Die Verhandlung am Bezirksgericht Uster ist von einer Kundgebung von Eritreern und einem Polizeiaufgebot begleitet worden.
Das Bezirksgericht Uster hat am Mittwoch eine aufsehenerregende Verhandlung bewältigt. Es ging um einen Politiker – und um einen Vorwurf, der das Ende der Karriere bedeuten kann: Rassismus.
Der Andrang des Publikums und der Medien war so gross, dass man sich im Voraus eine Platzkarte reservieren musste, um sicher Einlass zu erlangen. Die Verhandlung wurde per Video vom Hauptgerichtssaal in zwei Nebenräume übertragen.
Vor und im Gerichtsgebäude hatten sich Polizisten postiert, und auf dem Platz vor dem Gericht kamen etwa 30 Teilnehmer einer Kundgebung zusammen. «Kein Platz für Rassist*innen! Kein Platz für Faschist*innen!», hiess es politisch korrekt auf Schildern aus Karton.
Gemeint war mit den Slogans die SVP. Und Patrick Walder. Er hatte vor sechs Jahren wenige Monate lang die Zürcher SVP präsidiert und genau in dieser Zeit passierte etwas, das ihn nun vor den Richter brachte.
Unter Walders Ägide hatte seine Partei im Sommer 2019 eine Medienmitteilung zu einer schrecklichen Tat veröffentlicht. In Frankfurt am Main hatte ein Eritreer, der im Kanton Zürich lebte, eine Frau und ihren Sohn vor einen einfahrenden Zug gestossen. Die Frau überlebte, das Kind aber wurde getötet.
Die Zürcher SVP nahm die Tat zum Anlass, um die fehlgeleitete Asylpolitik der Schweiz anzuprangern und um Werbung für die bevorstehenden Wahlen zu machen. So jedenfalls stellt es die Partei dar.
Ganz anders sieht es die eritreische Gemeinschaft in der Schweiz. Sie liest in der Medienmitteilung der SVP Hass und Hetze gegen Eritreer – und vor allem einen Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm. Die SVP habe Menschen aus Eritrea pauschal als unintegrierbare Gewalttäter dargestellt.
Auch die Zürcher Staatsanwaltschaft sah die Voraussetzungen für eine Anklage gegen Walder nach anfänglicher Zurückhaltung erfüllt. Noch im August 2019 hatte sie die Mitteilung der SVP als nicht strafbar taxiert, wie ein damaliger Medienbericht in den Tamedia-Zeitungen offenbarte. Später kam sie zu einem anderen Schluss.
Warum sie ihre Meinung geändert hat, legte die Staatsanwaltschaft in Uster nicht dar – sie war nämlich gar nicht zur Verhandlung erschienen. Das darf sie, wenn das beantragte Strafmass vergleichsweise tief ausfällt. Walder sollte zu einer Geldstrafe von 8400 Franken bedingt und einer Busse von 800 Franken verurteilt werden.
Die Bühne gehörte am Mittwoch zuerst den weiteren Klägern, nämlich dem Eritreischen Medienbund und zwei Privatpersonen. Eine von ihnen, eine junge Eritreerin, wurde zuerst einvernommen. Sie gab zu Protokoll, dass sie sich noch nie so unerwünscht gefühlt habe wie damals, als sie die Medienmitteilung der SVP gelesen hatte. Seit der «rassistischen Hetze der SVP» werde sie immer wieder erniedrigt und mit Vorurteilen konfrontiert.
Dann erklärte der Co-Geschäftsleiter des Eritreischen Medienbunds, die eritreische Gemeinschaft sei ob der Mitteilung der SVP schockiert gewesen. Alle Eritreer seien als potenzielle Mörder und als tickende Zeitbomben dargestellt worden. Der Eritreeische Medienbund habe Hass-Mails erhalten. Es seien vermehrt rassistische Vorfälle gemeldet worden.
Zum Beweis führte er den Fall eines Eritreers an, der beim Abholen seiner Kinder vom Kindergarten von der Polizei kontrolliert worden sei. Wieso die Polizeikontrolle rassistisch gewesen sein soll, erläuterte der Mann nicht weiter. Er mutmasste, dass die Polizisten die Medienmitteilung der SVP auch gelesen hätten.
Walder erinnert sich nicht mehr
Patrick Walder erklärte in seiner Befragung, dass er sich nicht mehr im Detail daran erinnern könne, wie die damalige Medienmitteilung zustande gekommen sei.
Er sei damals, im Sommer 2019, auf dem Weg zu einem Treffen von 2CV-Fans gewesen. Die Telefon- und Internetverbindungen seien unzuverlässig gewesen.
Er könne sich auch nicht daran erinnern, ob er den genauen Inhalt der Mitteilung gekannt habe, oder ob es unterschiedliche Versionen gegeben habe. Auch als Präsident habe er nicht in sämtliche Publikationen im Vorfeld Einsicht gehabt. Das sei bei einer so grossen Partei nicht möglich.
Der Einzelrichter hielt Walder eine Mail vom Oktober 2019 vor. Damals war in Basel wegen der Medienmitteilung eine Strafanzeige eingegangen und die Basler Polizei fragte Walder an, wer diese hochgeladen habe. Walder antwortete in der Mail explizit, dass er sie freigegeben habe.
Im Gericht auf diesen Austausch angesprochen, antwortete Walder, dass seine Aussage in der Antwort an die Polizei nicht korrekt gewesen sei.
Walder wiederholte, was er bereits im Gespräch mit der NZZ gesagt hatte. Nämlich, dass es nie die Absicht gewesen sei, die Eritreer pauschal zu erniedrigen. Es sei darum gegangen, die Asylpolitik des Bundes zu kritisieren. Es sei wichtig, auf Missstände hinzuweisen.
In den anschliessenden Plädoyers der Anwältinnen der Kläger und des Anwalts Walders betonten beide Seiten, dass es im konkreten Fall um viel mehr gehe als nur um die Medienmitteilung der SVP an sich.
Die zwei Anwältinnen führten an, dass Walder eine Herabsetzung aller Eritreer bewusst in Kauf genommen habe. Er habe auf ihre Kosten Wahlkampf geführt. Es gehe darum, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben – und vor allem darum, Angst und Hass gegen Eritreer zu schüren. Die Medienmitteilung lasse jede Differenzierung vermissen. Walder habe als alter Politprofi ganz genau gewusst, was er auslösen werde.
Walders Anwalt, der alt SVP-Kantonsrat Valentin Landmann, führte an, dass es um zwei zentrale Fragen gehe. Erstens, ob Walder die Tat überhaupt zugeordnet werden könne. Das, sagte Landmann, sei nicht mehr möglich. Die Urheber von damals könnten nicht mehr eruiert werden. Nur schon aus diesem Grund sei Walder freizusprechen.
Landmanns zweite zentrale Frage war, ob der Inhalt der Medienmitteilung strafrechtlich relevant sei. Der Anwalt erwähnte dabei den damaligen Artikel der Tamedia-Zeitungen, in dem die Staatsanwaltschaft einen Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm noch explizit verneint hatte – das Gericht nahm den Artikel als Beweisantrag entgegen.
Es sei klar, dass die SVP nicht alle Eritreer gemeint habe, wenn sie im Communiqué von «solchen Personen» gesprochen habe, welche in der Schweiz nichts verloren hätten. Es sei offensichtlich, dass damit ganz allgemein gefährliche Gewalttäter gemeint gewesen seien. «Der Autor wollte einfach sagen, dass Leute, welche Unschuldige umbringen, bei uns nichts zu suchen haben», sagte Landmann.
Ausserdem müsse es möglich sein, dass eine Partei die hohen Kriminalitätsraten von Personen aus bestimmten Ländern ansprechen dürfe.
Schliesslich konnte sich der Beschuldigte nochmals äussern. Er sehe sich darin bekräftigt, dass es bei der Anklage um eine politische Kampagne gegen die SVP gehe, sagte Walder. Es sei nie die Absicht gewesen, jemanden zu diskriminieren und er weise die Anschuldigung, ein Rassist zu sein, zurück.
Ob Walder bestraft wird, wird sich in einer Woche zeigen. Die Urteilseröffnung ist für den 21. Mai angesetzt.