In letzter Minute vollzieht Trump in der Zollpolitik eine Korrektur. Wie kam es dazu? Der Druck aus Wirtschaft und Politik wuchs stetig. Auch Karin Keller-Sutter redete dem Präsidenten ins Gewissen. Eines war aber entscheidend: Den USA drohte eine Finanzkrise.
Die Alarmsignale an den Börsen standen bereits seit Tagen auf Dunkelrot. Die am Samstag in Kraft getretenen universellen Zölle von zehn Prozent waren bereits ein Schock. Aber am Mittwoch sollte mit den abenteuerlich berechneten «reziproken» Zöllen erst der eigentliche Hammer folgen. Trotz um sich greifender Panik verkündete der amerikanische Präsident auch am Mittwochmorgen noch Durchhalteparolen: «Bleibt cool! Alles wird gut werden», schrieb Donald Trump um 9 Uhr 33 auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Am Samstag hatte er nicht weniger als eine «wirtschaftliche Revolution» versprochen: «Haltet durch, es wird nicht einfach sein, aber das Endresultat wird historisch.»
Doch am frühen Mittwochnachmittag sagte Trump die Revolution zumindest in ihrer radikalsten Version ab. Weil über 75 Länder mit den USA verhandeln wollten, pausiere er – ausser für China – weitere Zollerhöhungen für 90 Tage, liess der Präsident verlauten. In seiner ersten Amtszeit hätte eine solche Kehrtwende kaum jemanden überrascht. Die Episode sei typisch Trump gewesen, schrieb etwa das «Wall Street Journal» am Donnerstag: «Er handelt drastisch, beobachtet die Reaktionen, lässt Berater und Verbündete rätseln und vollzieht dann einen Kurswechsel.»
Bessent verschafft sich Gehör
Doch je länger Trump den Börsencrash ignorierte, desto grösser wurden die Zweifel, ob das Drehbuch seiner ersten Amtszeit noch gilt. Damals benutzte er die Zollerhöhungen vor allem als Verhandlungsinstrument. Oft fühlte er sich von seinen Beratern daran gehindert, seinen protektionistischen Instinkten zu folgen. Bereits im Wahlkampf versprach er, in seiner zweiten Amtszeit eine aggressivere Zollpolitik zu verfolgen. Die USA sollten dadurch reindustrialisiert werden, und zugleich sollten die Zolleinnahmen das staatliche Schuldenproblem lösen.
Am Mittwoch aber setzte sich am Ende doch noch der gemässigtere Trump aus der ersten Amtszeit gegen den revolutionären Trump der zweiten Amtszeit durch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine entscheidende Rolle spielte wohl der Finanzminister Scott Bessent. Er wurde angeblich mit besorgten Telefonanrufen von der Wall Street überflutet. Am Wochenende flog Bessent nach Florida, um ein langes Gespräch mit dem Präsidenten zu führen. Er versuchte ihn davon zu überzeugen, die Zölle als blosses Verhandlungsinstrument zu benutzen.
Bessent schien sich Gehör verschafft zu haben. Ab Montag verstärkte das Weisse Haus die Botschaft, dass die amerikanische Regierung offen für Gespräche mit ausländischen Handelspartnern sei. «Wir müssen enorm viele Anfragen für Verhandlungen koordinieren», erklärte Kevin Hassett, der Direktor des nationalen Wirtschaftsrats, am Dienstag. Die Verständigung mit wichtigen Verbündeten wie Südkorea oder Japan habe Priorität.
Der Milliardär und Trump-Unterstützer Bill Ackman forderte den Präsidenten seinerseits am Sonntag dazu auf, die «unverhältnismässigen» Zollerhöhungen für 90 Tage aufzuschieben. Sonst drohe ein «nuklearer wirtschaftlicher Winter». Am Montag erholten sich die Börsenkurse kurzfristig, weil die Anleger auf eine Aussetzung der Zölle hofften. Doch der Präsident selbst verwarf die Idee wenig später. «Wir können permanente Zölle haben und gleichzeitig Verhandlungen führen.»
Warnrufe auf Trumps Lieblingssender
Am Dienstag verstärkten indes Wirtschaftsführer und einflussreiche Politiker den medialen Druck auf Trump. Auf Fox News, dem Lieblingssender des Präsidenten, warnte Jamie Dimon, der CEO der Grossbank JPMorgan Chase, vor einer «wahrscheinlichen Rezession». Trump soll sich das Interview angeschaut haben. Am Dienstagabend traten acht republikanische Senatoren bei Fox News auf. John Kennedy aus Louisiana meinte: «Ich hoffe, dass Trump die Zölle für Verhandlungen nutzt, um sie mit diesen Ländern auf null zu reduzieren. Wettbewerb macht uns besser.» Ob alle damit einverstanden seien, wollte der Moderator Sean Hannity von den Senatoren wissen. Alle nickten zustimmend. Nach der Sendung führten die Politiker zudem ein Telefongespräch mit dem Präsidenten.
Am Mittwochmorgen telefonierte Trump während 25 Minuten mit der Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter. Gemäss der «Washington Post» erklärte sie dem amerikanischen Präsidenten, wie viel die Schweiz in den USA mit ihren Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt und dass Bern die Zölle auf amerikanische Industrieprodukte abgeschafft hat. Trump wollte Importe aus der Schweiz mit Zöllen von 31 Prozent belegen. Am Donnerstag erklärte Hassett, das bilaterale Gespräch sei «unglaublich angenehm» verlaufen. «Wir einigten uns auf weitere Gespräche im Interesse beider Länder», schrieb Keller-Sutter danach auf X.
Ob die Bundespräsidentin den amerikanischen Staatschef entscheidend beeinflusste, ist schwer zu sagen, aber eher unwahrscheinlich. Kurz darauf traf sich Trump indes am Mittag mit Finanzminister Bessent, Handelsminister Howard Lutnick und Hassett im Oval Office. Dabei entschied sich der Präsident für eine Auszeit bei den Zollerhöhungen. Trumps langjähriger Handelsberater Peter Navarro war nicht anwesend. Er ist ein Verfechter einer aggressiven Zollpolitik. Doch in diesem Moment vertraute der Präsident offensichtlich lieber auf gemässigtere Einflüsterer.
Bessent und andere Berater versuchten die abrupte Kehrtwende danach als weitsichtigen und genialen Plan zu verkaufen, um China zu isolieren. «Wir sahen eine erfolgreiche Verhandlungsstrategie, die Präsident Trump umsetzte», erklärte Bessent. Er selbst habe vor einer Woche allen gesagt: «Schlagt nicht (mit Zöllen) zurück, und ihr werdet belohnt.» China werde mit einem Zoll für 125 Prozent bestraft, weil Peking die Situation habe eskalierten lassen.
Erste Anzeichen einer «ernsthaften Finanzkrise»
Bis zur Kehrtwende war jedoch niemand anders in der Regierung über diesen Plan informiert. Trumps Handelsbeauftragter Jamieson Greer verteidigte die ursprünglichen Zollpläne des Präsidenten am Mittwoch bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus. Viele Beobachter sind sich einig, dass vor allem ein Ausverkauf am amerikanischen Anleihenmarkt zum Sinneswandel im Weissen Haus führte. Anleger begannen plötzlich Staatspapiere zu verkaufen, und die Zinsen stiegen. Die USA würden von den globalen Finanzmärkten behandelt wie ein problematisches Schwellenland, schrieb der ehemalige Finanzminister Larry Summers am Mittwochmorgen auf X. «Die Entwicklungen der letzten 24 Stunden lassen vermuten, dass wir auf eine ernsthafte Finanzkrise zusteuern, ausgelöst durch die Zollpolitik der Regierung.»
Gemäss der «New York Times» diskutierten Trump, Bessent, Lutnick und Hassett bei ihrem Treffen im Oval Office über den Anleihenmarkt. Der Präsident gab später selbst zu, am Dienstagabend einen Blick auf den Markt geworfen zu haben: «Den Leuten wurde es ein bisschen mulmig.» Summers scheint es derweil auch nach der Kehrtwende mulmig zu sein. Die verbleibenden Zölle seien immer noch hoch genug, schrieb er am Mittwochnachmittag in einem neuen Post. «Wir sind noch lange nicht über den Berg. Viel Vertrauen ging verloren.»
In privaten Gesprächen soll Trump eingeräumt haben, dass seine Politik in eine Rezession führen könnte. Er wolle aber sicher sein, damit er keine Depression verursache. In einer Regierungssitzung am Donnerstag kehrte Trump indes zu seinem Mantra zurück: «Die wirtschaftliche Transition wird Kosten und Probleme verursachen. Aber am Ende wird es eine schöne Sache sein.»
Wann genau sich der Präsident am Mittwoch zu einem Rückzieher entschied, könnte indes noch wichtig werden. Morgens um 9 Uhr 37 schien Trump auf Truth Social für Aktienkäufe zu werben: «Das ist ein grossartiger Zeitpunkt, um zu kaufen.» Nur wenige Stunden später, als seine Wende bekannt wurde, schnellten die Börsenkurse in die Höhe. Nun steht der Vorwurf im Raum, dass Insidergeschäfte getätigt wurden. Der demokratische Senator Adam Schiff forderte am Donnerstag deshalb eine Untersuchung.