Die neue deutsche Arbeitsministerin Bärbel Bas stammt aus dem Ruhrgebiet und liebt Currywurst, Fussball und Motorräder. Nun soll ausgerechnet sie als Vertreterin des linken Flügels der Sozialdemokraten das Bürgergeld zurechtstutzen.
Mit der Übernahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird Bärbel Bas zum zweiten sozialdemokratischen Schwergewicht in der neuen deutschen Regierung neben Finanzminister Lars Klingbeil. Das gilt allein schon finanziell: Laut dem Haushaltentwurf der letzten Regierung für 2025 entfällt mit rund 180 Milliarden Euro über ein Drittel des Bundeshaushalts auf ihr Haus. Allerdings ist ein grosser Teil dieser Ausgaben gesetzlich gebunden, namentlich die Zuschüsse an die Rentenversicherung und das Bürgergeld.
Ihr Ministerposten, den sie vom Parteikollegen Hubertus Heil übernimmt, könnte aber auch zu einem der schwierigsten in der Regierung Merz werden: Mit Themen wie Rente, Bürgergeld oder Mindestlohn häuft sich hier Potenzial für Konflikte zwischen den Koalitionspartnern, der konservativen Union und der SPD.
Gesellenstück Bürgergeld
So wird Bas als Gesellenstück zeitnah die im Koalitionsvertrag vereinbarte «Umgestaltung» des Bürgergelds zu einer «Grundsicherung für Arbeitssuchende» umsetzen müssen. Das Bürgergeld sichert das Existenzminimum von erwerbsfähigen Menschen und deren Familien, die dieses nicht oder nicht ausreichend selbst sichern können. Empfänger sind zum Beispiel Langzeitarbeitslose oder ukrainische Flüchtlinge. Höhe und Modalitäten sind Gegenstand erbitterter Kontroversen.
Unionspolitiker sprechen gerne von einer Abschaffung des Bürgergelds, de facto sieht der Koalitionsvertrag «nur» eine Umbenennung und eine erneute Reform vor.
Unter anderem soll der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden: Im Vordergrund stehen soll die Vermittlung einer Arbeit, während derzeit verstärkt auf Weiterbildung oder das Nachholen eines Berufsabschlusses gesetzt wird. Die Sanktionen sollen verschärft werden, bis hin zum vollständigen Entzug der Leistungen bei wiederholter Verweigerung einer zumutbaren Arbeit. Die jährliche Erhöhung soll wieder nach dem alten Verfahren erfolgen und damit etwas geringer ausfallen. Neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine sollen statt des Bürgergeldes die etwas niedrigeren Asylbewerberleistungen erhalten.
Damit nähert sich die Grundsicherung wieder dem bis 2022 geltenden Hartz-IV-System an. Dieses war 2005 als Teil der Arbeitsmarktreformen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) eingeführt worden. Während es erheblich zum Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen hat, empfanden es die Sozialdemokraten zunehmend als Symbol sozialer Kälte. Die Umwandlung in ein Bürgergeld war ihr Versuch, sich von diesem Erbe zu distanzieren. Dass nun mit Bas ausgerechnet ein Mitglied des linken Flügels der SPD-Bundestagsfraktion die Schubumkehr umsetzen soll, entbehrt nicht einer gewissen Ironie des Schicksals.
Schuhe zeigen im Sozialamt
Doch vielleicht kann dies gerade eine linke SPD-Frau besser vermitteln als andere, so wie Schröder einst Hartz IV durchsetzen konnte. Helfen könnte ihr ihre Biografie, stammt sie doch aus einfachen Verhältnissen und hat mit einer Aufsteigerkarriere bewiesen, was mit Leistung zu erreichen ist.
Geboren ist Bärbel Bas 1968 in Walsum, einem heutigen Stadtbezirk von Duisburg im Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen. Aufgewachsen ist sie gemeinsam mit fünf Geschwistern als Tochter eines Busfahrers. «Wenn die Schuhe kaputt waren, musste ich mit meiner Mutter und meinen fünf Geschwistern zum Sozialamt. Da haben wir die Schuhe einem Sachbearbeiter gezeigt, und der hat entschieden, ob es neue gibt oder nicht», erzählte sie dem «Spiegel».
Da sie nach dem Hauptschulabschluss keinen Ausbildungsplatz im damaligen Wunschberuf der technischen Zeichnerin gefunden hatte, besuchte sie zunächst eine höhere Berufsfachschule für Technik. 80 Bewerbungen und Absagen später habe sie sich auf Anraten ihres Vaters um einen Ausbildungsplatz als Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft beworben, ist auf ihrer Website zu lesen. Nach diversen Zwischenstationen sowie Aus- und Weiterbildungen einschliesslich eines Abendstudiums zur Personalmanagement-Ökonomin wurde sie 2007 Abteilungsleiterin einer Krankenkasse.
SPD-Mitglied ist Bas seit 1988. In die Berufspolitik wechselte sie 2009 mit ihrer ersten Wahl in den Bundestag. Dort beschäftigte sie sich vor allem mit Gesundheitspolitik. Die bisherige Krönung ihrer Karriere brachte die abgelaufene Legislaturperiode (2021–2025), in der sie als Präsidentin des Bundestags protokollarisch das zweithöchste Amt im Staat innehatte.
Die 15-Euro-Frage
Als Bundestagspräsidentin musste sich Bas von Amtes wegen aus der Tagespolitik heraushalten, Sitzungen neutral leiten und mit der Opposition ein vernünftiges Verhältnis pflegen. Das dabei geübte – und bewiesene – Vermittlungs- und Verhandlungsgeschick könnte ihr nun zu Hilfe kommen auf ihrer Gratwanderung zwischen gegensätzlichen Ansprüchen von SPD und Union, von Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Denn Konflikte sind nicht nur bei der von der Union vorangetriebenen Bürgergeld-Reform absehbar. Auch die SPD hat konfliktträchtige Spuren im Koalitionsvertrag hinterlassen. So heisst es darin zwar, die Koalition halte an einer unabhängigen Mindestlohnkommission fest. Im übernächsten Satz aber steht, ein Mindestlohn von 15 Euro 2026 sei «erreichbar». Derzeit beträgt er brutto 12.82 Euro pro Stunde.
Was passiert, wenn die mit Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern besetzte Kommission angesichts der schlechten Wirtschaftslage eine geringere Erhöhung beschliesst? Bas dürfte dann unter grossen Druck aus den eigenen Reihen kommen, die Kommission zu übergehen und die 15 Euro per Gesetz festzulegen.
Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger bereits betont, dass Lohnpolitik in die Hände der Tarifpartner gehöre. «Wir gehen davon aus, dass die Mindestlohnkommission ohne Rufe von der Seitenlinie in Ruhe und mit aller Sorgfalt ihre Arbeit machen kann.» Zugleich hielt er aber fest, dass Bas aus dem Ruhrgebiet stamme und wisse, was Arbeit bedeute: «Das ist eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Amtszeit.»
Meisterprüfung Sozialstaat
Ist das Bürgergeld das Gesellenstück, sieht der Koalitionsvertrag auch eine Meisterprüfung für die Arbeitsministerin vor: Die Sozialleistungen Grundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlag sollen besser aufeinander abgestimmt, die letzten beiden zusammengeführt werden. Zugleich sollen die komplexen Hinzuverdienstregeln und Transferentzugsraten reformiert werden. Von ihnen hängt ab, welches Plus einem Sozialleistungsbezüger am Ende auf dem Konto bleibt, wenn er zu arbeiten beginnt oder die Arbeitszeit erhöht. Experten betonten seit langem, dass zur Erhöhung der Arbeitsanreize vor allem hier angesetzt werden müsse.
Noch grösser wären eigentlich die Herausforderungen, die sich bei der Rente stellen. In den nächsten Jahren werden die Boomer in Massen in Rente gehen und relativ wenige junge Erwerbstätige nachrücken. Gleichwohl hat die schwarz-rote Koalition im Koalitionsvertrag Reformmut vermissen lassen und stattdessen teure Versprechen zum Rentenniveau und zur Ausweitung der Mütterrente gemacht.
Currywurst mit Mayo
Bas könnte sich Verdienste zugunsten der jungen Generation erwerben, würde sie, beispielsweise über die geplante Rentenkommission, in ihrer Amtszeit wenigstens eine Debatte über echte Rentenreformen einleiten. Schliesslich steht die verwitwete, kinderlose Politikerin in dem Ruf, trotz ihrem Aufstieg die Bodenhaftung nicht verloren zu haben.
In ihrem Duisburger Wahlkreis hat sie stets mit grosser Mehrheit ein Direktmandat für den Bundestag errungen. In Interviews und auf ihrer Website hebt sie gerne ihre Leidenschaft fürs Motorradfahren und für den Fussball hervor – in jungen Jahren als Spielerin, heute als Anhängerin des MSV Duisburg. «Currywurst, Pommes, Mayo» nennt sie als eines ihrer Lieblingsgerichte.
Zumindest einen Luxus hat sie sich gleichwohl geleistet: Im Wahlkampf 2021 habe sie eine Harley-Davidson gekauft, erzählte sie im Dezember in einem Podcast der «Berliner Morgenpost». Damals habe sie noch nicht gewusst, dass sie Bundestagspräsidentin werden würde. Nun habe sie kaum Zeit, das Motorrad zu fahren.
Jetzt wird die Harley wohl ein paar weitere Jahre auf häufigere Ausfahrten warten müssen.
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