Viktor Orbans Partei plant ein Gesetz, das laut Kritikern nach russischem Vorbild alle aus dem Ausland unterstützten Gegner mundtot machen soll. Auch Orbans gefährlicher Herausforderer Peter Magyar könnte ins Visier geraten.
Die Rede war selbst für Viktor Orbans Verhältnisse aggressiv. Am Nationalfeiertag vom 15. März bezeichnete der ungarische Regierungschef seine Gegner und Kritiker als «Wanzen, die den Winter überlebt haben». Er kündigte eine Säuberung für Ostern an, bei der man die Finanzmaschinerie zerstören werde, die mit «korrupten Dollars» Politiker, Richter, Journalisten, zwielichtige Nichtregierungsorganisationen (NGO) und politische Aktivisten gekauft habe. Diese gesamte «Schattenarmee» werde aufgelöst, erklärte Orban.
Die entmenschlichende Sprache, die an diejenige der Nationalsozialisten oder jüngst des Kreml-Regimes erinnert, löste viel Empörung aus. Der ungarische Journalistenverband protestierte ebenso wie die Richtervereinigung oder die Akademie der Wissenschaften.
Eine schwarze Liste für alle Gegner
Inzwischen ist klarer, was Orban mit dem angekündigten «Frühlingsputz» gemeint hat. Unter dem Vorwand des Kinderschutzes verabschiedete das Parlament bereits im März ein Gesetz, das die jährliche Pride-Parade in Budapest verbietet, wobei gegen Verstösse auch Software zur Gesichtserkennung zur Anwendung kommen soll. Eine nachträgliche Verfassungsänderung lieferte vor einem Monat die Grundlage dafür. Sie sieht unter anderem auch die Aussetzung der ungarischen Staatsangehörigkeit von Doppelbürgern vor, die im ausländischen Interesse tätig seien und Ungarns Unabhängigkeit gefährdeten. Die Reform könnte auf den amerikanisch-ungarischen Investor George Soros abzielen, der von der Regierung seit Jahren als eine Art Staatsfeind behandelt wird.
Nun folgt eine weitere Vorlage, die von der Regierungspartei Fidesz in der Nacht zum Mittwoch ins Parlament eingebracht wurde. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die vor anderthalb Jahren geschaffene Souveränitätsbehörde aus dem Ausland unterstützte Organisationen mit Einfluss auf die öffentliche Meinung auf eine schwarze Liste setzen kann, wenn sie eine Gefahr für Ungarns Souveränität darstellen.
Als solche gilt laut dem Fidesz alles, was die «verfassungsmässigen Werte» in ein schlechtes Licht rücke – genannt wird dabei etwa auch Kritik am demokratiepolitischen Zustand des Landes, am traditionellen Familienmodell, an christlichen Werten oder an Frieden und Sicherheit. Nach diesen Richtlinien könne jede Organisation ins Visier geraten, die öffentlich eine der Regierungslinie entgegenstehende Ansicht äussere, schreibt der Analytiker Andras Toth-Czifra vom Foreign Policy Research Institute.
Gelistete Organisationen dürften keine steuerbegünstigten Zuwendungen mehr erhalten und müssten von ihren Spendern eine Versicherung verlangen, dass das Geld nicht aus dem Ausland kommt. Nehmen sie dennoch Mittel aus dem Ausland an, drohen hohe Bussen oder sogar ein Tätigkeitsverbot.
Wegen des verlangten Einflusses auf die Meinungsbildung dürfte die Vorlage vor allem auf NGO und Medien abzielen. Die Problematik liegt aber in den schwammigen Begrifflichkeiten, die der politischen Willkür Tür und Tor öffnen. Der Regierung geht es zudem explizit auch um die Unterstützung mit EU-Geldern, für die sich Organisationen bewerben können.
Dieser Punkt verstösst mutmasslich gegen europäisches Recht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte 2020 nach einem Vertragsverletzungsverfahren bereits das ungarische Transparenzgesetz für aus dem Ausland unterstützte NGO aufgehoben. Die Kommission hat ein solches Verfahren auch gegen das Gesetz angestrengt, das die Grundlage für die ungarische Souveränitätsbehörde bildet. Bis zu einem Entscheid des EuGH dürfte es aber noch Jahre dauern.
Orban muss eine Wahlniederlage befürchten
Die Opposition bezeichnet die Vorlage als Kriegserklärung und als Schritt in Richtung einer Putinisierung. Peter Magyar, Chef der mittlerweile stärksten Oppositionskraft Tisza, sprach von einer weiteren roten Linie, die überschritten werde. Das geschehe nicht zufällig jetzt, sondern weil der Fidesz Angst vor einer Niederlage bei der Wahl im Frühling nächsten Jahres habe.
Dieser Verdacht ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Seit Monaten führt Magyars Partei die Umfragen der unabhängigen Institute an, teilweise recht deutlich. Bisher konnte dem vor gut einem Jahr auf der politischen Bühne aufgetauchten Shooting-Star nichts etwas anhaben: weder sein wenig konzises Programm, die fehlende personelle Breite noch seine Vergangenheit als Günstling des Fidesz oder die Diffamierungskampagnen der regierungsnahen Medien. Noch dauert es lange bis zur Wahl, aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die leere Staatskasse erschweren die Situation für Orban.
Die Regierung argumentiert, sie schütze mit dem neuen Gesetz die demokratischen Institutionen vor Manipulation von aussen. Kritische Analytiker sehen darin dagegen den Abschied Ungarns von europäischen Standards. Einige befürchten sogar, es könnte die Grundlage bilden für einen Ausschluss Magyars bei der kommenden Wahl. Auch eine Partei ist zweifellos eine Organisation, die die öffentliche Meinung beeinflussen kann.
Vor diesem Hintergrund ist brisant, dass die Regierung Magyar und der Tisza seit Tagen ein Komplott mit der Ukraine vorwirft. Kiew hatte am Freitag erklärt, zwei angebliche Spione im Dienste Ungarns im äussersten Westen des Landes festgenommen zu haben. Die beiden hätten im auch von rund 100 000 ethnischen Ungarn bewohnten Transkarpatien militärisch relevante Informationen zum Nachteil der Ukraine gesammelt. Budapest wies die Vorwürfe empört zurück, die beiden Länder wiesen gegenseitig je zwei Diplomaten aus.
Die Affäre brachte das ohnehin miserable Verhältnis der beiden Nachbarländer an einen neuen Tiefpunkt. Nach einer Sitzung des Verteidigungsrats am Dienstag warf Orban der Ukraine eine geheimdienstliche Operation gegen Ungarn vor mit dem Ziel, eine derzeit stattfindende nationale Umfrage zu einem künftigen EU-Beitritt des Landes zu beeinflussen. Dabei sei sie von Magyars Partei Tisza unterstützt worden, was ein präzedenzloser Akt sei. Beweise für den Vorwurf lieferte der Regierungschef nicht. Er klingt aber so, als könnte das geplante Gesetz dafür relevant werden.
🛡️ @PM_ViktorOrban: A Ukrainian intelligence operation, aided by a Hungarian opposition party, has targeted our Defense Forces to block Hungary’s EU vote on Ukraine. This is unprecedented. We will go through with the opinion vote, Brussels and Kyiv will not decide over the heads… pic.twitter.com/3suG0IO1oA
— Zoltan Kovacs (@zoltanspox) May 13, 2025