Der italienische Staat mischt sich immer mehr in die Wirtschaft
ein. Die Entwicklung hat eine lange Tradition, wird aber nun von der Regierung Giorgia Meloni mit Gusto fortgeführt.
Der italienische Staat kann seine Finger nicht von der Wirtschaft lassen. Die Einmischung hat in Italien ohnehin eine lange und unschöne Tradition. Doch die seit Oktober 2022 regierende Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kennt keine ordnungspolitischen Bedenken und verstärkt den Einfluss des Staates in der Wirtschaft weiter.
Die Regierung kann praktisch jede unliebsame Übernahme verhindern. Dies unabhängig davon, aus welchem Land der potenzielle Käufer stammt. Die rechtliche Grundlage für die Eingriffe ist die sogenannte Golden-Power-Regelung. Sie ist inzwischen auf fast die gesamte italienische Wirtschaft ausgeweitet worden.
Der Staat kann den Niedergang nicht verhindern
Das Verhalten Roms erinnert dabei stark an den Stamokap, den staatsmonopolistischen Kapitalismus. Dieser hat im Land eine lange Geschichte. Noch bis Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts kontrollierte die im Faschismus gegründete Holding Istituto per la Ricostruzione Industriale (IRI) einen Grossteil der italienischen Wirtschaft. Anders als erhofft, änderte das aber nichts am Niedergang grosser Industriekonzerne wie Montedison, Falck, Italsider, Olivetti oder Fiat – ganz im Gegenteil.
Nach dem immergleichen Strickmuster werden Unternehmen, die längst pleite sind, über Jahrzehnte am Leben erhalten – mit dem Geld der Steuerzahler, auch der europäischen.
Ein Beispiel dafür ist der 1965 gegründete Stahlkonzern Ilva (heute: Acciaierie d’Italia) mit Sitz im apulischen Tarent. Gerade hat die Regierung wieder Übergangshilfen von 400 Millionen Euro für das hochdefizitäre Unternehmen freigegeben. Es wird nach mehreren Privatisierungen und Verstaatlichungen derzeit von drei Staatskommissaren geführt. Das grösste Stahlwerk
Europas ist eine Dreckschleuder ohnegleichen. Tausende von schweren Erkrankungen und Todesfällen werden ihren Emissionen zugeschrieben. Nun soll das Werk wieder einmal privatisiert werden.
Viele Fehler – und keine Einsicht
Die Kommissare empfehlen den Verkauf an die staatliche
aserbaidschanische Baku Steel. Rom will aber eine Minderheitsbeteiligung behalten. Die meisten der derzeit noch 11 000 Mitarbeiter beziehen seit vielen Jahren staatliches Kurzarbeitsgeld. Den Steuerzahler kostete das Unternehmen bisher nach Schätzungen 20 Milliarden Euro. Gebaut worden war es einst aus strukturpolitischen Gründen – um die Entwicklung Süditaliens voranzutreiben.
Trotz Verkaufsabsichten will Rom weitere 5 Milliarden Euro für eine Umrüstung auf eine klimafreundliche Produktion ausgeben. Dafür hat die Regierung auch Gelder aus EU-Programmen im Visier.
Immerhin wurde die Fluggesellschaft ITA kürzlich an die Lufthansa
verkauft. Damit ist eine unrühmliche Geschichte immerhin zu Ende gegangen. Sie hat Italiens Steuerzahler ab den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mindestens 20 Milliarden Euro gekostet. Die Mittel flossen
überwiegend an die einstige Alitalia. Deren Geschichte ist eine Abfolge von Verstaatlichungen, Privatisierungen, erneuten Verstaatlichungen und Staatshilfen. Die nun an die Lufthansa verkaufte ITA ist zwar keine
Rechtsnachfolgerin der Alitalia. Dennoch kostete auch sie den Steuerzahler seit ihrem Start im Oktober 2021 rund 1,35 Milliarden Euro in Form von finanziellen Hilfen.
Ein ähnliches Spiel wiederholt sich bei den Banken. Für die diversen Rettungsaktionen für die Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS) zahlte der Staat ebenfalls Milliarden. Die Bank geriet Mitte der zehner Jahre durch ihren Grössenwahnsinn in eine gigantische Krise. Rom rettete sie 2017 mit einer Kapitalspritze von 5,4 Milliarden Euro. Für eine Kapitalerhöhung mussten die Steuerzahler im Herbst 2022 noch einmal 1,6 Milliarden Euro nachschiessen.
Nun legte das kaum genesene Institut, das noch immer zu 11,7 Prozent von Rom kontrolliert wird, ein Übernahmeangebot für mehr als 13 Milliarden Euro für die Investmentbank Mediobanca vor. Rom unterstützt das Vorhaben. Viele Beobachter halten die Übernahme für keine gute Idee. Sie glauben nicht, dass die beiden Institute zueinander passen.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bankensektor: Die staatlichen Auflagen
für eine Übernahme der Bank BPM durch die Unicredit sind so streng,
dass sich das von der EZB genehmigte Vorhaben für Unicredit vermutlich
gar nicht mehr rechnet. Rom geht so weit, Vorschriften über die Höhe
der Kreditvergabe und das Volumen der zu erwerbenden italienischen
Staatsbonds zu machen. Damit greift der Staat massiv in die
Unternehmensfreiheit ein.
Die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit halten Rom aber nicht von weiteren Interventionen ab. Die Regierung unter Giorgia Meloni mit ihrem Koalitionspartner Lega steht in der Tradition eines Wirtschaftssystems, das auf eine starke Rolle des Staates setzt.
Beim Reifenkonzern Pirelli wurden 2023 die Rechte des chinesischen
Grossaktionärs Sinochem (37 Prozent) mithilfe Roms massiv beschnitten. Für strategische Entscheidungen braucht es eine Vier-Fünftel-Mehrheit. Auch der Zugang des Aktionärs zu sicherheitsrelevanten Informationen wurde massiv begrenzt.
Dafür gibt es womöglich gute Gründe. Doch als es vor
Jahren darum ging, Pirelli durch den Einstieg der Chinesen zu
«retten», gab es solche Überlegungen nicht.
Italien ist für Investoren ein schwieriges Pflaster
Auch dass die mehrheitlich staatlich kontrollierte Post (Poste Italiane) mit 24,8 Prozent grösster Aktionär bei Telecom Italia (TIM) werden konnte, ist ein Beispiel für staatlich initiierte Wirtschaftspolitik. Ohne Roms tätige Mithilfe wäre das nicht möglich gewesen. Es entsteht nun ein teilstaatlicher Konzern, der ausser im Versicherungs-, Finanz- und
Logistiksektor auch in der Telekommunikation führend ist.
Beim Halbleiterhersteller STMicroelectronics, an dem Rom und Paris
eine paritätische Beteiligung von insgesamt 27,5 Prozent halten, drängt
Italiens Regierung massiv auf die Ablösung des CEO Jean-Marc Chéry.
Der Vorwurf: Chéry bediene vorwiegend französische Interessen – eine
Behauptung, die sich so nicht aufrechterhalten lässt. Zuvor war
massgeblich auf Betreiben Roms der Chef des franko-italienischen
Autokonzerns Stellantis, Carlos Tavares, geschasst worden.
Die Interventionen werden fast immer damit gerechtfertigt, nationale
Interessen verteidigen und Arbeitsplätze «retten» zu müssen. De facto
kommt es allerdings selten vor, dass Rom Übernahmen unterbindet. Denn viele potenzielle Investoren verzichten wegen des zu erwartenden Widerstands Roms schon im Vorfeld auf Angebote. Das macht Italien nicht unbedingt attraktiv für Investoren.
Entweder direkt oder indirekt über die mehrheitlich staatliche
Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) hält Rom auch Beteiligungen
an der französisch dominierten Mehrländerbörse Euronext und am
Zahlungsdienstleister Nexi. Zudem wurde die Autobahngesellschaft Autostrade per l’Italia (Aspi) re-verstaatlicht. Der Staat hält weitere, teilweise sehr umfangreiche Beteiligungen, darunter der Mineralölkonzern Eni, der Versorger Enel, der Erdölzulieferer Saipem, der Baukonzern Webuild, der Schiffbauer Fincantieri sowie der Rüstungskonzern Leonardo.
Staatliches Eingreifen hat die Steuerzahler in Italien in den letzten
Jahrzehnten Unsummen gekostet. Damit ist weder der Niedergang von
Unternehmen aufgehalten worden, noch hat es die Wirtschaft des Landes wettbewerbsfähiger gemacht. Die Produktivität stagniert seit dreissig Jahren. Es wäre Zeit, eine ehrliche Bilanz zu ziehen.