Valerie Wilms sass für die Grünen im Bundestag. In einem Buch enthüllt sie ihre Transidentität. Zum Bruch mit ihrer Partei führte deren radikaler Kurs in Gender-Fragen. Die Folgen davon seien fatal für Menschen wie sie.
Valerie Wilms war 41, als sie den Mut fasste, als Frau zu leben. Jahrelang hatte sie den Wunsch unterdrückt. Heiratete, bekam zwei Kinder, arbeitete im Maschinenbau. Nach ihrer Transition ging sie mit 52 in die Politik. Acht Jahre sass sie für die Grünen im Bundestag. Schwerpunkt: Verkehr. 2023 trat sie aus der Partei aus, weil diese ihr sowohl in der Klimapolitik wie bei sozialen Fragen zu ideologisch wurde.
Erst jetzt, mit 71, macht Wilms öffentlich, dass sie als Junge geboren wurde. In ihrer Autobiografie «Meine zwei Leben» erzählt sie ihre Geschichte schnörkellos. Bei der persönlichen Begegnung in Berlin zeigt sie Humor, als nehme sie sich selber nicht immer so ernst. Angst vor Anfeindungen hat sie nicht. «Ich bin 71 und im Ruhestand», sagt sie. «Den Shitstorm habe ich schon bei den Grünen hinter mir.»
Frau Wilms, Sie haben Ihre Transidentität während Ihrer politischen Laufbahn nie an die grosse Glocke gehängt. Was hat Sie dazu bewogen, sie nun öffentlich zu machen?
Einen Ausschlag gab das Selbstbestimmungsgesetz, das es einem erlaubt, jedes Jahr ein neues Geschlecht im Pass eintragen zu lassen. Man muss sich nicht mehr dauerhaft für einen Geschlechterwechsel entscheiden, sondern jetzt wird ein Geschlechter-Hopping möglich. Diese ganze woke Gender-Ideologie, die man heute wie eine Monstranz vor sich herträgt, schadet der Akzeptanz der Transsexuellen.
Kritisieren Sie, dass man sich damit profilieren will?
Ich habe meinen Geschlechterwechsel nie als Argument benutzt, um in die Politik zu gehen, wie das andere Kolleginnen im Bundestag getan haben. Ich habe versucht, als Valerie Wilms zu wirken, als Frau, als Mensch. Meine Transition zeichnet mich nicht als besonders aus. Ich wollte vernünftig entlang von Fachfragen politisch handeln.
Dabei lieben die Grünen Biografien wie die Ihre. Ihre Kollegin Tessa Ganserer machte Ihre Transidentität als erste Bundestagsabgeordnete publik.
Ich habe nie wahrgenommen, dass sie als Umweltpolitikerin irgendetwas Wesentliches vollbracht hätte. Auch mich hat ein Fraktionskollege einmal gefragt, warum ich meine Transsexualität nicht zum Thema machen würde. Aber ich wollte nicht auf meine Transsexualität reduziert werden. Wenn mich einer gefragt hätte, ob ich transsexuell sei, hätte ich es natürlich nicht abgestritten.
Auch Sie mussten um Anerkennung Ihrer gefühlten Geschlechtsidentität kämpfen. Wie war das damals 1995 bei Ihrem Coming-out?
Als ich mich entschieden hatte, als Frau zu leben, konnte ich vom Transsexuellengesetz Gebrauch machen. Dieses wurde von der sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt weit vorausschauend eingeführt. Beim Transsexuellengesetz war Bedingung, dass man sich mit dem Wunsch nach dem Geschlechtswechsel wirklich auseinandersetzt und bereit ist, dauerhaft im neuen Geschlecht zu leben, und nicht zu sagen: Heute mache ich einen auf Frau, in einem Jahr mache ich einen auf Mann und dann noch einmal in einem Jahr einen auf divers.
Im Gegensatz zu heute gab es eine Begutachtungspflicht. Sie mussten Ihren Wunsch mit einem Psychiater besprechen. Hätte es das Selbstbestimmungsgesetz gegeben, wäre Ihnen vielleicht ein langwieriger und schmerzhafter Prozess erspart geblieben.
Das sehe ich anders. Es ist ein nötiger Prozess. Um sicher zu sein und Klarheit zu erlangen, braucht es die psychiatrischen Abklärungen. Es waren bittere Fragen, die mir gestellt wurden. Ich bin von Haus aus Technikerin und mit der Psyche nicht so vertraut. Aber erst so konnte ich alles einordnen. Ich musste mich fragen: Bin ich wirklich in der Lage, in dieser neuen Rolle zu leben? Ich wurde durch die Transition ja nicht zu einer Frau, bei bestem Willen nicht. Ich werde immer XY-Chromosomen haben, so weit sind wir noch nicht, dass wir das ändern könnten.
Sind Sie keine Frau?
Nein. Ich lebe in der Rolle als Frau. Es ist eine soziale Rolle. Ich wurde als Junge geboren und bin als Junge aufgewachsen. Jeder genetische Test beweist mein biologisches Geschlecht. Natürlich habe ich alles getan, was man operativ hinbekommen kann, um so weit wie möglich als Frau erkennbar zu sein.
Sie verweigern sich der heute gängigen Begrifflichkeit, mit der man das Transsein entpathologisieren will, und sprechen etwa von Geschlechtsumwandlung statt von Geschlechtsangleichung. Warum?
Die Trans-Community schneidet sich ins eigene Fleisch. Als das Transsexuellengesetz galt, war Transsexualität gemäss dem ICD-10-Katalog, also der internationalen Klassifikation der Krankheiten, ganz klar eine psychische Erkrankung. Damit war auch der Leistungsanspruch an die gesetzliche Krankenkasse gewährleistet. Wenn Transsexualität nicht mehr als Krankheit definiert wird, haben Betroffene im Prinzip keinen Leistungsanspruch mehr.
Für Sie sind Transpersonen psychisch krank?
Transsexualität ist eine Abweichung von der Norm. Und das ist für mich eine Form von Erkrankung.
Sie machen nicht den Eindruck, als ob Sie krank wären.
Ich wirke nicht krank im klassischen Sinne, aber ich stehe dazu: Es ist eine psychische Erkrankung. Das war es, das ist es, und das wird es bleiben.
Mögen Sie sich an den Moment erinnern, als Sie zum ersten Mal gedacht haben: Ich bin eine Frau?
Es war für mich immer klar, dass ich anders bin. Ich verhielt mich nicht wie jeder andere junge Mann, ich lief nicht den Mädchen hinterher. Ich habe Frauenkleider getragen, natürlich nur im Geheimen. Dann wurden die ersten Selbsterfahrungsberichte von Transsexuellen veröffentlicht. Da fing das Nachdenken an. Die Gewissheit verstärkte sich, als Anfang der 1980er Jahre das Transsexuellengesetz diskutiert wurde.
Wie hat sich das Anderssein in Ihrer Kindheit gezeigt?
Ich habe mich oft in mein Dachzimmer zurückgezogen und den Neckermann- oder den Otto-Modekatalog angeschaut. Sauber zuordnen konnte ich mein Empfinden damals noch nicht.
Gab es Momente, in denen Sie gedacht haben, dass Sie Ihr gefühltes Geschlecht für immer unterdrücken müssten?
Das versuchte ich immer wieder. Die Kleider, die ich gekauft habe, um sie heimlich anzuziehen, habe ich danach schnell entsorgt. Ich hatte Schuldgefühle, wollte damit aufhören, erlitt einen Rückfall. Irgendwann sagte ich mir: Jetzt musst du dich entscheiden.
Durch ein Versehen, das man auch als unbewussten Wunsch deuten könnte, kam die Wahrheit ans Licht.
Eines Tages trug ich Nagellack auf, als meine Frau nicht zu Hause war, und vergass, ihn wieder zu entfernen. So hat sie es entdeckt.
War dies auch ein Moment der Befreiung?
Das war es für mich und wahrscheinlich auch für sie. Danach ist die Ehe schnell auseinandergegangen. Seither haben wir keinen Kontakt mehr.
Sie haben zwei Söhne, zu denen die Beziehung dann auch fast ganz abbrach. Ist das der höchste Preis, den Sie zahlen mussten?
Ich habe eine Familie gegründet, weil sich dies in einer gutbürgerlichen Gesellschaft gehörte. Viele Transsexuelle heirateten, bekamen Kinder, um so ihre Transsexualität wegzudrücken. Nach der Scheidung habe ich das Umgangsrecht nicht erzwungen. Das war nicht einfach, aber es war einfacher für die Kinder. Ich habe ihren Weg nur noch aus der Ferne begleitet. Heute habe ich einen Kontakt in sehr engen Grenzen zu ihnen. Ich muss damit leben.
In den vergangenen dreissig Jahren wurden Trans-Rechte erkämpft, und Transmenschen wurden sichtbarer – dank dem Kampf von Trans-Aktivisten. Das hätte es doch auch Ihnen vereinfacht?
Nein. Das alles war schon berechtigt. Nur eine Familie hätte ich vielleicht nicht gegründet, wenn ich früher geahnt hätte, in welche Richtung es geht. Ich denke nicht, dass ich mit achtzehn schon mit der Transition begonnen hätte, mir also im Klaren war, ob mein Wunsch, eine Frau zu sein, bloss eine Phase ist. Heute beginnt man schon bei Kindern und Jugendlichen mit der Hormonbehandlung, was ich für verheerend halte.
Ist das zu früh?
Es macht es einfacher, weil man keinen Stimmbruch bekommt. Letztlich ist es aber hart an der Grenze zur Körperverletzung. Was, wenn der Wunsch, im anderen Geschlecht zu sein, ein vorübergehender Zustand ist? Das kann man nicht so einfach herausfinden wie einen Beinbruch, der sich mit einem Röntgenbild nachweisen lässt.
Bemerkenswert ist auch, dass heute viel mehr Mädchen Jungen sein wollen als umgekehrt.
Früher wollten mehr Transsexuelle einen Wechsel von Mann zu Frau. Jetzt ist es umgekehrt. 14-, 15-jährige Mädchen wollen, wenn sie in die Pubertät kommen, burschikose Jungen sein, weil sie denken, das Leben als Junge sei einfacher. Den affirmativen Ansatz sieht das Selbstbestimmungsgesetz auch bei Jugendlichen vor. Wenn sich jemand für trans hält, soll man ihn unhinterfragt unterstützen.
Wie haben Sie die Transition zur Frau körperlich und psychisch erlebt?
Es hat mich erleichtert, als das Testosteron unterdrückt wurde. Ich habe mich leichter gefühlt, konnte normal in den Tag hineinleben. Viele Verhaltensweisen, die man sich als Mann antrainiert hat, muss man sich wieder abgewöhnen. Man agiert zurückhaltender. Schnell mal nach dem Ober schnipsen, das geht nicht mehr.
Was passierte mit Ihren Gefühlen?
Man ist plötzlich näher am Wasser gebaut. Ich wurde gefühlvoller. Die Haut wird weicher, und die Pölsterchen kommen.
Als Maschinenbauerin arbeiteten Sie in einem männerdominierten Umfeld. Begegnete man Ihnen als Frau mit mehr Vorurteilen?
Wenn es ein Naserümpfen gegeben hat, ist das nicht zu mir durchgedrungen. Die hormonelle Umstellung hat nichts an meiner Fachkompetenz verändert, die ich mir als Ingenieurin erarbeitet habe oder als Ingenieur damals.
Sie gehen mit der Trans-Gemeinschaft hart ins Gericht. Nun scheint es durch Donald Trump ein Rollback zu geben. Auch andere rechtsnationale Regierungen bekämpfen alles, was mit Transgender zu tun hat. Wie kommt das bei Ihnen an?
Wenn ich in die USA reisen möchte und ein Visum brauche, wird das künftig schwierig werden. Trump besteht darauf, dass nicht nur im Pass von Transsexuellen, sondern auch bei Visumsanträgen das Geburtsgeschlecht eingetragen wird. Was soll ich da machen? Mein Pass ist eindeutig. Etwas anderes sehe ich aber noch kritischer.
Das wäre?
Einer transsexuellen Abgeordneten im Kongress wurde die Benutzung der Frauentoilette verboten. Das haben die Republikaner so durchgesetzt. Entschuldigung, aber wenn ich so aussehe, wie ich aussehe, kann ich nur auf ein Frauen-WC gehen. Auf einer Männertoilette würden mich die Männer angreifen und finden: «Die hat hier nichts verloren.»
Würden Sie sagen, dass das, was jetzt passiert, eine Folge der Trans-Debatten der letzten Jahre sei?
Wer nur aktivistisch unterwegs ist, verbaut sich die Möglichkeit, frei in der Rolle als Transsexueller zu leben. So unauffällig und so zufrieden wie möglich. Die Gender-Ideologie hat das Gegenteil bewirkt. Das Selbstbestimmungsgesetz ist Ausdruck davon. In Amerika schlägt nun das Pendel zurück. Man kann nur hoffen, dass die Stimmung gegen Transsexuelle nicht nach Europa übergreift. Aber ich befürchte es.
Valerie Wilms: Meine zwei Leben. Als Junge geboren – als Frau im Bundestag. Langen-Müller, München 2025. 152 S., Fr. 31.90.