Ein winziger Smart-Chip, der auf den Fingernagel aufgeklebt wird, ermöglicht kontaktloses Bezahlen ohne Smartwatch, Handy oder Karte. In der Schweiz wird er demnächst in rund dreissig zertifizierten Nagelstudios erhältlich sein.
Bezahlen mit dem Smartphone oder der Uhr ist längst Alltag. Doch was, wenn künftig sogar das überflüssig wird? Kein Portemonnaie, kein Handy, keine Swatch oder Apple-Watch – nur der eigene Fingernagel ist noch nötig. Diesen hält man ans Terminal, und schon ist der Cappuccino bezahlt, das Kinoticket gelöst oder die neue Hose erworben.
Diese Idee hat Claude Niedermann, Gründer und CEO des Schweizer Startups Smart Chip Switzerland AG aus Sursee, in die Realität umgesetzt. An der Handels- und E-Commerce-Konferenz Score präsentierte sein Unternehmen diese Woche einen Bezahlchip, der mit einem Spezialgel auf den Fingernagel geklebt wird.
Seit zwölf Jahren am Tüfteln
Der Smart-Chip wurde zusammen mit dem deutschen Halbleiterkonzern Infineon sowie seinem Zulieferer LUX-IDent aus der Gruppe HID entwickelt. Die Entwicklung kostete laut Niedermann Millionen, dauerte zwölf Jahre und resultierte in mehreren Patenten. Die Idee sei ihm gekommen, als er sich vor Jahren versehentlich aus seiner Wohnung ausgesperrt und sich gefragt habe, warum es keinen Schlüssel gebe, den er am Körper tragen könne.
Laut Niedermann ist das Produkt nun marktreif. Die App soll in zwei Wochen bereit sein, der Pre-Launch beginnt im Juni in rund dreissig Schweizer Standorten in Zürich, Basel, Bern, Luzern und Frauenfeld, etwas später dann auch in Deutschland, Österreich, Spanien und den Niederlanden.
«Die sicherste Kreditkarte der Welt»
Das System ist simpel: Der Chip enthält keine Zahlungsdaten, sondern stellt beim Bezahlen kontaktlos eine Verbindung zum Lesegerät her. Die eigentlichen Zahlungsinformationen werden zuvor einmalig in einer Smartphone-App (für iOS und Android) hinterlegt– das Mobiltelefon muss beim Zahlen jedoch nicht mitgeführt werden.
Derzeit sind in der Schweiz die Karten von Cembra, Postfinance, Swiss Bankers, TCS oder Ikea kompatibel – möglich sind Debit-, Kredit- und Prepaid-Karten. In Europa arbeitet man mit Curve, einer Bezahlkarte und App, mit der sich sämtliche bestehenden Kredit- und Debitkarten in einer einzigen Karte bündeln lassen. Bis 80 Franken (oder 50 Euro) ist die Zahlung wie bei herkömmlichen Karten ohne PIN möglich.
Anders als Apple Pay benötigt der Nagelchip keinen Strom. Er funktioniert passiv und nur im unmittelbaren Kontakt mit einem Lesegerät – das erhöht die Sicherheit, weil keine permanente Verbindung besteht. Der Chip sammelt keine Daten, sondern überträgt ausschliesslich hinterlegte Informationen. Schon bald könnten auch digitale Visitenkarten, Swiss-Pass-Funktionen oder Gesundheitsdaten integriert werden, erklärt Niedermann.
Erhältlich ist der Chip in einem ersten Schritt in eigens dafür zertifizierten Nagelstudios. Die Applikation erfolgt durch geschulte Fachkräfte und soll in der Schweiz zwischen 10 und 20 Franken kosten; in Deutschland ist ein ähnlicher Preis vorgesehen.
Im Fokus steht zunächst die weibliche Zielgruppe. «Weltweit besuchen 250 Millionen Frauen alle drei bis vier Wochen ein Nagelstudio», sagt Niedermann. Die Verbindung von Kosmetik und Technologie kommt nicht von ungefähr: Seine Familie betreibt seit Jahrzehnten Unternehmen für Schulungen und Produktevertrieb im Bereich der Nagelkosmetik sowie eigene Nagelstudio. Er weiss daher auch, dass klassischer Nagellack für die Applikation wenig geeignet ist. Empfohlen wird Gel, weil es haltbarer und stabiler ist.
Dass der Chip mit dem Nagel herauswächst und regelmässig ersetzt werden muss, tönt wie ein Manko. Laut Niedermann ist es ein Vorteil: «Wenn man beim Kürzen der Nägel die Antenne verletzt, funktioniert der Chip nicht mehr, und man muss ihn ersetzen.» Genau das erhöhe die Sicherheit. Zudem werde der Chip automatisch nach drei oder vier Monaten deaktiviert – ein Aspekt, der für Partner wie Mastercard wichtig sei: «Unser Chip ist die sicherste Kreditkarte der Welt.»
Männer müssen nicht ins Nagelstudio
Dominik Samson, der sich beruflich mit kontaktlosen Systemen beschäftigt, testete den Chip bereits Ende 2024 an der Technikmesse Electronica in München. «Ich war überrascht, wie schnell der Chip aufgeklebt und per App eingerichtet war», sagt er auf Anfrage. Auch das Bezahlen habe sehr gut funktioniert. Anfangs habe er den Daumen verdreht, um das Lesegerät mit dem Nagel zu berühren, habe aber gemerkt, dass es auch mit der Fingerkuppe funktioniere.
Nach sechs bis sieben Wochen sei der Chip herausgewachsen gewesen. Dass er wegen des Chips regelmässig zum Ersetzen ins Nagelstudio gehen würde, glaubt Samson eher nicht. «Ich würde ihn vielleicht situativ nutzen, beispielsweise bei Abenteuer- oder Strandferien, weil er nicht verlorengehen kann.»
Männer ins Nagelstudio zu locken, ist laut Niedermann allerdings auch gar nicht geplant. Geplant seien andere Kooperationen, etwa mit Coiffeursalons, Fitness-Centern oder mit Heimelektronik-Shops, die Männer heute schon in regelmässigen Abständen gerne besuchen.