Sportmarken wie On, Nike und Adidas produzieren in Vietnam. Sie wollten damit dem Handelsstreit zwischen den USA und China ausweichen – und stehen nun vor einem anderen Problem.
Der Cloudsurfer des Schweizer Schuhherstellers On hat eine weiche Oberfläche, eine dicke Sohle, und auf seiner Innenseite klebt ein weisses Etikett. «Swiss Engineering» steht dort, weil der Schuh in der Schweiz entworfen wird. Wer genauer hinsieht, entdeckt aber noch einen weiteren Hinweis. Denn da steht auch «Made in Vietnam». Drei kleine Wörter, die zu einem grossen Problem werden könnten.
Denn auch Vietnam steht im Zentrum der Zollpläne von Donald Trump. Am Mittwoch galt für kurze Zeit ein Strafzoll von 46 Prozent auf sämtliche Einfuhren aus dem Land. Zwar hat Trump diese Zölle am selben Abend überraschend für 90 Tage aufgehoben und sie durch einen universellen Zoll von 10 Prozent ersetzt, doch die Drohung bleibt bestehen. Keine Ausnahme machte der amerikanische Präsident zudem für Einfuhren aus China: Auf sie fallen derzeit astronomisch hohe 125 Prozent an.
Ausgerechnet diese Länder sind für die Sportartikelindustrie aber unentbehrlich. On, Nike, Adidas, Puma: Sie alle lassen ihre Sneakers und Shirts in Südostasien fertigen, in riesigen Fabriken mit Tausenden von Arbeitern. Als zentraler Standort hat sich in den letzten Jahren Vietnam etabliert. Dorthin verlagerten die Hersteller ihre Produktion, nachdem Trump 2019 den ersten Zollstreit mit China angezettelt hatte. Sie glaubten, so vor künftigen Streitereien zwischen den beiden Grossmächten sicher zu sein.
Nun zeigt sich: Auch Vietnam bietet keinen Schutz vor Trumps erratischer Handelspolitik. Die vermeintlich sichere Alternative – sie könnte zur Falle werden.
Der grösste Verlierer ist ein amerikanisches Unternehmen
Cristina Fernández ist Analystin bei der New Yorker Telsey Advisory Group und beobachtet die Firmen On und Nike, die beide an der Wall Street gehandelt werden. Strafzölle, sagt sie, brächten das Geschäftsmodell der Sportartikelhersteller «ziemlich durcheinander».
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie bedeutend Vietnam für die Industrie geworden ist: On lässt neun von zehn Schuhen in Vietnam produzieren und 60 Prozent der Kleider und Accessoires. Bei Adidas sind es vier von zehn Schuhen und fast ein Fünftel aller Textilien. Und dann ist da Nike: Der Marktführer mit Sitz in Oregon lässt die Hälfte seiner Schuhe und 28 Prozent der Kleidung in Vietnam herstellen.
Rechnet man die Produktion in Indonesien und China hinzu, stammen 95 Prozent aller Nike-Produkte aus Ländern, denen Trump mit den höchsten Zöllen droht. Das macht das amerikanische Unternehmen zu einem Verlierer im Handelskrieg – obwohl dieser doch der heimischen Industrie dienen sollte.
Ein Preisaufschlag von 24 Dollar?
On reagiert auf den eskalierenden Zollstreit gelassen – zumindest nach aussen. Man verfüge über eine «gut und robust aufgestellte» Lieferkette, die regelmässig überprüft und bei Bedarf angepasst werde, teilt das Unternehmen mit. Konkreter wird es nicht. Von Nike und Adidas gab es auf Anfrage keine Stellungnahme. Im Hintergrund dürften die Strategen aber schon fleissig am Rechnen sein.
Laut der Analystin Cristina Fernández haben die Hersteller drei Optionen, auf die Zölle zu reagieren. Erstens: Sie verhandeln mit ihren Zulieferern über Preisnachlässe. Zweitens: Sie geben die Mehrkosten an die Konsumenten weiter, erhöhen also den Verkaufspreis. Oder drittens: Sie übernehmen die zusätzlichen Kosten selbst, indem sie tiefere Margen akzeptieren.
Am wahrscheinlichsten sei Variante zwei, sagt Fernández: eine Preiserhöhung im Handel. Doch die würde nicht über Nacht kommen. «Preisanpassungen sind komplex», sagt sie. Bei vielen Marken seien die Verkaufspreise bereits fix mit dem Handel vereinbart. Die Effekte werde man frühestens in einem halben Jahr in den Läden sehen.
Wie stark die Preise tatsächlich steigen werden, hängt vom effektiven Zollsatz ab. Wo Trump diesen nach Ablauf der 90 Tage festlegen wird, weiss niemand. Viele Hersteller profitieren zudem heute schon vom sogenannten First-Sale-Prinzip: Sie zahlen die Einfuhrzölle nicht auf den teuren Verkaufspreis, sondern auf den niedrigeren Produktionspreis beim Hersteller. Das spart Millionen.
Trotzdem gelten Preissteigerungen in einem Handelskrieg als gegeben. Cristina Fernández nennt eine Faustregel für Sportartikel: Ein Drittel des Zollsatzes schlage sich letztlich im Ladenpreis nieder. Auf dieses Ergebnis kommt auch eine Analyse der UBS.
Im Fall eines Zolls von 46 Prozent würde das einem Aufschlag von etwa 15 Prozent entsprechen. Ein On-Schuh, der heute 160 Dollar kostet, würde nach dieser Rechnung plötzlich 184 Dollar kosten. Dieser Aufschlag sei so hoch, dass ihn die Unternehmen teilweise selber tragen müssten, sagt Fernández. 15 Prozent weiterzugeben, sei zwar möglich, «doch kein Wettbewerber macht so etwas freiwillig». Erst recht nicht in einem wichtigen Markt wie den USA, wo 99 Prozent aller Turnschuhe importiert werden.
Eine andere Option wäre es, die Produktion in andere Länder zu verlagern. Infrage kämen Staaten wie die Türkei oder Ägypten, die in Trumps Gunst weiter oben stehen als Vietnam. Für Robert Krankowski, Analyst für die UBS in London, ist das aber nicht realistisch. Er sagt: «Ein Wegzug aus Südostasien wäre schwierig.» Allein der Aufbau eines neuen Produktionsstandorts dauere ein bis zwei Jahre. Und niemand kann derzeit sagen, ob und welche Zölle dann gelten.
Krankowski geht davon aus, dass die Unternehmen stattdessen versuchen werden, ihre bestehenden Strukturen zu verbessern. Einige Hersteller seien bereits in Gesprächen mit Zulieferern, um tiefere Preise zu verhandeln. Ob das gelingt, hängt von der Marktmacht der Unternehmen ab.
On ist besser dran als Nike
Denn der Handelskrieg wird nicht alle Sportartikelhersteller gleich hart treffen. Einige stehen überraschend gut da. Adidas etwa hat das schwierige Kapitel um die Yeezy-Schuhe von Kanye West abgeschlossen und profitiert derzeit vom Retro-Hype. Modelle wie der Samba oder der Gazelle verkaufen sich weltweit gut.
On wiederum wächst in eigenen Dimensionen. Der Schweizer Hersteller steigerte den Jahresumsatz jüngst auf 2,3 Milliarden Franken, was einem Plus von 30 Prozent entspricht. Mit einer Bruttomarge von 60 Prozent ist das Unternehmen deutlich profitabler als viele seiner Mitbewerber. Das gibt Raum, um die Zölle abzufedern.
Anders sieht es bei Nike aus. Der Konzern steht unter Druck. Das China-Geschäft schwächelt, gleichzeitig nehmen neue Wettbewerber wie On oder Hoka dem Konzern Marktanteile weg. Nach einer Serie von enttäuschenden Quartalszahlen musste der CEO John Donahoe im Herbst gehen. Nike tat, was Unternehmen oft tun, wenn sie in Schwierigkeiten sind: Es holte den früheren Chef Elliott Hill zurück. Doch auch er präsentierte bisher enttäuschende Zahlen.
Auf und Ab an der Börse
Während die Konzerne ihren Kurs noch finden müssen, reagieren die Anleger auf jede Regung von Trump. Nach der Ankündigung der neuen Zölle am 2. April verloren die Papiere der Sportmarken im zweistelligen Prozentbereich. Am Mittwoch ging es wieder bergauf.
Auch für Vietnam steht viel auf dem Spiel. Die Lieferungen in die USA machen 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Die Regierung in Hanoi will deshalb ein Handelsabkommen mit den USA ausarbeiten. Dabei soll es um die Beseitigung möglichst vieler Handelshemmnisse gehen, wie die Regierung am Mittwoch nach einem Treffen in Washington erklärte. Vietnam wolle zudem amerikanische Investitionen im Land erleichtern und den «Kampf gegen den Handelsbetrug» verstärken.
Die Sportartikelhersteller werden die nächsten 90 Tage nutzen, um ihre Strategie zu überdenken. Dazu gehört auch die grundsätzliche Frage, wie sich die Abhängigkeit von einzelnen Produktionsstandorten langfristig verringern lässt.
On etwa experimentiert mit der sogenannten Lightspray-Technologie. Dabei wird der Schuh nicht mehr in einer Firma im Ausland genäht und verschifft, sondern von einem Roboter in wenigen Minuten vor Ort gesprayt. Das wäre nicht nur ein Bruch mit den bisherigen Produktionsketten – sondern auch ein möglicher Ausweg aus dem nächsten Zollstreit.