Es ist ganz offensichtlich, dass die amerikanische Regierung die Eliteuniversitäten zerschlagen möchte. Mit dem Angriff auf Harvard setzt Trump bloss um, was er vor Amtsantritt verheissen hat.
Wenn dem amerikanischen Präsidenten und seiner Regierung vernünftige Argumente im Kampf gegen die Eliteuniversität Harvard ausgehen sollten, dann müssten sie bloss die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom Donnerstag aufschlagen. Dort erzählt der Harvard-Historiker Michael Bronski in einem Interview ganz freimütig und unbefangen, worin er seine Studenten gerade unterrichtet. Er spreche in seinem Seminar derzeit «über das Konzept des Terrorismus» und darüber, wie die Vertreter von «Black Lives Matter» als Terroristen bezeichnet wurden.
Dann fügt er hinzu – ob bedauernd oder beschwichtigend, ist nicht auszumachen –, er glaube nicht, dass seine Studenten «dabei konkrete Taktiken gelernt haben». Aber es habe ihnen einen «systematischen Blick auf Politik und Aktivismus» eröffnet. Das klingt fast so, als sei die Hochschule ein Ausbildungscamp für politische Aktivisten und der Professor ein Fachmann in urbaner Guerilla-Taktik.
Doch damit nicht genug. Michael Bronski – seine offizielle Bezeichnung auf der Website der Hochschule lautet: Professor of the Practice in Media and Activism – ist ein altes Schlachtross der Schwulenbewegung. Er weiss aus eigener Erfahrung, dass er seinen Studenten nicht mit Adorno oder Habermas kommen muss. Er redet, als stünde der Mai 68 erst noch bevor: «Man muss Wege finden, sich die Macht zurückzuholen. Ich möchte, dass meine Studenten lernen, wie sie ihre eigene Macht verstehen, wie sie diese Macht steigern können.»
Dann legt Bronski nach: Die Studenten sollen «das Gefühl entwickeln, dass sie das Recht haben, Macht zu besitzen. (. . .) Macht existiert, weil wir daran glauben, dass wir sie haben.» Daneben nehmen sich die akademischen Lehrer der 68er-Bewegung wie Betschwestern aus. Damals analysierte man die Macht, um sie zu zerstören, in Harvard scheint man dagegen auf gewissen Lehrstühlen die Machtergreifung zu propagieren.
Es droht die Zwangsverwaltung
Eine Universität mit Professoren, die ihren Lehrauftrag so gründlich missverstehen, hat ein Problem. Und dieses heisst nicht Donald Trump. Michael Bronski wird kein Einzelfall sein, vielmehr ein prototypisches Exempel des aktivistischen Lehrers, der seinen eigenen lebenslangen und ehrenhaften Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben im Hörsaal immer schon mit anderen Mitteln und höheren Absichten fortgeführt hat.
Bronski ist nur das Symptom einer verbreiteten politischen Schlagseite amerikanischer Eliteuniversitäten. Harvard ist darum zum bevorzugten unter vielen Feindbildern Donald Trumps geworden. Seit Anfang des Monats setzt er hier um, was er zunächst auf anderen Schauplätzen – Columbia University in New York zum Beispiel – erprobt hatte. Durch weitreichende Forderungen der Regierung soll die Unabhängigkeit der Hochschulen eingeschränkt werden. Grosse Teile der akademischen sowie unternehmerischen Freiheiten der Universitäten würden damit unter die Aufsicht der Regierung gestellt.
Als Grund für das präzedenzlose Vorgehen gegen die Universitäten führt Trump hauptsächlich deren Untätigkeit nach dem 7. Oktober 2023 ins Feld. Propalästinensische Aktivisten konnten in der Folge des Hamas-Massakers auf dem Harvard-Campus ungehindert ihre Sympathie mit den Terroristen bekunden. Jüdische Studenten wurden Opfer von Übergriffen und Gewalt.
Trumps Vorwürfe sind durchaus kein Vorwand. Den Verantwortlichen der Harvard University selber musste seit längerem bewusst sein, dass sie ein Antisemitismus-Problem haben. Und nicht erst seit ihre Präsidentin Claudine Gay nach einer dreisten Aussage zurücktreten musste. Es hänge vom Kontext ab, antwortete sie bei einer Anhörung im Kongress auf die Frage, ob ein Aufruf zum Völkermord an Juden mit dem Verhaltenskodex von Harvard vereinbar sei.
Im Januar 2024 setzte Harvard eine Task-Force ein, die mutmassliche antisemitische Vorfälle untersuchen sollte. Doch bereits bei der Zusammensetzung der Kommission entbrannte ein Streit. Der ehemalige Harvard-Präsident Larry Summers kritisierte, dass Derek Penslar, einer der zwei Vorsitzenden, den Antisemitismus in Harvard heruntergespielt und bereits früher die Definition von Antisemitismus in Amerika generell als zu weit gefasst zurückgewiesen habe. Ausserdem sei Penslar damit aufgefallen, dass er Israel als Apartheidstaat bezeichnet habe. Vergeblich forderte Summers seinen Rücktritt.
Aufgabe der Task-Force war es, einen Untersuchungsbericht zu veröffentlichen, sie hat bisher aber einzig eine Liste von vorläufigen Empfehlungen publiziert. Das wiederum weckte den Argwohn des Office for Civil Rights, das am 19. April ultimativ Einsicht in die Vorarbeiten und die Redaktion des Schlussberichts forderte. Man befürchtet augenscheinlich, die Task-Force könnte die Ergebnisse ihrer Untersuchungen beschönigen.
Langer Reformenkatalog
Die Mahnung des Office for Civil Rights fügte sich in ein Sperrfeuer von Briefen, die seit Ende März Harvard erreicht haben. In Schreiben vom 31. März, vom 3. April und schliesslich einem umfangreichen Massnahmenkatalog vom 11. April trieb das amerikanische Bildungsministerium Harvard mit massiven Vorwürfen und einschneidenden Forderungen vor sich her.
Harvard habe fundamental versagt beim Schutz «amerikanischer Studenten» vor antisemitischer Gewalt und vor Verstössen gegen die Antidiskriminierungsgesetze, heisst es in dem Brief. Ausserdem sei die Hochschule in den vergangenen Jahren den intellektuellen Ansprüchen an die Lehre nicht gerecht geworden. Sie erfülle damit die Voraussetzungen für Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nicht mehr.
Der Brief zählte sodann eine Reihe von Reformen auf, die allesamt entweder sofort oder bis spätestens Ende August umgesetzt werden müssten. Im Wesentlichen handelt es sich um einen sofortigen Verzicht auf Fördermassnahmen für Minderheiten bei der Rekrutierung von Personal und Studenten. Allein Leistung solle zählen. Des Weiteren dürfen ausländische Studenten nur zugelassen werden, sofern sie keine feindliche Gesinnung gegenüber den USA und ihren Werten hegen. Harvard müsse sich ausserdem verpflichten, externe Gutachter mit einer jährlichen Überprüfung jener Abteilungen zu beauftragen, die antisemitische Belästigung und ideologische Voreingenommenheit zulassen und befördern.
Als besondere Schikane hielt der Brief zuletzt fest, dass Harvard volle Transparenz gegenüber allen Regierungsbehörden gewährleisten müsse. Konkret solle die Hochschule über die Umsetzung der notwendigen Massnahmen spätestens am 30. Juni einen Bericht vorlegen und danach jedes Quartal bis mindestens Ende 2028, wenn Trumps Amtszeit ausläuft.
Ein Angriff mit Ansage
Bei aller berechtigten Kritik konnte Harvard gar nicht anders, als diese Bevormundung, die einer Zwangsverwaltung gleichkommt, zurückzuweisen. Sie verweigert die Zusammenarbeit mit den Regierungsbehörden. Man kann davon ausgehen, dass Trump genau das erwartet hatte. Er antwortete postwendend mit der Annullierung von Finanzierungsprogrammen in Milliardenhöhe. Inzwischen droht er auch damit, der Universität den Status der Steuerbefreiung zu entziehen, was wiederum zur Folge hätte, dass auch Spenden an die Universität nicht mehr von der Steuer absetzbar wären. Harvard ihrerseits hat gegen die Interventionen der Regierung Klage eingereicht. Derweil feuert Trump auf X zurück: Harvard sei eine antisemitische und linksradikale Institution, mit ausländischen Studenten, die Amerika zerstören wollten, postete er am Donnerstag.
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass Trump Harvard und die übrigen Eliteuniversitäten am liebsten zerschlagen möchte. Wer es hätte wissen wollen, hätte es nachlesen können in der tausend Seiten schweren «Project 2025»-Publikation «Mandate for Leadership: The Conservative Promise», mit der Trumps zweite Amtszeit vorbereitet worden ist. Dort war programmatisch die Austrocknung des Quasimonopols von woken Hochschulen angekündigt worden. Stattdessen sollten die Studenten gezielter vorbereitet werden auf die Bedürfnisse einer dynamischen Wirtschaft, während die Schulen dem Spiel der Marktkräfte auszusetzen wären.
Heute melden sich da und dort Professoren kleinlaut zu Wort. So findet etwa Jonathan Adler, Rechtsprofessor in Cleveland, dass einige Universitäten es tatsächlich verdient hätten, dass man ihnen die Bundesgelder streiche. Doch er erinnert daran, dass es juristische Verfahren gebe, die es zu respektieren gelte. Die Regierung kompromittiere ihre Ziele, wenn sie diese mit illiberalen Mitteln zu erreichen versuche. Da hat er recht, nur fragt man sich, ob er denn schon zu Zeiten, da Trump noch nicht im Amt war und keine Ultimaten stellte, die Stimme mahnend erhoben hatte gegen die woken Hochschulen.