Polizei und Feuerwehr setzen Drohnen für immer vielfältigere Aufgaben ein. Manchmal ritzt die Staatsmacht mit den fliegenden Überwachungsgeräten bestehendes Recht.
Am 18. Juni vor drei Jahren findet über der H 14 zwischen Schaffhausen und Frauenfeld fast unbemerkt eine Schweizer Premiere statt: Kurz nach sieben Uhr abends steuert ein Automobilist seinen Audi über die vielbefahrene Strasse. Obwohl die erlaubte Höchstgeschwindigkeit nur 80 km/h beträgt, drückt der Fahrer aufs Gaspedal.
Er realisiert nicht, dass er aus der Luft von einer Drohne der Kantonspolizei Thurgau beobachtet wird. An Bord des unbemannten Luftfahrzeugs befindet sich ein System, das die Geschwindigkeit anhand von Videoaufnahmen mittels Weg-Zeit-Berechnung ermitteln kann. Prompt misst dieses auf einer kurzen Wegstrecke von 179,42 Metern eine Geschwindigkeit von 175,6 km/h. Die Polizei verzeigt den Mann, und einen Monat später ist der Raser seinen Fahrausweis los.
Das Beispiel zeigt, wie radikal der Einsatz von Drohnen die Polizeiarbeit verändert hat und in Zukunft noch verändern wird. Die Zeiten, in denen Automobilisten bei der Entdeckung einer Radaranlage kurz vom Gas gehen konnten, um danach wieder zu beschleunigen, scheinen vorbei zu sein. Möglich wird durch diese Technologie – zumindest theoretisch – eine fast flächendeckende Überwachung des Strassensystems.
Drohnen im Einsatz beim ESC
Anders als mobile Radargeräte, die aufwendig disloziert werden müssen oder sogar fix montiert sind, können Drohnen innert Minuten überall hingeflogen werden. Vergeblich versuchte sich der Fahrer des Audi gerichtlich gegen die Nutzung der Drohne durch die Thurgauer Polizei zu wehren: Das Bundesgericht taxierte das Vorgehen als gesetzeskonform.
Dabei ist der Einsatz zur Überwachung des Strassenverkehrs nur einer von vielen Anwendungsbereichen im Polizeialltag. Zahlreiche Kantonspolizeien setzen Drohnen inzwischen ein, wenn es um die Überwachung von Tatorten, die Informationsbeschaffung an Unfallstellen oder die Bergung von Verletzten nach Unglücken geht. So verwendet der unfalltechnische Dienst der Kantonspolizei Bern schon seit mehreren Jahren einen sogenannten Quadrocopter, um Luftbilder von Verkehrsunfällen, Umweltvergehen und Bränden zu erhalten.
In Basel-Stadt läuft derzeit ein zweijähriger Pilotversuch mit Drohnen, für den eigens eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Klar ist auch, dass Drohnen beim Eurovision Song Contest (ESC) im Mai zum Einsatz kommen: Die unbesetzten Luftfahrzeuge von Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit (BORS) sind von einem allgemeinen Flugverbot rund um den Grossanlass ausgenommen.
Swisscom baut eigene Drohnen-Infrastruktur auf
Auch andere Blaulichtorganisationen wie die Feuerwehr sowie die Armee starten bei ihren Einsätzen immer häufiger Drohnen, um Informationen aus der Luft zu sammeln. So nützt die Transportpolizei der SBB seit letztem Sommer Drohnen zur Kriminalitätsbekämpfung, wie die NZZ am Sonntag berichtete. Im Visier hat sie Sprayer, die an der SBB-Infrastruktur jedes Jahr Millionenschäden verursachen.
Privatfirmen realisieren inzwischen, dass sich damit gute Geschäfte machen lassen. Im August 2024 kündigten Swisscom Broadcast und Nokia Drone Networks an, eine sichere Infrastruktur zu schaffen, auf deren Grundlage automatisierte Drohnenflüge als Service angeboten und betrieben werden können. Als mögliche Kunden wurden damals in einer Medienmitteilung «Einsatzdrohnen (First Responder) im Blaulicht-Umfeld» genannt.
Die innerhalb der ersten Minuten gesammelten Informationen aus den ferngesteuerten Drohnen würden einen schnellen und koordinierten Einsatz aller involvierter Rettungskräfte ermöglichen, so wirbt die Swisscom bei der staatlichen Kundschaft. Als weitere mögliche Anwendung wird die Verstärkung des Arealschutzes von kritischen Infrastrukturen, Gefängnissen, Grenzen und polizeilichen beziehungsweise militärischen Einrichtungen genannt. Der Start dieses Drohnen-Netzwerks wurde für Herbst 2024 versprochen.
Mehr als eine Videokamera in der Luft
Doch noch haben die Blaulicht-Drohnen nicht für echte Einsätze abgehoben. «Aktuell werden mit der Drohne in Ittigen (BE) in erster Linie interne Testflüge durchgeführt», schreibt Swisscom-Mediensprecher Sepp Huber auf eine Anfrage der NZZ. Die Swisscom kann denn auch keine Kunden als Referenz nennen. «Neben der technischen Komplexität sind die erforderlichen Genehmigungen die grösste Herausforderung», schreibt Huber als Begründung für die Verzögerungen.
Dies beinhalte die Einhaltung «umfangreicher regulatorischer und rechtlicher Anforderungen», einschliesslich nationaler und internationaler luftrechtlicher Bestimmungen. In der Tat stellen sich auch mit Blick auf die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit dem polizeilichen Einsatz von Drohnen heikle Fragen. Je nach Einsatzform können die Grundrechte empfindlich beeinträchtigt werden, wie Monika Simmler von der Universität St. Gallen sagt. Die Strafrechtlerin beschäftigt sich intensiv mit Polizeirecht.
Auf den ersten Blick könnte man zwar annehmen, dass der Einsatz von Drohnen durch polizeirechtliche Vorschriften über die Überwachung mit einer Videokamera abgedeckt seien, sagt Simmler. Doch so eindeutig ist die Rechtslage aus ihrer Sicht nicht. Allein ihre Mobilität mache die Drohne zu einem Überwachungsgerät eigener Art. Da mit Drohnen Personen und Fahrzeuge verfolgt würden und sich die Betroffenen deshalb weniger entziehen könnten, sei der Grundrechtseingriff hier schwerwiegender. Das erhöht auch die Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen.
Wo beginnt die Bespitzelung?
Je gezielter eine Drohne eingesetzt werde, beispielsweise um eine bedrohliche Person zu verfolgen, desto eher rücke die Massnahme in die Nähe einer technischen Observation, sagt Simmler. Solche Differenzierungen machten es jedoch enorm schwierig, die gegenwärtige Rechtslage zu beurteilen. Die allgemeinen Normen zur Videoüberwachung in den kantonalen Polizeigesetzen seien jedenfalls auf solche Formen der Überwachung meistens nicht ausgerichtet.
Wie fliessend die Grenzen sind, zeigt sich beispielsweise bei der Überwachung von Grossanlässen. Behörden versprechen sich davon eine bessere Lagebeurteilung, schnellere Reaktionszeiten und eine effizientere Koordination der Einsatzkräfte bei sicherheitsrelevanten Vorfällen. Zwar betonen Polizeikorps, dass die Drohnen nur punktuell und temporär eingesetzt würden. Doch wo endet die Lageanalyse, und wo beginnt die Bespitzelung?
Technisch ist es möglich, Bilder automatisiert mit Datenbanken abzugleichen oder gar mit KI-gestützten «predictive policing»-Systemen zu verbinden, beispielsweise zur Verhinderung von Vandalenakten oder Ausschreitungen.
Geräte voller Hightech-Sensoren
Hinzu kommt, dass Drohnen keineswegs unscharfe Videoaufnahmen erstellen, wie man sie von herkömmlichen «Blitzern» kennt. Aus einem Entscheid des Obergerichtes im Kanton Thurgau zu einem Motorrad-Raser geht hervor, über welche Sensoren die Drohne vom Typ «DJI Matric 300» verfügt. Ausgerüstet ist sie mit einem Kamerasystem vom Typ «DJI Zenmuse H20T», das bei Digitec zurzeit fast 7000 Franken kostet.
An Bord sind eine 12-Megapixel-Weitwinkelkamera, eine 20-Megapixel-Zoomkamera sowie eine radiometrische Wärmebildkamera. «Intelligent Ways to Collect Data», wirbt der Hersteller auf seiner Website. Dort ist zu sehen, wie selbst kleine Details aus grosser Entfernung digital messerscharf herangezoomt werden können. Zwar wirke es grundsätzlich mildernd, dass Drohnen nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden können, sagt Simmler. Dafür sei aber auch nicht ausgeschlossen, dass privater Grund ins Visier solcher hochpräzisen Kameras gerate. Rechtlich gesehen sei hier vieles unklar, so Simmler.
Wie streng das Bundesgericht im Umgang mit polizeilicher Überwachungstechnologie mitunter urteilt, zeigt ein kürzliches Verdikt zum neuen Luzerner Polizeigesetz. Das Gericht hatte zentrale Bestimmungen zur automatisierten Fahrzeugfahndung gekippt – mit der Begründung, sie seien verfassungswidrig, verletzten die informationelle Selbstbestimmung und überschritten die Kompetenzen der Kantone. Besonders kritisch sahen die Richter den geplanten Abgleich von Aufnahmen mit diversen Datenbanken ohne klar definierte Grenzen.
Die Diskussion um das Luzerner Polizeigesetz wirft damit einmal mehr die Frage auf, wie weit staatliche Überwachungsmassnahmen in einem liberalen Rechtsstaat gehen dürfen. Mitunter allerdings scheitert die polizeiliche Drohnen-Offensive an weit profaneren Problemen: Vor einigen Jahren stürzte eine Drohne der Stadtpolizei Winterthur bei der Überwachung eines Fussballspiels ab – und wurde kurzerhand gestohlen.