Im Gliedstaat Texas sind Hunderte Menschen an den Masern erkrankt, obwohl die Impfquote hoch ist. Doch Impflücken in einzelnen Regionen reichen aus, damit sich die äusserst ansteckende Krankheit verbreiten kann.
Die Masernepidemie in den USA zieht immer weitere Kreise. Der Ausbruch hat Ende Januar im Westen des Gliedstaates Texas begonnen und sich mittlerweile auf den angrenzenden Gliedstaat New Mexico ausgebreitet. Mindestens 500 Menschen haben sich bereits angesteckt, die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen. Vor allem Kinder sind betroffen. Dutzende werden im Spital behandelt, zwei Schulkinder ohne Vorerkrankungen und ein Erwachsener sind an den Masern gestorben.
Dabei sollte Texas eigentlich gut vor einem Ausbruch geschützt sein. Denn über 94 Prozent der Kindergartenkinder in Texas sind gegen die Masern geimpft – eine ähnlich hohe Zahl wie hierzulande. Wie konnte dennoch ein so grosser Ausbruch zustande kommen? Und könnte er in Europa ebenso drohen?
Hohe nationale Impfquoten verschleiern lokale Impflücken
Will man Ausbrüche einer Infektionskrankheit effektiv verhindern, braucht es eine sogenannte Herdenimmunität. Dafür müssen so viele Menschen gegen den Erreger immun sein, dass ein infizierter Mensch nur sehr selten eine weitere Person ansteckt.
Bei den Masern ist das besonders schwierig zu erreichen, denn sie gehören zu den ansteckendsten Krankheiten überhaupt. Schon ein kurzer Kontakt mit dem Masernvirus führt fast immer zu einer Ansteckung. Noch Stunden nachdem ein mit Masern infizierter Mensch den Raum verlassen hat, können infektiöse Viruspartikel in der Luft schweben. Und infizierte Menschen können schon Tage vor dem Auftreten der ersten Symptome wie dem typischen Hautausschlag ansteckend sein. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssen deshalb 95 Prozent der Bevölkerung immun sein.
Das effektivste Mittel, diese Immunität zu erreichen, ist die Impfung. Seit den 1980er Jahren gibt es den Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln, die sogenannte MMR-Impfung. Der Impfstoff ist einer der wirkungsvollsten, den es gibt. Nach zwei Impfungen sind 99 Prozent aller Menschen lebenslang gegen die drei Krankheiten geschützt.
Auch im Gliedstaat Texas setzt man auf die Impfung, um Masernausbrüche zu verhindern. Für Kinder, die eine Einrichtung wie Schule oder Kindergarten besuchen, gibt es sogar eine Masern-Impfpflicht. Und die scheint zu greifen: Mit über 94 Prozent geimpften Kindergartenkindern steht Texas eigentlich gut da. Eine Ausbreitung der Masern, wie sie gerade stattfindet, wäre bei solchen Impfquoten nicht zu erwarten.
Doch die hohe Impfquote auf Ebene des gesamten Gliedstaates verschleiert ein regionales Problem. Denn in der Realität bedeuten die Zahlen nicht, dass in jedem Kindergarten und an jeder Schule 94 Prozent aller Kinder geimpft sind. Stattdessen sind an den meisten Orten noch deutlich mehr Kinder geimpft – und in einigen wenigen Regionen dafür deutlich weniger.
In Gaines County, dem Bezirk im Westen von Texas, in dem der aktuelle Ausbruch seinen Ursprung hat, sind nur 82 Prozent aller Kindergartenkinder geimpft. In einem der drei Schulbezirke sinkt die Rate sogar auf läppische 46 Prozent. Viel zu wenig, um einen Masernausbruch einzudämmen.
Der Grund für die niedrigen Impfquoten könnte in der Religion liegen. Der jetzige Ausbruch betrifft besonders stark eine mennonitische Religionsgemeinschaft. Und wer religiöse Gründe angibt, kann seine Kinder von der Impfpflicht befreien lassen. Tun das zu viele, kann das offensichtlich Folgen haben.
Die Masernfälle in der Schweiz sind ungleich verteilt
Vergleicht man die Anteile der landesweit gegen Masern geimpften Kinder in der Schweiz und Deutschland mit den USA, zeigt sich ein sehr vergleichbares Bild. Doch wie sieht es hierzulande mit regionalen Abweichungen aus?
Schaut man sich an, wo in der Schweiz die meisten Masernfälle vorkommen, stechen einzelne Bezirke deutlich hervor. So kamen im Entlebuch im Kanton Luzern zwischen 1988 und 2019 auf 10 000 Personen 67 Masernfälle, in den meisten anderen Bezirken kam es im gleichen Zeitraum zu weniger als 10 Fällen. Auch der Kanton Appenzell Innerrhoden verzeichnete eine deutlich höhere Quote an Fällen als der Durchschnitt.
Auch bei den Impfraten der unter 8-jährigen Kinder liegen Luzern und Appenzell Innerrhoden unter dem Schweizer Durchschnitt von 94 Prozent. Ob einzelne Gemeinden oder Schulen durch besonders wenige Masernimpfungen auffallen, wird laut Angaben der kantonalen Gesundheitsdepartemente nicht erhoben.
In Deutschland zeigt ein Blick auf die Impfquoten ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Landkreisen. Gerade in Sachsen liegt der Anteil zweifach geimpfter 2-Jähriger oft unter 60 Prozent. Dabei sollte die MMR-Impfung nach dem empfohlenen Impfschema mit 11 und 15 Monaten verabreicht werden, also deutlich vor dem zweiten Geburtstag.
Ganz so schlimm, wie diese Daten es aussehen lassen, steht es um den Masernschutz in Deutschland aber nicht. Denn die im Kleinkindalter verpasste Impfung wird meist bis zum Eintritt in die Schule nachgeholt – wohl auch wegen der Impfpflicht für Kinder in Kindergärten und Schulen. Auf Nachfrage bestätigt die sächsische Impfkommission, dass zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung 2023 die Impfquote in allen Landkreisen über 94 Prozent betrug. Die Zahl bezieht sich allerdings nur auf diejenigen Kinder, die überhaupt einen Impfnachweis vorlegten. 5 bis 10 Prozent aller Kinder tun das nicht.
Auf die Frage, ob einzelne Schulen mit besonders niedrigen Impfquoten auffallen, schreibt eine Sprecherin der sächsischen Impfkommission: «Erfahrungsgemäss werden in Schulen in freier Trägerschaft und mit anthroposophischer Ausrichtung niedrigere Impfquoten registriert als in staatlichen Schulen.»
Grundsätzlich sind die Masern in Europa wieder auf dem Vormarsch. Laut einem Bericht der WHO wurden in Europa im Jahr 2024 doppelt so viele Masernfälle gemeldet wie im Vorjahr. Damit stieg die Anzahl Fälle auf den höchsten Stand seit 1997. Besonders stark steigen die Fallzahlen bis jetzt in osteuropäischen Ländern an.
Mehr Masernfälle sind dabei durchaus besorgniserregend. Denn die Masern sind mehr als ein harmloser Hautausschlag. Fast alle Erkrankten entwickeln hohes Fieber, und besonders bei Kleinkindern und Erwachsenen kann die Krankheit schwer verlaufen. Es droht eine Gehirnentzündung, und in etwa 1 von 1000 bis 1 von 10 000 Fällen kommt es zum Tod.
Der gegenwärtige Masernausbruch in den USA zeigt eindringlich: Sind auch nur in einem kleinen Gebiet zu wenige Menschen gegen die Masern geimpft, kann es zu einer grösseren Ausbreitung kommen.