Robotern gehört die Zukunft, aber Roboter gehören nicht mehr zu ABB. Überraschend will der Industriekonzern die Sparte abtrennen. Denn Grösse ist kein Selbstzweck.
So kann man sich irren. Seit Morten Wierod im August 2024 als Chef des Industrieriesen ABB antrat, schien es, als werde er den Konzern ohne grosse Änderungen auf dem Weg weiterführen, den sein Vorgänger Björn Rosengren eingeschlagen hatte. Jetzt zeigt sich: Wierod plant den grössten Einschnitt bei ABB seit fast einem Jahrzehnt.
Der Konzern möchte den Bau von Industrierobotern ausgliedern und im zweiten Quartal 2026 an der Börse kotieren lassen. Die ABB-Aktionäre erhalten Anteile an der neuen Firma zugeteilt. Sie wird kein Leichtgewicht: Die Division Robotics erlöste vergangenes Jahr 2,3 Milliarden Dollar, rund 7 Prozent des Konzernumsatzes. Sie beschäftigt 7000 Mitarbeiter und produziert in Schweden, den USA und China.
Siemens und GE machen es ähnlich
Wierod ist konsequent – in unerwarteter Strenge. Vor sieben Jahren machte sich ABB auf den Weg, von einem breiten Industriekonzern zu einem kleineren, aber spezialisierten Anbieter in den Bereichen Elektrifizierung und Automatisierung zu werden. Was nicht zu dieser Strategie passte, wurde abgestossen.
Am weitesten ging der Konzern, als er sich vom Bau von Hochspannungsnetzen trennte. Dieses schwerfällige Geschäft wurde an Hitachi verkauft. Bei der Ankündigung Ende 2018 setzte es rund 10 Milliarden Dollar um. Seither ist Hitachi einer der beiden grössten Industriearbeitgeber in der Stadt Zürich.
ABB lag mit der Fokussierung im Trend. Auch die deutsche Siemens hat seit 2018 Geschäftsbereiche abgetrennt und an die Börse gebracht. Jetzt tummeln sich drei Siemens-Unternehmen im Deutschen Aktienindex (DAX). Ein Nachzügler ist General Electric (GE) aus den USA. Das frühere Musterbeispiel eines Konglomerats hat sich seit 2023 in drei Unternehmen aufgespalten.
Agilität entscheidet, nicht Grösse
Die Überlegungen dahinter überzeugen. Grösse beeindruckt, das mag sein. Ein nationaler Industrieriese mit reicher Geschichte, an dem auf der Welt kein Weg vorbeiführt, weil er fast überall irgendwie involviert ist: Das ist ein wärmender Gedanke voll Nostalgie. Auch sind die Risiken in einem Mischkonzern breiter verteilt, was den Zugang zu Kapital erleichtern kann.
Doch Grösse ist kein Selbstzweck. In der Geschäftswelt des 21. Jahrhunderts entscheidet Agilität. Da ist Grösse schnell hinderlich, insbesondere wenn die Abteilungen eines Konglomerates wenig miteinander zu tun haben. Dann sind Einsparungen durch gemeinsame Ressourcen klein, aber die Komplexität des Konzerns ist umso grösser. Das erfordert grosse Verwaltungen, macht Wege lang und Entscheidungen langsam.
ABB hat die Zentrale in Zürich Oerlikon stark reduziert. Eigentlich galt die Schrumpfung des Konzerns als abgeschlossen. Der letzte grosse Schritt war im Jahr 2022 die Abspaltung von Accelleron, einem Hersteller von Turboladern für grosse Dieselmotoren. Der Aktienkurs des Unternehmens aus Baden hat sich seit der Kotierung mehr als verdoppelt.
Die Robotik bremst ABB
Trotzdem ist der jetzige Entscheid eine Überraschung: Wierod liess sich nicht anmerken, dass die Tage der Robotik gezählt sein könnten. Roboter spielen für die automatisierten Abläufe in Fabriken eine zentrale Rolle. Sie passen besser ins ABB-Profil als Accellerons Turbolader. Doch das zyklische Geschäft läuft schon längere Zeit schlechter als der Rest der ABB. Firmen zögern mit dem Kauf neuer Roboter für ihre Produktion, wenn die Aussichten unsicher sind – und das sind sie seit einer Weile. Eine grosse Kundengruppe sind die geplagten Autohersteller.
ABB argumentiert, die Synergien zwischen der Robotik und den übrigen Geschäftsfeldern seien zu klein. Die Sparte könne sich allein besser entwickeln, wenn sie nicht mehr im Konzern um Ressourcen kämpfen müsse. Bei Accelleron ging dieser Plan auf. Die Elektrifizierung hat mit der Energiewende ihre Rolle als Treiber des ABB-Geschäfts zementiert. Wehmut über vergangene Grösse wäre deshalb fehl am Platz.