Die USA sind für die internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung zentral. Ein von Trump erlassenes Dekret befeuert nun in der Schweiz die Sorge einer Schwächung des Kampfs gegen die Kriminalität.
Die internationale Zusammenarbeit hat auch bei der Verbrechensbekämpfung einen Rückschlag erlitten, seit Donald Trump Präsident ist. Für Trump scheint vor allem der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption nur geringe Priorität zu haben. Die Schweiz ist davon direkt betroffen, wie Bundesanwalt Stefan Blättler jetzt auf Anfrage der NZZ erklärt: Er hoffe zwar darauf, dass seine Behörde mit den Strafverfolgungsbehörden in den USA auch künftig gut zusammenarbeite, sagt er: «Tatsache ist aber auch, dass ich auf meiner Ebene derzeit keinen Ansprechpartner habe und wir nicht sicher sein können, wie die Unterstützung in Zukunft ausfällt.»
Die Aussagen sind bemerkenswert: Bisher hat sich noch kaum ein führender Exponent einer Justizbehörde aus einem mit den USA befreundeten Land so besorgt über die mangelnde Kooperation mit den Vereinigten Staaten unter Trump geäussert. Und dies, obwohl zahlreiche Fachleute seit mehreren Wochen vor schwerwiegenden Folgen des vorläufigen Rückzugs der USA bei der Bekämpfung der Korruption warnen.
Schon wenige Tage nach seiner Amtsübernahme hatte Trump nämlich per Executive Order angeordnet, die sogenannte Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) während 180 Tagen de facto ausser Kraft zu setzen. Diese Frist kann danach von Justizministerin Pam Bondi um weitere 180 Tage verlängert werden. Im Lärm rund um die von Trump im Eilverfahren verabschiedeten Executive Orders ging dieser Entscheid beinahe unter. Dabei sind die Folgen unabsehbar.
Trump hat China im Visier
Das Antikorruptionsgesetz verbietet es amerikanischen Unternehmen und Firmen mit Niederlassungen oder Aktivitäten in den USA, im Ausland Beamte zu bestechen, um an Aufträge zu kommen. Doch jetzt dürfen die amerikanischen Strafverfolgungs- und Justizbehörden gestützt auf die Anordnung und während der von Trump gesetzten Frist keine auf der FCPA basierenden Strafverfahren mehr einleiten und keine Strafverfolgungsmassnahmen verfügen.
Trump begründete den Schritt mit nationalen Interessen und angeblich ungleichen Spiessen im internationalen Wettbewerb. Zwar haben sich zahlreiche Industriestaaten längst ebenfalls zur Bekämpfung der Korruption verpflichtet. Beispielsweise im Rahmen eines OECD-Abkommens von 1996, das auch die Schweiz umgesetzt hat. Im Visier hat Trump allerdings China, das diesen Kurs nicht mitträgt.
Der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth wie auch andere Experten für die Bekämpfung der Korruption hatten Trumps Entscheid aber schon im Februar als gefährlich und kontraproduktiv kritisiert. «Wir laufen auf eine Wildwest-Situation zu», sagte Pieth im amerikanischen TV-Sender CBS: «Jeder wird jeden bekämpfen.» Ähnlich sieht es Monika Roth, Juristin und Expertin für Finanzmarktrecht: Trump übernehme längst überholte Argumentationen, um Korruption zu rechtfertigen und straflos wieder möglich zu machen, schrieb sie vergangene Woche in den «CH Media»-Zeitungen.
Korruption als geopolitische Waffe?
Und die auf internationales Strafrecht spezialisierten Juristen Michael Kubiciel und Cornelia Spörl aus Deutschland argumentieren, die USA liefen mit ihrer Entscheidung Gefahr, dass autokratische Staaten Korruption wieder vermehrt als geopolitische Waffe einsetzen könnten. Insbesondere in korruptionsanfälligen Ländern kann so ein regulatorisches Vakuum entstehen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die regelbasierte Ordnung unter Trump auch in der Wirtschaft unter Druck geraten könnte.
Auf diese Gefahr weist indirekt auch Bundesanwalt Blättler hin: «Berechenbarkeit und Fairness sind Voraussetzungen für einen nachhaltig prosperierenden Wirtschaftsstandort. Deshalb ist es wichtig, dass Korruption wirksam bekämpft wird.» Dazu, auf welche Fälle und welche Bereiche in der Schweiz sich der neue Kurs der USA auswirkt, will sich die Bundesanwaltschaft nicht äussern.
Allerdings reicht ein Blick in frei verfügbare Dokumente: Bei zahlreichen internationalen Fällen war die Zusammenarbeit mit den USA bisher zentral. So haben die Schweiz und die USA etwa im Fall des Rohstoffkonzerns Trafigura kooperiert. Im Januar hatte das Bundesstrafgericht ehemalige Kaderleute des Konzerns wegen Korruption verurteilt.
Auf unterer Ebene funktioniert die Zusammenarbeit laut Bundesanwaltschaft vorerst zwar immer noch gut – eine Sprachregelung, die ähnlich auch von anderen Stellen verwendet wird: Das Bundesamt für Justiz (BJ), das für die Rechtshilfe zuständig ist, erklärt auf Anfrage, der Austausch sei «auf Fachebene weiterhin sachorientiert und professionell». Das BJ arbeite mit den USA im Bereich der Rechtshilfe «gut und in Anwendung des bilateralen Rechtshilfevertrages» zusammen. Auch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) verfügt nach eigenen Angaben über die nötigen Ansprechpartner.
Doch die Sorgen scheinen auch hier zu wachsen: Man verfolge die Entwicklungen «bezüglich einer möglichen Neuorientierung der Prioritäten der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden in der Bekämpfung der internationalen Kriminalität und analysiere allfällige Auswirkungen». Bei der Finanzmarktaufsicht (Finma) heisst es, es sei noch zu früh, um abschätzen zu können, ob und welche Schwerpunkte die neue US-Regierung im Bereich der Behördenkooperation setzen werde und wie sich dies auf die Zusammenarbeit auswirken werde.
Eine Zäsur in der Kriminalitätsbekämpfung
Niemand kann abschätzen, was nach Ablauf der 180- oder 360-tägigen Frist mit der FCPA geschieht – und inwiefern die USA ihre Praxis bei der Verfolgung von Wirtschaftsdelikten grundsätzlich neu ausrichten. Die gegenwärtige Unsicherheit stellt deshalb eine Zäsur für die internationale Kriminalitätsbekämpfung dar. Der Erlass der FCPA liegt fast fünfzig Jahre zurück und steht für eine grundsätzliche Neuausrichtung im Umgang mit Korruption und Wirtschaftskriminalität. Bestechung galt zuvor nicht nur in den USA bloss als eine Art Kavaliersdelikt.
Doch als das Vertrauen in die USA als Folge des Watergate-Skandals und einer grossen Bestechungsaffäre litt, leitete der amerikanische Kongress einen Kurswechsel ein. Das Land spielte bei der Korruptionsbekämpfung fortan eine führende Rolle. Zur gleichen Zeit nahm bezeichnenderweise auch der Kampf der USA gegen die Drogenkartelle Fahrt auf, von dem die Schweiz zunächst stark betroffen war.
«Wir arbeiten hervorragend mit anderen Ländern zusammen»
Die Vereinigten Staaten drängten auf mehr Transparenz bei der Nachverfolgung von Geldflüssen zur Verhinderung von Geldwäscherei. Die Schweiz, die mit dem Bankgeheimnis gut verdiente, geriet unter Druck: 1973 schloss sie mit den USA erstmals einen Staatsvertrag über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen ab, der erstmals das Bankgeheimnis tangierte. Der Vertrag trat 1977 in Kraft – im selben Jahr, in dem auch die FCPA erlassen wurde.
Die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption hat seither stetig an Bedeutung gewonnen. Es sei eine der Prioritäten der Bundesanwaltschaft, die Kooperationen mit anderen Ländern zu vertiefen, sagt Blättler. «Wir arbeiten hervorragend mit anderen Ländern zusammen. Das hat im vergangenen und im laufenden Jahr entscheidend zu unseren Verfahren beigetragen.»
So sei kürzlich auch eine vertiefte Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden von Frankreich und dem Vereinigten Königreich vereinbart worden, sagt Blättler. In der Strafverfolgung, so scheint es, drängt sich derzeit eine ähnliche Strategie auf wie in anderen Bereichen der Sicherheitspolitik: Nimmt die Unberechenbarkeit der USA zu, wird die Abstimmung unter den Partnern in Europa umso wichtiger.