Sophie Hunger und andere Künstler, die eine klare Haltung gegen Judenhass zeigen, werden eingeschüchtert, Sympathisanten von Terroristen hofiert. Die Berner Kulturszene hat ein Antisemitismusproblem.
Ihre drei Auftritte im Klub «Dampfzentrale» sind bereits ausgebucht. Aber nicht alle freuen sich, dass Sophie Hunger am Donnerstag nach Bern kommt. Die international erfolgreiche Sängerin, so behaupteten linke Aktivisten in den sozialen Netzwerken, verbreite israelische Propaganda. Mitarbeiter des Ciné Résistance warfen der «Dampfzentrale» vor, die Einladung Sophie Hungers zeuge von wenig «Feingefühl».
Ein Wandbild für Sophie Hunger, das der Berner Künstler Johannes Lortz vor dem alternativen Kulturzentrum Reitschule gestaltet hat, übermalten Unbekannte mit einem roten Dreieck – einem Zeichen, mit dem Anhänger und Verteidiger der islamistischen Terrororganisation Hamas ihre Feinde markieren.
Künstler mit Pfefferspray attackiert
Die Angriffe auf Sophie Hunger offenbaren ein tieferliegendes Problem in der Berner Kulturszene. Sie seien exemplarisch, heisst es in einem offenen Brief an die Stadtregierung, den Johannes Lortz, Samuel Schwarz und andere Künstler Ende März lanciert haben. «Mit Sorge beobachten wir die zunehmende Polarisierung», schreiben sie, in Bern werde unter staatlicher Mithilfe eine Atmosphäre gefördert, die Drohungen, Diffamierungen und Lagerbildung begünstige.
Lortz verkehrt seit Jahren im Umfeld der linksalternativen Reitschule und setzt sich gegen jeden Antisemitismus ein. Auch jenen, der sich gegen Israel als angeblichen Ursprung alles Bösen richtet. Damit stösst er jedoch zunehmend auf Ablehnung, manchmal sogar offenen Hass. Einmal, so erzählt er der NZZ, sei er von zwei Unbekannten mit Pfefferspray attackiert worden.
«Die linke Szene ist gespalten», sagt er, «ein Teil der Antifa ist stabil gegen Antisemitismus, aber zu viele liebäugeln mit RAF- und Terror-Romantik.»
Tatsächlich hat sich in Bern wie in anderen Städten in linksalternativen Kreisen eine Ideologie ausgebreitet, die von einfachen Weltbildern, Geschichtsvergessenheit, Verschwörungstheorien und «radical chic» lebt. Ihre Anhänger sehen sich als Vorkämpfer für Diversität und Fortschritt. Gleichzeitig schüren sie Hass auf Juden und Andersdenkende.
Folgenreicher Gastauftritt bei der Antilopen Gang
Andersdenkende sind in diesem Fall nicht Leute, die Israels Siedlungspolitik oder Netanyahus Bombenkrieg in Gaza rechtfertigen. Sondern alle, die Israel nicht pauschal als faschistischen Schurkenstaat betrachten und sich nicht vorbehaltlos mit dem palästinensischen «Widerstand» – also auch der Hamas – solidarisieren.
Das Beispiel von Sophie Hunger zeigt, wie wenig es braucht, um als Feind markiert zu werden. Bisher fiel die Sängerin bestenfalls mit Kritik an Rechtspopulisten und Voten für einen Ausbau des Sozialstaates auf. In der «Dampfzentrale» wird sie keine politischen Vorträge halten, sondern an drei Abenden aus ihrem neuen Buch «Walzer für Niemand» lesen und singen.
Sie gilt jedoch als «israelfreundlich», besonders seit sie im Song «Oktober in Europa» der Gruppe Antilopen Gang aufgetreten ist. Dieser thematisiert den zunehmenden Antisemitismus in Europa seit dem 7. Oktober 2023. Linke und Islamisten werden nicht verschont.
«Überraschung, auch Greta hasst Juden», heisst es in dem Lied mit Anspielung auf Greta Thunberg, die die Welt nicht nur vom Klimawandel, sondern auch von Israel befreien will, oder: «Hamas-Propaganda an Kreuzberger Hauswänden». Heute, so lautet eine der Kernbotschaften des Songs, seien die grössten Antisemiten alle Antirassisten.
Der Satz mag zugespitzt sein, trifft aber auf jenes linksradikale Milieu zu, das in Bern gegen Sophie Hunger und andere Künstler mobilisiert.
Ein «Special Guest», der den Terror bejubelt
Das Ciné Résistance, das die Einladung Hungers unsensibel findet, zeigt vor allem palästinensische Propaganda. Zum Kollektiv, welches das Kino führt, gehört Dino Dragic-Dubois. In der Partyszene ist er eine bekannte Figur, vor allem als Co-Betreiber des Klubs «Kapitel» im Bollwerk, der nach finanziellen Schwierigkeiten unter dem Namen «In Transformation» weitergeführt wird. Zusammen mit Teilen der Reitschule gelten diese Lokale als Hotspots von Aktivisten, die sich hypersensibel geben. Und gleichzeitig sexuelle Gewalt und Terror legitimieren.
Dino Dragic-Dubois bezeichnet sich seit einiger Zeit als nonbinär, bei den letzten Wahlen kandidierte er für die Alternative Linke für das Stadtparlament. Auf dem Wahlbild trägt er Schnauz und eine palästinensische Kufiya, dazu der Slogan: «Gegen Imperialismus und Patriarchat! Für mehr Verständnis!»
Sein Klub «In Transformation» ist mit einer Palästinenserflagge geschmückt, im WC werden die Gäste darüber informiert, was Begriffe wie «Tinfa» bedeuten (Geschlechtsidentitäten, die vom Patriarchat unterdrückt werden) oder «Awareness» (respektvoller Umgang, keine diskriminierenden und «gewaltvollen Verhältnisse» tolerieren). Ausgehen, so erfährt man, ist politisch. Weil dort «Unterdrückung/Ausgrenzung stattfindet und bekämpft werden muss».
Vor einem Jahr sorgte der Klub «Kapitel» für Aufsehen, als er Mohammed Khatib einlud. Der als «Special Guest» angekündigte Khatib ist EU-Koordinator des Netzwerks Samidoun, das in Deutschland verboten ist. Dies, weil Samidoun den Terror der Hamas vom 7. Oktober als legitimen Widerstand betrachtet, also auch die massenhafte Vergewaltigung von Frauen und die Ermordung von Kindern. Was die Hamas tue, müsse man feiern, sagte Khatib nach dem Massaker.
«Israhell» sei mit Nazi-Geldern aufgebaut worden, glauben sie
Bis vor kurzem war der «Kapitel»-Betreiber Dragic-Dubois Mitglied der städtischen Kulturkommission. Diese wird von der Berner Exekutive gewählt, und sie entscheidet über die Förderung von anderen Künstlern. Auch als Mitglied dieses Gremiums pflegte Dragic-Dubois eigenartige Vorstellungen von Awareness. Dem Schriftsteller und Künstler Jürg Halter schrieb er auf Instagram: «Figg di, du gruusige Genozidverherrlicher».
Anlass dazu war ein Post Halters, in dem dieser SP und SVP vorwirft, zu wenig gegen Antisemiten in den eigenen Reihen zu unternehmen. Die jüdische Künstlerin Marina Belobrovaja zog den Zorn von Dragic-Dubois auf sich, weil sie eine Kunstaktion sachlich kritisiert hatte, bei der eine Landkarte ohne Israel zu sehen war. Diese Kritik, so beschied er der Künstlerin, sei widerlich. Und «Israhell» ein rassistisches Kolonialprojekt, das mit Nazi-Geldern aufgebaut worden sei.
Die Äusserungen des Kunstkommissionsmitglieds waren der Berner Stadtregierung seit Monaten bekannt. Zuerst versuchte sie es mit Ermahnungen, Mediationen und Beratungen durch externe Fachpersonen. Gehandelt hat sie erst letzte Woche. Und mitgeteilt, man habe «eine Person aufgrund von Hate-Speech in den sozialen Medien nicht wiedergewählt». Das Lavieren der Regierung ist für Kritiker ein Beweis dafür, dass die Stadt das Problem zu wenig ernst nimmt.
«Gehandelt wird offenbar erst, wenn es nicht mehr anders geht», sagt Jürg Halter. «Handeln muss man aber bereits dann, wenn Hetze sichtbar wird.» Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP) betont dagegen, der Gemeinderat sei nach den ersten Meldungen sofort aktiv geworden, habe den Sachverhalt aber erst sorgfältig abklären wollen. Die Regierung stelle sich klar und entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierungen in allen Formen.
Die Beschwörungen, wonach man Rassismus und Judenhass in Bern nicht dulde, werden in der Kulturszene regelmässig widerlegt. Im April 2024 trat in der staatlich subventionierten Reitschule der französisch-libanesische DJ Arabian Panther auf. Dieser behauptete auf Instagram, die Vergewaltigung von Frauen habe es am 7. Oktober nie gegeben. Der Party-Flyer zeigte ihn verhüllt vor einer Wüstenlandschaft, in Kufiya und einer martialischen Pose, die an den IS erinnert.
Die Reitschule kündigte den Act als Solidaritätsveranstaltung gegen den «Genozid» in Gaza an. Ein Rave sei nämlich ein «politisches Werkzeug marginalisierter und unterdrückter Gruppen». Passend dazu wurde eine Spendensammlung für den Ghassan Abu Sittah Children’s Fund angekündigt. Der britisch-palästinensische Arzt Ghassan Abusittah hat wiederholt Sympathien für Terroristen bekundet. Auch für solche, die am 7. Oktober beteiligt waren.
Vermeintlicher Antirassist outet sich als Hamas-Freund
Johannes Lortz war einer der wenigen, die gegen den Auftritt des DJ Arabian Panther protestierten. Er vermutet, dass ihn Unbekannte deshalb mit Pfefferspray attackiert haben.
Während linke Freigeister wie Lortz um ihre Sicherheit fürchten müssen, werden Extremisten hofiert. Selbst wenn sie sich offen als Anhänger von Terrororganisationen outen.
So geschehen im Fall des Berner Aktivisten Mohamed Wa Baile, der die Schweiz in Strassburg wegen Racial Profilings bei Polizeikontrollen verklagte. In den sozialen Netzwerken verbreitete der vermeintliche Antirassist Aussagen wie: «Ich bin Hamas, ich bin Huthi, ich bin Hezbollah.» Oder: «Ich verurteile Hamas nicht, ich verstehe Hamas und unterstütze ihre Sache.» Die Huthi-Terroristen schlug Wa Baile als Kandidaten für den Friedensnobelpreis vor. Deren Leitspruch lautet unter anderem: «Fluch über die Juden, Sieg für den Islam!»
Dennoch förderten Stadt und Kanton Bern, die Fachstelle für Rassismusbekämpfung und andere Institutionen ein Tanz- und Theaterprojekt in der «Dampfzentrale», an dem Wa Baile als Autor beteiligt war. Sein Name steht auf der Webseite ganz oben, darunter die Namen der staatlichen Unterstützer.
Auch Klubs wie «In Transformation» bleiben nach dem Eklat in der Kulturkommission in staatliche Förderstrukturen eingebunden. In diesem Frühling gastieren in dem Klub am Bollwerk zwei Festivals, welche die Stadt mit namhaften Beiträgen fördert. «In Transformation» schmückt sich zudem in Aushängen und Programmen mit Labels der Stadt Bern oder der staatlichen Hochschule der Künste Bern (HKB), die dort «spannende Talks von Kulturschaffenden» organisiert – unter anderem mit Dino Dragic-Dubois. Ein Professor der HKB ist im Vorstand von «In Transformation» tätig.
Stadtpräsidentin Marieke Kruit weist auf Anfrage der NZZ darauf hin, dass Mohamed Wa Bailes Äusserungen nicht bekannt gewesen seien, als die Stadt ihren Beitrag gesprochen habe. Die erwähnten Festivals seien unabhängig. Gleichwohl dürften derartige Verflechtungen ein Klima fördern, in dem sich Extremisten legitimiert fühlen.
Die Mischung aus Israel-Hass und Sympathie für islamistischen Terror, die in Bern wie in anderen Städten gedeiht, vereint linke Bürgerkinder, Partygänger, postkolonial inspirierte Kirchenvertreter und Migranten, die Juden als Feinde des Islam und der Araber betrachten. Die Folgen spüren nicht nur jüdische Schulkinder, die nach dem 7. Oktober vermehrt über Attacken klagten.
Rapper Macklemores Auftritt mit Hakennase
Die jüdische Publizistin Hannah Einhaus berichtet, sie habe im letzten September einen Anlass zum 7. Oktober von der Polizei schützen lassen. Am Ende der Veranstaltung hätten sich Leute aus dem Umfeld des «Kapitel» vor dem Eingang versammelt.
Dem Sicherheitsdirektor der Stadt hat Einhaus letzte Woche einen Brief geschrieben. Der Kulturplatz Bern, so habe sie ihm mitgeteilt, sei kein Safe Space mehr für Menschen, die Empathie für Juden und Israeli zeigten. Wer Diversity leben wolle und sich islamistischen Terror ins Haus hole, säge am eigenen Ast.
Anlass für Einhaus’ Brief war eine Aussage des Sicherheitsdirektors, wonach es wegen des Auftritts von Sophie Hunger keine Sicherheitsbedenken gebe. Auch Johannes Lortz und Samuel Schwarz bezweifeln, dass der Anlass genug geschützt wird. Ihr offener Brief an die Stadtregierung, in dem sie das politische Klima kritisieren, ist von über fünfhundert Leuten unterzeichnet worden.
Sophie Hunger schreibt der NZZ, sie wolle «die wenigen Stimmen» nicht kommentieren, die ihren Auftritt verhindern wollten. Sie hätten keine inhaltliche Substanz und wollten bloss Aufmerksamkeit.
Ganz so wenige sind es wohl nicht – und sie werden weiter auf ihre Kosten kommen. Im Juli soll der amerikanische Rapper Macklemore am Gurtenfestival auftreten. Er vergleicht Israels Politik mit jener der Nazis und trat 2014 mit Hakennase und schwarzer Perücke auf.