Der von den USA eingeleitete Handelskrieg könnte die Welt in eine Rezession stürzen. Das bestärkt die EZB, die Zinsen weiter zu senken.
Anfang März schien sich der Konjunkturhimmel über Deutschland und der Euro-Zone endlich aufzuhellen: Die ins Amt kommende neue Bundesregierung kündigte Ausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Verteidigung, die Infrastruktur und soziale Wohltaten an, im Ukraine-Krieg wurde über einen Waffenstillstand diskutiert und die Aktienkurse eilten von Höchststand zu Höchststand.
Innerhalb und ausserhalb der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde sogar darüber diskutiert, ob die Notenbank im April eine Pause im Zinssenkungszyklus einlegen könnte.
Einen Monat später sieht die Welt ganz anders aus. Trump überzieht Freund und Feind mit Zöllen, in der Ukraine wird immer noch gekämpft und am Aktienmarkt sind die Kurse abgestürzt. Entsprechend war auch bei der EZB die Zinspause vom Tisch. Am Donnerstag senkte sie die Leitzinsen daher zum siebten Mal seit Juni 2024 um 0,25 Prozentpunkte. Der derzeit massgebende Einlagensatz liegt nunmehr bei 2,25 Prozent.
Zölle gegen Freund und Feind
«Die Wirtschaft des Euro-Raums hat eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Schocks aufgebaut, die Wachstumsaussichten haben sich jedoch aufgrund der zunehmenden Handelsspannungen eingetrübt», hiess es von der EZB. Die erhöhte Unsicherheit werde wohl das Vertrauen der privaten Haushalte und Unternehmen mindern.
Trumps Zölle haben die Aussichten für das Wirtschaftswachstum und die Inflation laut Ökonomen völlig verändert. Wenngleich er inzwischen einige Zölle für 90 Tage ausgesetzt hat, ist grosser Schaden angerichtet und viel Vertrauen zerstört. Noch sind die makroökonomischen Auswirkungen des eingeleiteten Handelskrieges jedoch nicht völlig klar.
Sollten die Zölle aber für längere Zeit gelten, werden sie wohl das Wirtschaftswachstum zahlreicher Länder belasten, auch jenes der Euro-Zone sowie besonders der Exportnationen Deutschland und Italien. Dadurch dürfte die Inflation schneller als bisher erwartet den Zielwert der EZB von mittelfristig 2 Prozent erreichen. Zugleich beschädigt der Zollkrieg das Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten, so dass sie sich mit Investitionen und Käufen zurückhalten.
«Die ausserordentlich hohe Unsicherheit beeinträchtigt den Welthandel und das globale Wirtschaftswachstum», sagt beispielsweise Michael Heise, der frühere Chefökonom der Allianz, der jetzt für den Vermögensverwalter HQ Trust tätig ist. Die Verunsicherung von Unternehmen und Konsumenten durch den Zollstreit dämpfe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
Sinkender Erdölpreis, steigender Euro
Die von Marktbeobachtern erwartete konjunkturelle Abschwächung spiegelt sich bereits im Erdölpreis. Dieser ist seit Trumps Zoll-Ankündigungen von Anfang April um rund 17 Prozent gesunken. Das dämpft die Inflation ebenso wie der deutliche Anstieg des Euro im Handel mit dem Dollar. Der Kurs der Gemeinschaftswährung ist seit Trumps «Liberation Day» um etwa 5 Prozent gestiegen. Das verbilligt die Importe in die Euro-Zone und verteuert die Exporte.
Ökonomen gehen davon aus, dass sich die Inflation im Euro-Raum in den kommenden Monaten weiter abschwächen dürfte. Bereits im März ist sie nach einer ersten Schätzung von Eurostat von 2,3 auf 2,2 Prozent gesunken. Dazu beigetragen haben die Komponenten Energie und Dienstleistungen, die sich im Vergleich mit dem Vormonat teils deutlich ermässigten. Auch die Kerninflation ist von 2,6 auf 2,4 Prozent zurückgegangen. Das ist der tiefste Wert seit Januar 2022. Auf sie achten Notenbanker besonders. Sie gilt als aussagekräftiger, weil aus ihr die volatilen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden.
Die Einschätzungen bestätigte auch die EZB. Der Disinflationsprozess schreite gut voran, teilte die Notenbank mit. Die Inflation habe sich weiterhin im Einklang mit den Erwartungen der hauseigenen Fachleute entwickelt. Im März sei sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflation zurückgegangen. Auch der Preisauftrieb bei Dienstleistungen habe sich in den letzten Monaten deutlich abgeschwächt.
Allerdings gibt es auch Faktoren, welche die Teuerung tendenziell auf einem hohen Niveau halten könnten. Dazu gehören die immer noch hohen Lohnabschlüsse in der Euro-Zone. So sind die Tariflöhne im vierten Quartal immer noch um 4,1 Prozent gestiegen, nach 5,4 Prozent im dritten Quartal. Zugleich liegt die Arbeitslosenquote auf rekordtiefem Niveau. Damit sind Arbeitskräfte knapp und Unternehmen müssen ansprechende Löhne zahlen, um Mitarbeiter zu gewinnen.
EU könnte im Handelskrieg zurückschlagen
Auch der Handelskrieg selbst könnte sich zu einem Inflationstreiber entwickeln – beispielsweise, wenn die EU mit hohen Zöllen auf Importe aus den USA zurückschlagen würde. Bisher hat Brüssel mögliche handelspolitische Folterinstrumente nur auf den Tisch gelegt, aber noch nicht angewendet. Das könnte sich ändern, sollten die USA nicht einlenken und von ihren massiven Zöllen abrücken.
Angesichts der erratischen Äusserungen aus dem Weissen Haus besteht noch Hoffnung, dass sich zumindest der Konflikt zwischen den USA und der EU entspannt. Dann könnte sich der Konjunkturhimmel bis zum nächsten EZB-Zinsentscheid am 5. Juni wieder aufgehellt haben.
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