Wolfgang Tillmans ist der Meister des Understatements. Er zeigt schreiend bunte Stillleben und Küsse – zärtlich und leidenschaftlich, ohne dass es befremdend wäre. Das Dresdner Albertinum widmet dem deutschen Künstler eine grosse Ausstellung.
Vollkommen unerwartet tritt uns Jodie Foster entgegen. Das Foto zeigt die Schauspielerin in einem gelben T-Shirt mit der Aufschrift «New York». Entspannt führt sie die Hand zum Mund, als würde sie ein Stück von der Zuckermelone naschen, die vor ihr auf dem Tisch liegt. Der Titel der Arbeit aus dem Jahre 2023 lautet: «Jodie in my kitchen».
Das Foto in der Dresdner Ausstellung «Weltraum» des deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans zeigt eine profane Szene mit einem ganz und gar nicht alltäglichen Menschen. Man könnte es übersehen, aber der Lidschatten der Schauspielerin wiederholt die Farben der Melonenstücke und des T-Shirts. Auch in anderen Bildern der Serie greift der Künstler auf solche inszenatorischen Details zurück. Aber diese entdeckt man erst auf den zweiten Blick.
Tillmans’ Fotografie lässt jede Angestrengtheit hinter sich. Er ist ein Meister des Understatements. Von Beginn an war es ihm darum zu tun, eine Ästhetik des Alltags zu entwickeln und eine Kunst der Vorschriften zu verabschieden. Sein immenser Erfolg ist auch dem Zeitgeist geschuldet: Das Pathos grossformatiger Fotografien, wie es seit den neunziger Jahren den Erfolg bestimmter Schulen definiert hat, wird bei Tillmans noch einmal gesteigert. So zugänglich kann Kunst sein.
Musik und Ekstase
Wolfgang Tillmans ist seit den späten achtziger Jahren als Fotograf tätig und gehört zu den renommiertesten Künstlern unserer Zeit. Zahlreiche Preise und unzählige Ausstellungen zeugen von seinem Erfolg. Die Schau im Dresdner Albertinum steht am Beginn eines Marathons, der die Werke an weitere europäische Stationen bringen wird. In fünf grossen Räumen werden einhundertundfünfzig Arbeiten gezeigt, die in einem Zeitraum von den achtziger Jahren bis heute entstanden sind.
Manches wirkt geknipst und ist dem Augenblick geschuldet, anderes bedarf der Inszenierung und ist deutlich gestellt. Ein Selbstbildnis zeigt den Fotografen in Skater-Kleidung und Turnschuhen. Scheinbar zufällig hat er sich auf der Strasse in einem Spiegel erblickt und abgelichtet. Er unterläuft jeden Dresscode. Seine künstlerische Herkunft aus der Populärkultur bleibt bis heute sichtbar.
Tillmans hat zunächst für Musikzeitschriften fotografiert. Seine frühen Arbeiten dokumentieren die aufkommende Rave-Szene. Wir sehen Tänzerinnen und Tänzer in Klubs. Musik und Ekstase. Nacktheit und Geschlechtsorgane junger Menschen werden gezeigt. Küsse – zärtlich und leidenschaftlich, ohne dass es befremdend wäre. Dies betrifft auch die gleichgeschlechtliche Sexualität. Sie wird offen und erkennbar dargestellt. Tillmans vermeidet die Pose. Niemand wird seiner aussergewöhnlichen Schönheit wegen fotografiert. Auf einem weiteren Selbstbildnis trägt der Künstler ein T-Shirt mit der Aufschrift: «I embody revolt» – ich verkörpere die Revolte.
Doch bei allen Gesten des Understatements gibt es immer wieder Verweise auf die Tradition. In der Ausstellung stechen die grossformatigen Stillleben besonders ins Auge. Die Arbeit «Lagos» zeigt exotische Früchte und Plastiktüten, die auf einem Bett liegen. Die Objekte sind gross und schreiend bunt. Man erhält den Eindruck, als wäre jede Frucht selbst ein Kunstwerk, als bedürfe es keines Bildes und als wären die Früchte sich selbst genug.
Kunsthistorische Bezüge
Gleichwohl fühlt man sich an die Tradition der Stillleben-Fotografie eines Irving Penn erinnert. Und wenn der Fotograf einen Sonnenuntergang und gleichzeitigen Mondaufgang zeigt, spielt er mit den Werken von Caspar David Friedrich und dessen berühmten Rückenfiguren. Weitere Arbeiten lassen an die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts denken. Aber dies geschieht unangestrengt, quasi en passant.
Zudem gibt es keine erkennbar dominante Gattung. Das Porträt des ehemaligen Museumsdirektors Neil MacGregor findet sich neben solchen von unbekannten Personen, abstrakte Farbexperimente neben Stillleben, Landschaften und Alltagsszenen. Zu Beginn der Ausstellung findet sich eine Aufnahme des Teilchenbeschleunigers aus dem Genfer Cern, als sollte die Frage nach dem Wesen der Materie gestellt werden. Demgegenüber bringen Bilder von Planeten eine kosmische Dimension ins Spiel.
Der Mensch, so macht die Auswahl deutlich, ist ein Bewohner unterschiedlicher Welten. Nachtaufnahmen von leuchtenden Städten lassen an kostbare Preziosen denken. Maschinen und Landschaften, Menschen aus unterschiedlichen Erdteilen: Man hat es mit einer Ästhetik des «Es gibt» zu tun. Schönheit ist bisweilen naiv, aber für das Staunen muss man sich nicht schämen.
Um all diese Eindrücke möglich zu machen, geht mit Tillmans’ Fotografie eine besondere Form der Präsentation einher. Auch dabei wird versucht, der Gleichmacherei zu entgehen. Die in der Ausstellung gezeigten Fotos wechseln in den Formaten und sind in Rahmen, aber auch mit Klammern oder Klebeband an der Wand befestigt. Auf diese Weise kommen die Werke spielerisch daher und lassen an die Tradition von Polaroids denken.
Alles wirkt spontan, als gäbe es immer auch Alternativen. Diese Beschreibung betrifft den Blick aus einem gewissen Abstand. Nähert man sich an, entsteht ein bestimmtes Verhältnis von Werk und Titel. Einer unbekümmerten Deutung wird Raum gegeben. Denn die Schildchen zu den Fotos finden sich nicht direkt neben den Werken, sondern an einer zentralen Stelle, die man aber nicht zuerst anstrebt. Die Wahrnehmung der Bilder und unsere damit einhergehenden Assoziationen gehen der Erklärung durch den Titel immer voraus.
Zugleich wird damit eine «Perspektive von unten» ermöglicht. Tillmans’ Fotografie folgt dem Programm einer offenen Ästhetik. Damit geht aber auch ein Problem einher. Die Ausstellung findet kein rechtes Ende. Es könnte immer so weitergehen. So etwas muss man mögen. Manchmal ist weniger ja auch mehr.
Wolfgang Tillmans. Weltraum. Albertinum, Dresden, bis 29. Juni.