen, offizieller «weisser» Geschichte und Autobiografie eine Rekonstruktion der Kultur der Kiowa, zu denen Momadays Vater gehörte.
«The Names» (1976) erzählt eine Familiengeschichte, in der die Vielzahl ethnischer Quellen sichtbar wird, die den Hintergrund des Autors bilden. Dies ist die Voraussetzung des im Zeichen des Literarischen (wie nebenher auch der Malerei) gelebten Lebens von Momaday; aus ihr speist sich auch die leitmotivisch wiederkehrende Erfahrung der Protagonisten seiner literarischen Texte, dass Identität gewählt und gewollt sein muss, um schliesslich ihre innere Notwendigkeit zu entfalten.
Kritisch und offen
Das Studium bei Winters vermittelt dem Autor Konzeptionen für die Lektüre der grossen Werke der amerikanischen Moderne, vor allem Faulkners und Hemingways, deren Einfluss auf sein Erzählen unverkennbar ist.
Mit der Betonung des signifikativen Moments, in dem Erfahrungen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenschiessen, gibt es ihm zugleich Perspektiven für kritische Äusserungen – oft im Rahmen von Interviews –, mit denen Momaday über Jahrzehnte regelmässig in die indigene Literaturproduktion eingreift. Und es liefert Anregungen für ein eigenständiges lyrisches Schaffen (etwa in «Angle of Geese» von 1974 oder «In the Presence of the Sun» von 1992), das von satirischen Impromptus bis zu magischen Beschwörungen einer anderen Realität reicht.
Der Griff nach der Transzendenz trägt dabei – wie in den erzählenden Texten – die ethnische Komponente immer so in sich, dass sie dem inneren Zusammenhalt der eigenen Gruppe dient, zugleich aber kommunikativ nach aussen hin offen bleibt.
Mit seinem vergleichsweise schmalen Œuvre hat N. Scott Momaday – wie Ralph Ellison in noch weit extremerer Weise für die afroamerikanische Literatur – eine sozusagen überproportionale literaturgeschichtliche Wirkung gehabt. Er starb am 24. Januar im Alter von 89 Jahren.
Hartwig Isernhagen ist ein deutscher Anglist und emeritierter Professor für Amerikanische Literatur an der Universität Basel.