Lieber weiterhin die Steuern erhöhen statt das Rentenalter: Das ist der neue Plan für die AHV. Für die Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider ist es ein grosser Sieg – wobei der bürgerliche Widerstand nicht sehr hartnäckig war.
Mag die Lebenserwartung weiter steigen, mögen die Menschen in anderen Ländern länger arbeiten: In der Schweiz bleibt das ordentliche Rentenalter weiterhin fix bei 65 Jahren. Stattdessen sollen einmal mehr zusätzliche Milliarden Franken aus Steuern und Lohnbeiträgen in die AHV fliessen. Dies ist der Plan des Bundesrats für die nächste AHV-Reform, die das Sozialwerk bis ins Jahr 2040 stabilisieren soll. Die Details sind noch offen, die Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider hat am Donnerstag erst über die Grundzüge der Vorlage informiert.
Aber das Wesentliche steht bereits fest: Der Bundesrat will sowohl die Mehrwertsteuer als auch die Lohnbeiträge erhöhen – offen ist nur noch, wann und wie stark. Gemäss den aktuellen Finanzperspektiven fehlen der AHV im Jahr 2030 etwa 2,5 Milliarden Franken und im Jahr 2040 etwa 5,6 Milliarden. Dabei ist die 13. AHV-Rente eingerechnet; sie wird 2026 eingeführt, ist aber noch nicht finanziert.
Der Bundesrat will die drohenden Lücken fast vollständig mit höheren Abgaben kompensieren. Die anderen Massnahmen, die er vorsieht, fallen finanziell kaum ins Gewicht. Noch deutlich grösser müssten die Abgabenerhöhungen jedoch ausfallen, wenn in der Zwischenzeit auch die Initiative der Mitte-Partei angenommen würde. Sie verlangt einen weiteren Ausbau der AHV, dieses Mal ausschliesslich für Ehepaare. Kostenpunkt: rund 4 Milliarden Franken im Jahr.
Ist die Initiative erfolgreich, fehlen der AHV im Jahr 2040 rund 10 Milliarden Franken. Da weder Bundesrat noch Parlament daran denken, das Rentenalter zu erhöhen, müssten folglich Steuern und Abgaben noch viel stärker steigen. Tatsächlich arbeiten Ständeräte der Mitte und der SP in der Sozialkommission bereits an einem Milliarden-Paket, um den erneuten Ausbau zu ermöglichen. Am Freitag sind hier weitere Entscheide zu erwarten.
Wo bleibt die angebliche «Viererbande»?
Elisabeth Baume-Schneider kann mit gestärktem Selbstvertrauen in die anstehenden AHV-Debatten gehen. Dass der Bundesrat das Rentenalter 65 nicht antasten will, ist für die Sozialdemokratin ein wichtiger Sieg. Ihre Partei wird sie noch lange dafür feiern. Dass sich Baume-Schneider im bürgerlich dominierten Bundesrat in diesem umkämpften Dossier so klar durchsetzen kann, ist bemerkenswert. Manche in Bern raunen noch immer, der Bundesrat werde von einer bürgerlichen «Viererbande» dominiert, bestehend aus den FDP- und den SVP-Vertretern, die sich angeblich gerade auch in sozialen Fragen rabiat durchsetzen würden.
Wäre das wahr, wäre Baume-Schneider gescheitert. Sie hat ihre Absichten im AHV-Dossier früh offengelegt, im Februar erklärte sie in der NZZ, sie halte Rentenalter 65 für «sinnvoll». Ihre Widersacher hatten viel Zeit, sich vorzubereiten. Dem Vernehmen nach hielt sich jedoch der Widerstand aus den bürgerlichen Departementen in engen Grenzen. Manche sollen zwar verlangt haben, dass Ansätze für eine längere Lebensarbeitszeit vertieft thematisiert werden. Doch ein klares, koordiniertes Gegenkonzept lag nicht vor. Der SVP-Bundesrat Albert Rösti soll sogar ganz auf eine Intervention verzichtet haben, sehr zur Freude der Sozialministerin.
Vor drei Jahren tönte es anders
Es ist nicht lange her, da schätzte der Bundesrat die Notwendigkeit, länger zu arbeiten, noch anders ein. Die Erhöhung des Rentenalters sei eine «berechtigte Massnahme», befand er im Sommer 2022. Der damalige Sozialminister Alain Berset, ebenfalls ein Sozialdemokrat, musste dieses Urteil auf Drängen seiner bürgerlichen Kollegen akzeptieren. Es fand Eingang in die Botschaft zur «Renteninitiative» der Jungfreisinnigen – und genau hier liegt auch der Hauptgrund der heutigen bundesrätlichen Zurückhaltung.
Die Initiative verlangte damals eine regelmässige Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Sie wurde mit 75 Prozent Nein-Stimmen geradezu versenkt. Das war im März 2024. Das klare Verdikt gegen ein höheres Rentenalter hallte noch immer nach, offensichtlich bis ins Bundesratszimmer. Noch ein zweiter Grund ist zu hören: Voraussichtlich kommt die nächste AHV-Reform 2027 ins Parlament – im Wahljahr also, in dem kaum jemand Lust hat, sich die Finger an dem unpopulären Thema zu verbrennen.
Genaueres erfährt man im Herbst, wenn der Bundesrat die Leitlinien der neuen AHV-Reform präsentieren will. Anfang 2026 soll sie in die Vernehmlassung gehen.