Was Trumps Zollpolitik auf Schweizer Strassen auslöst.
Der Ort verheisst alles andere als den amerikanischen Traum. Ein Kreisel, dahinter ein Industriegebiet. Der Verkehr auf der Hauptstrasse stockt. So weit, so biederer Schweizer Durchschnitt. Aber dann macht es rött-rött-rött-rött-rött. Und die Handvoll Männer auf dem Parkplatz des Harley-Händlers im zürcherischen Mönchaltorf strahlen wie kleine Buben.
Es sei dieser Sound, dieser Bass im unteren Drehzahlbereich, der an einen Puls erinnere, sagen die Männer in Lederkluft. Das schaffe kein anderer Töff. Das könne nur eine Harley-Davidson. So klinge der American Way of Life. «Freiheit», nennen sie es.
Dölf Sturzenegger ist der Chef dieser Gruppe. Pins und Aufnäher zieren seine Lederkluft. «Director» steht dort. Und eben «Dölf». Seit rund fünf Jahren leitet der Rentner den «Zurich Chapter Switzerland», einen Zürcher Fanklub des amerikanischen Motorradherstellers.
Harley-Davidson, das ist für Sturzenegger nicht nur ein Motorrad. Es ist Freizeit, Aufgabe, Sinn. «Die Harley hält mich jung», sagt er.
Jeden Freitagabend treffen sich die Harley-Besitzer hier auf dem Parkplatz in Mönchaltorf, um danach ein Stündchen auszufahren. Aufrührerischer Sturm und Drang ist das nicht gerade, man nimmt es eher gemütlich. Schliesslich ist man nicht mehr zwanzig.
Den Männern geht es nicht nur um die Maschinen. Es geht ihnen um die Gemeinschaft. «Banker trifft hier auf Büezer», sagt Sturzenegger. Im Chapter wird man «life member» und zahlt für den Aufnäher Hunderte Franken. Trifft Sturzenegger in der Beiz im hintersten Täli einen Gleichgesinnten, sagt er: «Komm, setzt dich zu uns rüber.»
Wegen Donald Trumps Politik stehen die Zürcher Harley-Fahrer aber zusehends allein da mit ihrer Begeisterung für die amerikanischen Eigenheiten. Die USA werden gerade zum Feindbild vieler Europäer.
Rentner mit griffigen Slogans
Keine andere Marke provoziert die Europäer derzeit so sehr wie Tesla mit seinem Chef Elon Musk. Auch in Zürich entlädt sich diese Wut: Martin Bosshart, ein Rentner im Veloshirt, steht mit einem Transparent vor dem Autohaus in der Zürcher Innenstadt. Darauf steht: «Burn Teslas not coal».
Der Slogan geht um die Welt und wurde auch schon in die Tat umgesetzt. In Berlin oder Rom brannten Autos, in den USA wurden ganze Wagenparks abgefackelt.
In Zürich aber geht es gesitteter zu und her. «Nein, nein», beteuert Martin Bosshart, er rufe nicht zur Zerstörung von fremdem Eigentum auf. Er meine dies eher metaphorisch.
Die Wut entlädt sich anders, in einem sonderbaren Geräusch: dem Getröte von Vuvuzelas. Die beiden Tesla-Mitarbeiter hinter dem Empfangsdesk in Zürich schauen zuerst irritiert und dann belustigt über den Trubel vor ihrer Tür.
An den Rändern der Demo finden sich aber auch Leute, die nicht in das Aktivistenklischee passen. Wie Susanne aus einer Gemeinde an der Zürcher Goldküste, die ihren Nachnamen nicht bekanntgeben möchte. Mit ihrem Ralph-Lauren-Käppi, dem gesteppten Gilet und den On-Schuhen sieht sie aus wie eine Steuerberaterin – was sie auch ist.
Für die Frau vom Zürichsee ist es die erste Demo ihres Lebens. «Mein Mann fragte: Warum willst du dorthin?», sagt sie. Da habe sie geantwortet, sie müsse dahin, weil man nicht mehr alles akzeptieren dürfe. Als Antiamerikanerin sehe sie sich nicht, nur seien die Leute viel zu wenig kritisch, findet sie.
Ob iPhone oder Coca-Cola – von amerikanischen Produkten und Dienstleistungen hat sie genug. Facebook hat Susanne gelöscht, was gar nicht so einfach gewesen sei. Zu einem Bekannten, der Trump und Musk gut findet, brach sie den Kontakt ab. «Mich stören die Macht und der Opportunismus einiger Leute», sagt sie. Keiner nehme heutzutage mehr Rücksicht, jeder stiere sein Ding durch. Der US-Präsident mache es schliesslich vor.
Susanne ist für Recht und Ordnung. Nie würde sie eine 1.-Mai-Demo besuchen. Schon gar nicht würde sie ein Auto beschädigen oder dergleichen. Aber fährt ein Tesla vorüber, passiert etwas mit Susanne. «Dann geht bei mir der Puls hoch», sagt sie. Mitleid mit einem zerstörten Tesla hätte sie jedenfalls nicht.
US-Highways und Dübendorf
Auf dem Parkplatz in Mönchaltorf werfen die Biker ihre Würste auf den Rost. «Harley ist grösser als die Politik», ruft Herbert Forster hinter dem Grill hervor. Schliesslich habe man die Grünen auch überlebt. Der Vice Director mit der Pferdeschwanzfrisur lächelt sein Zahnpastalächeln.
Harley ist grösser als alles andere – so war es jedenfalls bis jetzt. Wo die Töfffahrer auch hinkommen, werden sie beklatscht von wildfremden Leuten am Strassenrand. Manch einer ermutigt sie zu noch lauterem Fahren. Eine Aufforderung, der der Director Sturzenegger natürlich nicht nachkommt: «Ich sage immer: Wir sind Botschafter, also haltet euch an die Regeln. Und macht in den Ortschaften die Auspuffklappe zu.»
Doch jetzt, mit Trumps Zollkeule, jetzt, da die Branchenmagazine schon den Ruin von Harley-Davidson herbeischreiben, könnte alles anders werden. Jetzt ist Dölf Sturzenegger sich nicht mehr ganz so sicher. Er sagt: «Ich bin gespannt, ob die Leute uns noch immer applaudieren.»
Denn es naht die grosse Benefiztour. Am Love-Ride Anfang Mai dürfen Menschen mit einer Behinderung im Seitenwagen Platz nehmen. Ein paar tausend Harley-Fans kommen für die gute Sache nach Dübendorf. Dazu eine Menge Zaungäste am Strassenrand.
Sturzenegger hofft, dass der Goodwill, der ihnen all die Jahre entgegengebracht wurde, nicht einer Anti-Amerika-Stimmung gewichen ist. Im Grunde, sagt er, gehe es ja nur um eine Person, die die Leute verrückt mache.
Aber beeinflussen könne man die Situation sowieso nicht. Zu diesem Schluss kam auch eine Konferenz in Kroatien, wo er sich mit den Chefs anderer Harley-Chapters getroffen hat. Ein grosses Thema dort waren die Strafzölle, die die EU auf amerikanische Ware verhängen will: auf Jeans, Erdnussbutter und eben auf Harley-Davidson-Motorräder.
Eigentlich, so die Meinung der Harley-Fans, müssten die Harley-Händler für den Fall von Strafzöllen jetzt schon mehr Modelle auf Lager haben. Mit einem gut gefüllten Lager würde eine etwaige Verteuerung für die europäischen Kunden abgefedert.
Was der Director auch gehört hat: So mancher, der die Route 66 nächstes Jahr befahren wollte – die legendäre amerikanische Fernstrasse wird hundertjährig –, hat seinen Trip wieder storniert. Auch er selber hat seine Töfftour im Oktober noch nicht gebucht. Sturzenegger will eigentlich mit seinem jüngsten Sohn von Denver in die Rocky Mountains, mit der gemieteten Harley dem Indian Summer entgegen. «Jetzt zuerst aber einmal die neunzig Tage abwarten», sagt er. So lange setzt Trump die Zusatzzölle aus.
«Go woke, go broke»
Auch die Reiseveranstalter spüren, dass Herr und Frau Schweizer dieses Jahr eher nicht ins Disneyland nach Florida reisen. Neue Zahlen des US-Handelsministeriums bestätigen den Trend: Im Vergleich zum Vorjahr sind im März die Einreisen aus der Schweiz in die USA um ein Viertel zurückgegangen.
Ein US-Trip ist wohl so ziemlich das Letzte, was die Demonstranten vor dem Tesla-Shop in Zürich derzeit unternähmen.
Die Steuerberaterin Susanne war vor zehn Jahren zum letzten Mal in New York. Sie macht mittlerweile sogar um den Apple-Store an der Zürcher Bahnhofstrasse einen Bogen. Aber auch sie hat vorhin mitbekommen, wie die Leute drüben bei McDonald’s Schlange gestanden sind. Trump hin oder her. «Die meisten sind halt nicht konsequent», sagt sie.
In sozialen Netzwerken kursieren Listen mit amerikanischen Marken, die es zu boykottieren gelte. Die Listen sind lang und tangieren jeden Lebensbereich: von den Nike-Socken über Heinz-Ketchup bis Netflix.
Auch Harley ist schon in den Strudel der Politik geraten – doch die Kritik kam von anderer Seite. Auslöser für Zorn und Ärger waren Diversitätsprogramme, mit denen Jochen Zeitz, der deutsche CEO der Amerikaner, neue Zielgruppen gewinnen wollte.
Dagegen protestierte in den USA die Kerngruppe der Harley-Fans, angeheizt von konservativen Influencern. «Manch einer klebte aus Protest das Logo auf seiner Harley ab», sagt Sturzenegger. Der Umsatz des Unternehmens aus Milwaukee brach im vergangenen Jahr um 11 Prozent ein.
Am Ende krebste Harley-Davidson zurück. Künftig werde das Personal ausschliesslich nach Qualifikation und nicht nach Quote eingestellt, teilte man mit. Die Formel «Go woke, go broke» schien sich bestätigt zu haben.
Aber da ist noch ein anderes Thema, bei dem der internationalen Harley-Familie der Schuh drückt: «Bringt die Jungen rein», habe es beim Treffen in Kroatien geheissen, erzählt Dölf Sturzenegger. Vielen Fanklubs fehlt der Nachwuchs. Ob das jetzt an der allgemeinen Amerika-Skepsis liegt oder doch eher an den gehobenen Preisen der Maschinen, weiss am Ende keiner so recht.
Sie nennen es «diszipliniertes Fahren»
Der Trubel vor dem Tesla-Shop ist nach einer Stunde vorbei. Schon bald wird nichts mehr an die Kundgebung erinnern: Ein Zivilpolizist gibt einem Demonstranten Anweisungen, wie er mit Eimer und Bürste die mit Kreide geschriebenen Parolen vom Boden wegzuschrubben hat. Susanne hat an ihrer ersten Demo genug gesehen, sie nimmt die S-Bahn nach Hause.
Auch auf dem Parkplatz in Mönchaltorf löst sich die Runde langsam auf. Die Bratwürste sind gegessen, einer will noch seine Harley waschen gehen. Denn schliesslich ist Kaiserwetter angesagt. Und auch Dölf Sturzenegger ist es sonnig zumute.
Denn der Director sieht seinen Chapter für die Zukunft gut vorbereitet, über Instagram erreiche er viele junge Leute. Jüngst hat sein Sohn die Website aufgefrischt. Das sorge für Neumitglieder, vier Leute um die dreissig habe man kürzlich aufgenommen. Voraussetzung: «Man muss sich einordnen können», sagt Sturzenegger. Denn für Sololäufe wie in «Easy Rider» ist so ein Chapter nicht gemacht. «Diszipliniertes Fahren» nennen sie es.
«Man kann nur hoffen», sagt Sturzenegger, «dass sich alles bald beruhigt.» In der Zwischenzeit heisst es: durchhalten. Denn Harley, da sind sich die Biker einig, wird auch das überleben.