Erstmals seit fast sechs Jahrzehnten führt ein Christlichdemokrat das Aussenministerium. Unter ihm soll Deutschland weniger belehrend auftreten.
Als der designierte Kanzler Friedrich Merz in dieser Woche verkündete, wer aus den Reihen der Konservativen ein Amt in der neuen deutschen Regierung übernehmen wird, herrschte grosse Aufregung. Deutschland werde künftig von Millionären regiert, tönte es von links. Andere wiederum bemängelten die fehlende politische Erfahrung einiger Kandidaten.
Einer jedoch wurde lagerübergreifend gelobt: der designierte deutsche Aussenminister Johann Wadephul. Lob für seine aussenpolitische Expertise kam etwa vom SPD-Politiker Ralf Stegner, der dem linken und friedensbewegten Parteiflügel angehört. Aber auch die Opposition zeigte sich zufrieden mit der Wahl. Er traue Wadephul viel zu, sagte der grüne Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour.
Bislang stand Wadephul eher in der zweiten Reihe der CDU. Vielen Deutschen dürfte sein Name bis dato nicht geläufig gewesen sein. Im Bundestag kümmert er sich jedoch schon seit Jahren um aussenpolitische Themen. Er vertrat seine Partei im Auswärtigen Ausschuss, im Verteidigungsausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. 2018 wurde er stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, zuständig für Aussenpolitik und Verteidigung.
In dieser Zeit hat er sich unter den Aussenpolitikern im Bundestag einen guten Ruf erarbeitet. Dass er der Öffentlichkeit bislang nicht aufgefallen ist, dürfte auch daran liegen, dass er mit seinen Fähigkeiten nicht hausieren geht.
Ein Norddeutscher fürs Aussenamt
Wadephul wurde 1963 in Husum geboren, einer Kleinstadt an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein. Sein Privatleben lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: bodenständig. Wadephul ist promovierter Jurist und hat mit seiner Frau drei Kinder. Gefragt nach den Konsequenzen seines künftigen Amtes für das Familienleben, reagierte Wadephul in dieser Woche gelassen. Er habe seine Schulfreundin geheiratet, insofern gebe es eine gewisse Beständigkeit. Man könne sich aufeinander verlassen.
Für viele seiner Landsleute verkörpert Wadephul mit seinem Auftreten einen typischen Norddeutschen. Geradlinig, ruhig, sparsam mit Worten.
Dieses Naturell wird wohl auch Auswirkungen auf seine Amtsführung haben. Die Kommunikation des deutschen Aussenamts dürfte künftig etwas besonnener klingen. Wadephuls Vorgängerin Annalena Baerbock liess sich des Öfteren zu Äusserungen hinreissen, die in ihrer Haltung zwar klar waren, mit denen sie jedoch selbst Deutschlands Partner gegen sich aufbrachte.
Wadephul nahm an ihrer Kommunikationsweise immer wieder Anstoss. So kritisierte Baerbock in einem Interview einmal die israelischen Luftangriffe auf Hizbullah-Ziele in Libanon. Da ermahnte er die Aussenministerin, Israel nicht ständig zu belehren. Sie solle nicht so tun, als könne sie von Deutschland aus besser einschätzen, was zu tun sei, als die Israelis selbst.
Auch beim Thema Waffenlieferungen sah er die Dinge anders als die Ministerin. Anfang Jahr schrieb er in einem Gastbeitrag für die Körber-Stiftung, es sei die logische Konsequenz der Staatsräson, dass Deutschland Israel niemals Waffen zur Verteidigung vorenthalten dürfe. Er fand es ungeheuerlich, dass die Regierung diese Frage an politische Bedingungen knüpfte.
Wenn Wadephul in der Vergangenheit die israelische Regierung kritisierte, wählte er seine Worte mit Bedacht. Nach den von Baerbock kritisierten Luftangriffen klang das etwa so: Israel sollte seine Freunde auf dem Weg, den es geht, mitnehmen. In der Sache war er damit gar nicht so weit entfernt von Baerbock. Im Ton allerdings schon.
Zum «Reality-Check» bei der Bundeswehr
Während der Koalitionsverhandlungen wurde Wadephul auch als möglicher Verteidigungsminister gehandelt. Die Bundeswehr kennt er aus eigener Erfahrung. Nach dem Abitur war er vier Jahre lang Zeitsoldat. Heute ist er Reservist.
2023 nahm er in dieser Funktion an der Nato-Übung «Griffin Storm» in Litauen teil. Im Flecktarn stand er 20 Kilometer von der Grenze zu Weissrussland entfernt. In einem Beitrag für den deutschen Bundeswehrverband nannte er seine Teilnahme an einer ähnlichen Übung einmal einen «Reality-Check». Als Abgeordneter entscheide er über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Deswegen wolle er auf Tuchfühlung mit der Truppe gehen, schrieb Wadephul und schwärmte von der Kameradschaft.
In Litauen kam es damals zu einer rückblickend denkwürdigen Begegnung. Während der Übung besuchte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius die Truppe. Dort wurde ein Angriff Russlands simuliert. Wadephul spähte den imaginierten Feind als Aufklärer aus. Anschliessend wurde er von Pistorius zum Oberstleutnant der Reserve befördert. Auf Bildern der Begegnung sieht man, wie Wadephul breit grinsend seine Urkunde entgegennimmt.
Wadephul plädierte noch lange für Dialog mit Russland
Obwohl er nun an Übungen teilnimmt, die einen Angriff Russlands simulieren, plädierte Wadephul im Umgang mit dem Kreml lange für Dialog – auch dann noch, als Wladimir Putin sich bereits die Krim einverleibt hatte. Wadephul war etwa Mitglied im «Petersburger Dialog», einer Organisation, die sich für die Völkerverständigung zwischen Deutschen und Russen einsetzte. Sie wurde 2000 von Putin und dem damaligen deutschen Kanzler Gerhard Schröder gegründet, inzwischen wurde sie aufgelöst. Zudem verteidigte er noch lange den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2. «Aussenpolitik besteht darin, unter Wahrung der eigenen Mindestinteressen Chancen für eine Entspannung von Interessen-Gegensätzen zu suchen», erläuterte er seine Haltung im Februar 2021 in einem Gastbeitrag für den «Tagesspiegel».
Zugutehalten kann man ihm, dass er mit diesen Ansichten damals in bester Gesellschaft war. Seine Haltung entsprach dem verständnisvollen Russland-Kurs der damaligen Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Aussenminister der SPD und der FDP.
Wie viele deutsche Spitzenpolitiker änderte Wadephul seine Position erst mit der russischen Grossoffensive im Februar 2022. Kritischen Fragen danach wich er jedoch nie aus. Er räumte offen ein, sich falsche Hoffnungen gemacht zu haben. Dass Russland einen derart extremen Weg in eine kriegerische Diktatur gehen würde, habe er nicht für möglich gehalten, sagte er wenige Wochen nach Kriegsausbruch dem «Cicero».
Inzwischen hat sich Wadephul zu einem der lauteren Unterstützer der Ukraine in Deutschland gewandelt. Er plädiert etwa dafür, dem angegriffenen Land deutsche Taurus-Marschflugkörper zu liefern. «Wir dürfen keine Sekunde mehr zögern», sagte er kürzlich dem «Tagesspiegel». Alles Zaudern der vergangenen Jahre, jedes Zurückhalten von Material habe am Ende Putin nur ermutigt.
Dass er Aussenminister wird, hat auch mit der SPD zu tun
Dass er nun der erste CDU-Aussenminister seit fast sechs Jahrzehnten wird, hat Wadephul aber wohl weniger seiner fachlichen Kompetenz, seiner diplomatischen Art oder der Fähigkeit zum Lernen aus Fehlern zu verdanken. Sondern der Tatsache, dass die Sozialdemokraten das Amt nicht sonderlich wichtig fanden.
Lange Zeit galt in der deutschen Politik die ungeschriebene Regel: Der Juniorpartner in der Regierungskoalition sichert sich das prestigeträchtige Auswärtige Amt. Wenn der Spitzenkandidat schon nicht Kanzler werden konnte, so sollte zumindest der Glanz der Spitzendiplomatie auf ihn abfärben.
In den vergangenen Jahren zogen die deutschen Kanzler jedoch mehr und mehr aussenpolitische Kompetenzen in ihr eigenes Haus. Im Clinch zwischen dem scheidenden Kanzler Olaf Scholz und Baerbock zeigte sich diese Entwicklung besonders deutlich. Baerbock konnte noch so sehr auf mehr Unterstützung für die Ukraine pochen – am Ende biss sie sich an Scholz die Zähne aus. Aus Sicht der Sozialdemokraten schien es da wohl attraktiver, wenn sich der künftige Vizekanzler Lars Klingbeil als Finanzminister um die Verteilung des Schuldenpakets kümmert.
Merz wird in der Aussenpolitik mitreden wollen
Für Deutschlands Partner hat die Entwicklung den günstigen Nebeneffekt, dass die Zeit des Streits zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt ein Ende findet. In einem seiner ersten Interviews nach Veröffentlichung der Ministerposten versprach Wadephul bereits eine «Aussenpolitik aus einem Guss».
Für Wadephul bedeutet das allerdings auch relativ wenig Gestaltungsspielraum. Er wird sich in die aussenpolitischen Pläne von Merz einfügen müssen. Dass er als Kanzler die Aussenpolitik zur Chefsache machen will, liess sich dieser Tage bereits an der künftigen Postenverteilung im Kanzleramt ablesen. Unter den Namen befinden sich einige, die über aussenpolitische Expertise verfügen. Zwei hat er direkt aus dem Aussenministerium abgeworben.
Günter Sautter hatte dort als Politischer Direktor eine Führungsposition inne. Im Verlauf seiner Karriere kümmerte er sich um das deutsche Verhältnis zur Ukraine, die Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm und war Beauftragter der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nun soll er Chef der aussenpolitischen Abteilung im Kanzleramt werden.
Der Karrierediplomat Michael Clauss ist bislang noch Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU. Davor war er Botschafter in Peking. Er soll sich für Merz nun um die Europapolitik kümmern.
Hinzu kommt: Merz will einen Rat für nationale Sicherheit einführen, über den er die zentralen Fragen in der Aussen- und Sicherheitspolitik zwischen den Ministerien koordinieren will. Das wird ihm weitere Durchsetzungskraft verleihen.
Auf einer Linie mit Merz
Wadephul scheint damit gut leben zu können. Er war gegenüber Merz, der ihn öffentlich stets «Jo» nennt, loyal. Bei den grossen Konflikten in Nahost und der Ukraine liegt er auf einer Linie mit ihm. Und auch bei anderen aussenpolitischen Themen dürfte es kein Konfliktpotenzial geben. Wie Merz findet er zwar kritische Worte für die Ukraine- und die Handelspolitik der amerikanischen Regierung. Ein Abbruch der transatlantischen Beziehungen läge ihm jedoch fern. Ausserdem will er wie Merz Deutschlands Beziehungen zu den Partnern in der Europäischen Union verbessern – insbesondere zu Frankreich und Polen.
An diesen Zielen hat er in den vergangenen Wochen bereits im Sinn von Merz gearbeitet. In der Zeit nach der Bundestagswahl stand er bereits in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem aussen- und sicherheitspolitischen Berater von Scholz, Jens Plötner. Ausserdem reiste er nach Frankreich, Polen, Italien und Grossbritannien und traf sich dort mit seinen künftigen Amtskollegen.
Am vergangenen Mittwoch hatte er schliesslich seinen ersten Termin als offizieller Nachfolger von Baerbock. In Brüssel traf Wadephul die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas. Diese zeigte sich nach dem Gespräch angetan von ihrem neuen deutschen Gegenüber. Seine klare Haltung zur europäischen Sicherheit wusste Kallas zu schätzen. Und sie erinnerte ihn daran, dass Deutschlands Führungsrolle bei der Gestaltung Europas unerlässlich sei.