Die Vorsorgeeinrichtungen haben im vergangenen Jahr ihre Finanzpolster mit hohen Anlageerträgen deutlich vergrössert. Diese Polster können sie gut gebrauchen, wie ein Test der Aufsicht zeigt.
2024 war ein hervorragendes Jahr an den Börsen. Damit war es auch ein gutes Finanzjahr für die Pensionskassen. Die Schweizer Vorsorgeeinrichtungen, die zusammen rund 1200 Milliarden Franken verwalten, erreichten im vergangenen Jahr im Mittel eine Anlagerendite von über 7 Prozent. Das zeigen die am Dienstag veröffentlichten Daten der Oberaufsicht der beruflichen Vorsorge.
Die folgenden Ausführungen betreffen das Gros der Vorsorgeeinrichtungen – jene ohne Staatsgarantie. Diese erreichten 2024 im Mittel eine Anlagerendite von 7,4 Prozent. Je rund die Hälfte dieser Rendite diente zur Verzinsung der Sparkapitalien der Erwerbstätigen und zum Aufbau der Reserven. Die versicherten Erwerbstätigen erhielten mit durchschnittlich 3,8 Prozent die höchste Verzinsung der letzten 15 Jahre. Die Durchschnittsverzinsung seit 2010 betrug rund 2,3 Prozent pro Jahr.
Deutlich öfter als ein Jahr zuvor beschlossen die Kassen 2024 auch einen Bonus für die Rentner. 240 Vorsorgeeinrichtungen, die zusammen über gut einen Drittel des gesamten Rentnerkapitals verfügen, beschlossen einen einmaligen Rentenzuschlag, und 53 Kassen erhöhten die laufenden Renten dauerhaft. Die Erhebung der Aufsicht erfasst total rund 1300 Vorsorgeeinrichtungen.
Eine dauerhafte Rentenerhöhung ist für die Betroffenen nicht zwingend besser – denn eine dauerhafte Erhöhung wird bei gegebenem finanziellem Spielraum der Kasse prozentual weit tiefer ausfallen als ein Einmal-Bonus. Die 2024 beschlossenen Einmal-Boni betrugen total 1,9 Prozent der gesamten Rentensumme in der Zweiten Säule, die dauerhaften Zuschläge machten 0,3 Prozent aus.
Zwang zum Teuerungsausgleich?
«Der Gesetzgeber sieht im Prinzip dauerhafte Erhöhungen vor, die Rentner wollen dagegen lieber einen Einmal-Zuschlag, weil dann der Betrag nach mehr aussieht», sagt Stephan Wyss, Pensionskassenexperte der Zürcher Beratungsfirma Prevanto. Und: «Rentner sind im Durchschnitt etwa 74-jährig. Jüngere Rentner fahren mit einer dauerhaften Erhöhung besser, ältere Rentner fahren mit einem Einmal-Zuschlag besser.»
Laut geltendem Gesetz sollten die Pensionskassen die Altersrenten «entsprechend den finanziellen Möglichkeiten» der Kasse der Preisentwicklung anpassen. Die politische Linke fordert à la AHV eine zwingende regelmässige Anpassung der Pensionskassenrenten an die Teuerung. Ein Parlamentsvorstoss dazu ist derzeit in der Sozialkommission des Ständerats hängig.
Doch hier geht es vor allem um Schattenboxen. In der Berechnung der Jahresrenten für Neurentner via Umwandlungssatz stecken Annahmen über Lebenserwartung und Anlagerenditen. In den Renditeannahmen ist implizit bereits eine Art Teuerungsausgleich enthalten. Im Durchschnitt aller laufenden Renten dürfte in der Rentenberechnung eine Zinsgarantie für das Alterskapital der Rentner von über 3 Prozent stecken – was deutlich über der Inflationserwartung liegt.
In den letzten zwanzig Jahren sind die Umwandlungssätze für Neurentner deutlich gesunken – wegen des laufenden Anstiegs der Lebenserwartung und dem Abwärtstrend bei Zinsen und Inflation. 2024 lag der durchschnittliche Umwandlungssatz für Neurentner bei 5,3 Prozent. Das entspricht ungefähr einer Zinsgarantie auf dem Alterskapital der Rentner von 2,5 Prozent. Auch dies liegt noch über der Teuerungserwartung.
Natürlich könnte man von den Pensionskassen dazu auch noch einen regelmässigen offiziellen Teuerungsausgleich verlangen. Aber dann müssten einfach die Anfangsrenten entsprechend tiefer sein, weil das Geld für die Rentenzuschläge nicht vom Himmel fällt. «Bei einer angenommenen Teuerung von durchschnittlich 1 bis 1,5 Prozent pro Jahr müsste der Umwandlungssatz um etwa 0,6 bis 0,9 Prozentpunkte sinken, damit ein Teuerungsausgleich finanziert werden kann», sagt der Pensionskassenexperte Stephan Wyss. Das hiesse grob gesagt: Die Anfangsrenten müssten um etwa 10 bis 15 Prozent sinken.
Deckungslücke bei Stress
Dank der guten Börsenjahre 2023 und 2024 haben die Pensionskassen ihre Reserven deutlich aufgestockt. Die gängige Messzahl dafür ist der Deckungsgrad. Dieser stieg 2024 im Mittel von 110,3 Prozent auf 114,7 Prozent. Das heisst: Pro 100 Franken künftiger Verpflichtungen haben die Kassen ein Vermögen von 114.70 Franken. Sind Reserven von 14,7 Prozent vernünftig, zu viel oder zu wenig? Das hängt von den Risiken der Anlagen ab. Je stärker eine Pensionskasse in schwankungsanfälligen Werten wie Aktien und Immobilien investiert ist, desto höher sollten die Reserven sein – desto höher liegt aber auch im Mittel die langfristige Renditeerwartung.
Nach Einschätzung der Kassen selber sind die Polster in manchen Fällen noch nicht gross genug. Der mittlere Zielwert der Vorsorgeeinrichtungen liegt bei 17,6 Prozent. Solche Zielwerte beruhen typischerweise auf Modellrechnungen etwa nach folgendem Muster: Aufgrund der bekannten Schwankungsanfälligkeit des Anlageportfolios sollte die Kasse mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent innert Jahresfrist nicht in eine Unterdeckung geraten. In der Praxis haben die Kassen erhebliche Spielräume – etwa bei der Festlegung des Sicherheitsgrads (95 Prozent Wahrscheinlichkeit, 97,5 Prozent oder noch mehr?) und bei der modellierten Periode (zum Beispiel ein Jahr oder zwei Jahre?).
In einem Stressszenario der Oberaufsicht würden rund 40 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen in die Unterdeckung rutschen: Die Verpflichtungen wären damit nicht mehr voll durch Vermögen gedeckt. Kapitalgewichtet wären sogar 57 Prozent des Pensionskassensystems in Unterdeckung. Das Stressszenario enthält unter anderem Kurstaucher bei Aktien um 20 Prozent, bei Immobilien um 15 Prozent, bei Obligationen um 10 Prozent und bei den Fremdwährungen um 5 Prozent. Das wäre noch lange kein Extremszenario; es ist dem Vernehmen nach angelehnt an die Lage im Jahr 2022.
Bei Unterdeckung müssen betroffene Pensionskassen Sanierungsmassnahmen beschliessen, die den Deckungsgrad innert nützlicher Frist (zum Beispiel innert drei bis sieben Jahren) wieder auf mindestens 100 Prozent bringt. Der Stresstest der Aufseher unterstellt während sieben Jahren Sanierungsbeiträge von jeweils 5 Prozent der Löhne sowie eine Beschränkung der Verzinsung der Sparkapitalien der Erwerbstätigen auf 1 Prozent pro Jahr. Weiter ist unterstellt, dass die Anlagerendite während dieser Sanierungsdauer genau der Zielrendite der Pensionskasse entspricht. In diesem Szenario mit ziemlich heftigen Sanierungsbeiträgen wären nach der 7-Jahres-Periode noch etwa 4 Prozent der Kassen in Unterdeckung, und der durchschnittliche Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtungen läge wieder etwa gleich hoch wie Ende 2024.
Die Moral der Geschichte: Die derzeitigen Reserven der Pensionskassen können rasch wegschmelzen, doch sie liefern für künftige Stürme ein bedeutendes Polster.