Die Arbeit einer Gymnasiastin wird zum nationalen Thema. Genau das, was der Kommunikationschef verhindern wollte.
Selten hat eine Maturaarbeit derart viel Aufmerksamkeit erlangt wie jene einer Schülerin des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums Rämibühl in der Stadt Zürich. Sie hatte die Kommunikationsstrategie von Bundesrat Beat Jans durchleuchtet und einen Film namens «Beat Jans – authentischer Kommunikator oder kalkulierender Schweiger?» gedreht. Doch dann zerstritt sie sich mit Jans’ Kommunikationschef Oliver Washington, den sie interviewt hatte.
Was folgte, ist unter dem Begriff «Streisand»-Effekt bekannt.
Barbra Streisand hatte 2003 einen Fotografen verklagt. Dieser hatte die Erosion an der Küste Kaliforniens dokumentiert und zufällig Streisands Haus mit abgelichtet. Davon hätte nie jemand erfahren. Doch weil Streisand die Publikation der Fotos verbieten wollte, wurden die Aufnahmen weltberühmt.
In diese Falle tappte auch der Kommunikationschef Washington: Von der Matura-Arbeit hätte kaum jemand Notiz genommen, hätte der frühere SRF-Journalist nicht Druck auf die Schülerin und die Schule ausgeübt. In der Folge musste sie ihren Film über Beat Jans stark kürzen. Ihre Arbeit erschien fast komplett geschwärzt. Die Berichterstattung der NZZ darüber wurde breit aufgenommen, das Thema medial ausgewalzt.
Rätselhafte Intervention
Plötzlich stand die Frage im Raum, warum sich ein hochbezahlter Kommunikationschef des Bundes – einer von über 428 Kommunikationsfachleuten in Bern – mit einer Zürcher Maturaarbeit herumschlägt. Und was er gegenüber der Schülerin gesagt haben mag, das derart brisant ist, dass es unterdrückt werden musste.
Dabei dürfte der Film harmlos sein. Was die Intervention Washingtons umso rätselhafter macht.
Er erklärt in seinen öffentlichen Statements wortreich, die Schülerin habe «den Rahmen des anfänglich präsentierten Konzepts verlassen». Erklärungsbedürftig bleibt, weshalb ein Bundesratssprecher im Gespräch mit einer Schülerin vor der Kamera Aussagen macht, zu denen er nicht stehen kann.
In der Folge betrieb Washington Kommunikation mit der Pipette. Seinem ersten Statement fügte er ein zweites, nach der Publikation des Artikels am Mittwoch ein drittes und viertes hinzu. Je grösser der mediale Druck wurde, desto auskunftsfreudiger wurde er.
Zum Beispiel wurde Washington von der NZZ im Vorfeld mit dem Vorwurf der Einflussnahme konfrontiert, und er räumte ein, der Zugang zur Arbeit und zum Film seien «eingeschränkt worden». Erst später präzisiert er, er selbst habe keine Schwärzungen verlangt. Zuletzt teilte die Schule mit, die Schülerin habe die Arbeit selbst geschwärzt. Die Schülerin hat aber auf dem Deckblatt explizit vom Eingriff des EJPD in die schriftliche Arbeit und den Film geschrieben.
Washington stellt sich auf den Standpunkt, er habe nicht in die Arbeit eingegriffen, sondern lediglich «die Schulleitung gebeten, dass der Film nicht veröffentlicht wird». Doch wenn der Sprecher eines Bundesrates bei einer Schulrektorin anruft, kommt dies automatisch einem Druckversuch gleich.
Sein Ziel hat er auch erreicht. Die Schülerin blieb frustriert zurück. Ihre Antwort war das Filmplakat. Dort sprach sie unter anderem von «Machtspielen statt offenem Dialog».
Nicht nur der Sprecher Washington hat sich ungeschickt verhalten, sondern auch das mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium Rämibühl. Man könnte sich vorstellen, dass sich eine Schule hinter ihre Schülerin stellt, wenn dieser von einem Bundesratssprecher öffentlich Fehlverhalten vorgeworfen wird.
Doch die Schule wartete den kompletten Mediensturm ab. Erst am Mittwochabend verschickte sie ein Communiqué.
Und siehe da, da stand zu lesen: «Aus Sicht des Betreuers der Schülerin hat sie die Abmachungen in Bezug auf den Umgang mit Zitaten, Bild- und Tonaufnahmen eingehalten.»
Noch immer keine Transparenz
In einer überraschenden Kehrtwende verkündete Washington dann noch, er habe «entschieden», dass der Film wegen des grossen medialen Interesses doch gezeigt werden dürfe. Wer nun glaubt, dass volle Transparenz herrscht, irrt. Denn die Schule denkt nicht daran, den Film herauszugeben.
Sie schreibt in einem Statement: «Der Matura-Arbeitsprozess inklusive Ausstellung ist mit den Frühlingsferien beendet und weder Film noch Maturarbeit sind für die Öffentlichkeit einsehbar.» Nur: Gemäss den Angaben auf der Homepage der Schule läuft die Ausstellung der Maturaarbeiten noch bis zum 9. Mai.
Am Mittwochnachmittag mussten Besucher zudem feststellen, dass zwar sämtliche Arbeiten noch ausgestellt waren – bis auf die Jans-Arbeit. Auch das Plakat wurde entfernt.
Wie das alles zusammengeht? Auf Nachfrage der NZZ will die Schulleitung keine Stellung nehmen.
Der vorerst letzte Fehler in einem Reigen von Kommunikationspannen.