Die Stadt verschiebt Schulhausbauten, verkleinert sie oder legt sie gleich ganz auf Eis. Sparpotenzial: mehrere hundert Millionen Franken.
Eltern mit kleinen Kindern haben es als Erste bemerkt: Da tut sich etwas Ungewöhnliches in der Stadt Zürich. Im Kindergarten um die Ecke war plötzlich kein Platz mehr für den eigenen Nachwuchs, weil die Klasse mangels Nachfrage geschlossen wurde. Unter dem Strich sind in den letzten vier Jahren 15 Kindergartenklassen verschwunden. Unter betroffenen Eltern griff Unruhe um sich.
Damit ist eine verblüffende Trendwende, die sich zunächst nur in der Statistik abgebildet hat, im Alltag angelangt.
Deshalb haben der für die Schule verantwortliche Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) und sein für die Schulbauten zuständiger Kollege André Odermatt (SP) kurz vor Ostern die Fakten offengelegt: Die Geburtenzahl ist seit der Pandemie deutlich eingebrochen. Es braucht deshalb weniger Kindergärten und mit ein paar Jahren Verzögerung auch weniger Schulklassen.
Definitive Entscheide fällt der Stadtrat erst im Juni. Aber voraussichtlich wird er mehrere der geplanten Schulhausbauten aus der Planung streichen. Nach ersten, noch provisorischen Schätzungen könnte die Stadt dadurch 400 Millionen Franken sparen.
Durchatmen, über die Bücher gehen, Abstriche machen – für das Duo Leutenegger/Odermatt ist dies ein seltsamer finaler Akt zum Ende einer gemeinsamen Amtszeit, die von Aktivismus geprägt war. 2019 hatten sie gemeinsam zur «Schulraumoffensive» geblasen, weil die Schülerzahlen seit Mitte der 2000er Jahren rasant stiegen und die Stadt darauf nicht vorbereitet gewesen war.
Seither präsentierten sie Jahr für Jahr steil nach oben zeigende Trendlinien und immer länger werdende Listen mit neuen Schulbauten. Investitionen im Milliardenbereich, die sich anhäuften. Dass die Schülerzahlen nun – entgegen aller bisherigen Prognosen – in den nächsten 15 Jahren nicht weiter wachsen, sondern sogar abnehmen sollen, kam für beide Stadträte überraschend, wie sie betonten.
Die Schulraum-Experten der Stadt haben in den vergangenen Jahren die Folgen der intensiven Bautätigkeit Quartier für Quartier abzuschätzen versucht. Wo werden Eltern mit kleinen Kindern in die neuen Wohnungen ziehen? Was passiert, wenn diese Kinder dereinst aus dem Schulalter kommen?
Doch die Geburtenrate hat einen deutlich grösseren Einfluss auf die Schülerzahlen als die Bautätigkeit, wie Leutenegger am Mittwoch vor den Medien betonte. Und sie erwies sich als unberechenbar. Im Jahr 2016 begann sie zu stagnieren, und seit 2022 ist sie deutlich rückläufig – obwohl laut Statistik die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter in der Stadt kontinuierlich zunimmt.
Forscher der Universität Zürich haben kürzlich eine Untersuchung zu diesem Phänomen veröffentlicht. Sie halten fest, dass der Geburteneinbruch im Unterschied zu früheren Pandemien diesmal lange anhält. Die Gründe sollen nun untersucht werden. Vorerst können die Forscher nur spekulieren: Womöglich werde die Zukunft aufgrund der Weltlage als unsicher empfunden.
In manchen Schulkreisen kippen die Prognosen ins Gegenteil
Wie dramatisch die Stadt deshalb innert nur eines Jahres ihre Prognosen zum Schulraumbedarf korrigiert hat, erstaunt dann aber doch.
Besonders im Schulkreis Uto, zu dem Wollishofen und die Genossenschaftsquartiere am Fuss des Üetlibergs zählen. Dort erwartet man innert 15 Jahren nun 12 Prozent weniger Schüler statt 5 Prozent mehr. Ähnlich sieht es am Zürichberg aus.
Diese Schulkreise sind denn auch prominent vertreten auf einer Liste mit Wackelkandidaten unter den Bauvorhaben, die André Odermatt am Mittwoch präsentiert hat. Ein Teil der Projekte wird nach hinten verschoben und möglicherweise verkleinert. Darunter grosse wie jenes für die Sekundarschule Höckler im neuen Stadtteil Greencity, ein 77-Millionen-Vorhaben, oder den Ersatz der Altstetter Schule Im Herrlig für 140 Millionen Franken.
Andere Projekte sollen de facto auf Eis gelegt werden, sie spielen für die Planung der nächsten 15 Jahre wohl keine Rolle mehr. Dazu gehören die Schulen im Hardturm und im Brunaupark. Beide sind mit grossen Wohnbauvorhaben verknüpft, gegen die noch Rekurse hängig sind.
Als einziges Projekt schon definitiv abgeblasen wurde der Bau eines neuen Primarschulhauses am Zürichberg. Die bestehenden Schulen im Quartier Fluntern genügen voraussichtlich. Darüber wurden die Anwohner am Dienstagabend informiert. Der Architekturwettbewerb von 2023 dürfte für den Mülleimer gewesen sein – es ist unrealistisch, dass sich die Pläne zwanzig Jahre später aus der Schublade ziehen lassen.
In der Summe könnte etwa ein Viertel aller in der Stadt bisher geplanten neuen Klassenzimmer verzögert oder gar nicht realisiert werden.
Nicht tangiert ist das Schulbauprojekt Entlisberg in Wollishofen, über das die Stimmberechtigten der Stadt am kommenden 18. Mai abstimmen werden. SVP und FDP bekämpfen das Projekt, weil es ihnen mit 54 Millionen Franken zu teuer scheint.
Auch das umstrittenste Vorhaben der letzten Jahre wird durch die korrigierten Schülerprognosen nicht infrage gestellt – zumindest laut André Odermatt nicht. Das Riesenschulhaus Saatlen in Schwamendingen, das rund eine Viertelmilliarde Franken kostet, befindet sich in einem nach wie vor stark wachsenden Quartier. «Dieses Schulhaus bekommen wir schon voll», sagt der SP-Stadtrat.
Ein positiver Nebeneffekt der sinkenden Schülerzahlen ist laut Filippo Leutenegger, dass ab dem Schuljahr 2028/29 die ersten der provisorischen Schulpavillons abgebaut werden können, die in der Platznot quer über die Stadt aufgestellt wurden. Das bedeutet, dass Spielplätze und Spielwiesen wieder frei werden.
Trotz der deutlichen Kurskorrektur: Umsonst war die Arbeit der letzten Jahre laut dem Stadtrat nicht. Die auf Eis gelegten Bauprojekte lassen sich zwar später kaum reaktivieren, aber die Grundstücke sind gesichert. Und die behält die Stadt, als strategische Reserve. Denn wenn dieser Fall etwas über die Prognosen lehrt, dann ist es das: Es kann auch wieder ganz anders kommen als gedacht.