In Italien leben sehr viele Wolfshunde. Doch die Behörden haben kaum Kenntnis über diese Tiere.
Wer hat Angst vor dem bösen Wolfshund? In Italien jedenfalls kaum jemand. Paaren sich ein Hund und ein Wolf, spricht man von einem Wolfshund oder, im Fachjargon, von einem Hybriden. Im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz, wo Wolfshunde abgeschossen werden, lebt man in Italien seit über 30 Jahren mit diesen Mischlingen zusammen. Meist paaren sich Wölfinnen mit Hunden. Die Welpen wachsen bei der Mutter auf und werden so durch das Wolfsrudel sozialisiert.
Italien hat mit zirka 3300 Tieren eine grosse Wolfspopulation. Zum Vergleich: In der Schweiz leben zirka 300 Wölfe, in Deutschland 1600. In Italien finden die Wölfe vor allem in den abgelegenen und entvölkerten Gebieten des Apennins ein ideales Habitat. Viele davon sollen allerdings keine «reinrassigen» Wölfe, sondern Mischlinge sein. Ist das ein Problem?
Hybride werden in Italien sterilisiert
Laut dem Biologen Luigi Molinari vom Wolf Apennine Center in den Abruzzen schwächen Hybride das Erbmaterial der Wölfe. Er sagt: «Hunde werden für diverse Zwecke gezüchtet, die alle nichts mit dem Leben in der freien Wildbahn zu tun haben.» Das führe dazu, dass die Nachkommen von Hund und Wolf tendenziell weniger geeignet seien, in der freien Wildbahn zu überleben.
Wegen des Artenschutzes werden in Italien daher alle Hybride gefangen genommen und sterilisiert, sofern sie entdeckt werden. Der Abschuss von Wölfen ist nach wie vor verboten, zumindest offiziell. Dennoch werden immer wieder Wölfe tot aufgefunden. Ein Drittel falle Wilderern zum Opfer, sagt Molinari.
Wie aber erkennt man einen Wolfshund? Hat ein Wolf auffällig schwarzgeflecktes oder sehr helles Fell, könne man von einem Hybriden ausgehen, sagt Molinari. Gewissheit geben jedoch nur genetische Analysen. In vielen Fällen sei von aussen ohnehin nicht erkennbar, dass es sich nicht um einen «reinrassigen» Wolf handelt. Und hat man tatsächlich ein Exemplar identifiziert, muss man es auch noch einfangen können. Wegen der grossen Wolfspopulation in Italien ist die Kontrolle eine Herausforderung.
Paarung mit streunenden Hunden
Wie viele der 3300 Wölfe Hybride sind, weiss man nicht. Das Phänomen wird erst seit kurzem studiert. Es gibt zudem auch keine landesweiten Untersuchungen, nur regionale. Molinari hat an einer Studie teilgenommen, die von der Römer Universität Sapienza für das Gebiet des Nationalparks im toskanischen Apennin durchgeführt wurde. Gemäss dieser Untersuchung sollen 70 Prozent der dortigen Population keine «reinrassigen» Wölfe sein.
Die Zahl muss laut dem Experten aber mit Vorsicht genossen werden, weil der Mindestwert an Hundegenen tief angesetzt wurde. Schon bei fünf Prozent Anteil am Gesamtgenom spricht man von einem Mischling. Laut Molinari sollte man bei einem schwachen Anteil an fremdem Genmaterial eher von Introgression sprechen, einem ganz natürlichen Vorgang zwischen Populationen verwandter Tierarten. Der Begriff bedeutet, dass die Paarung viele Generationen zurückliegt. Auch das Erbmaterial des Menschen trägt beispielsweise rund zwei Prozent Gene des Neandertalers in sich.
Der starke Zuwachs der Wölfe in Italien führte dazu, dass die Tiere heute auch am Rande von Siedlungsgebieten leben. Dort kann es sein, dass sie in Kontakt mit streunenden Hunden kommen. In ganz Italien leben laut Schätzungen über 350 000 Hunde ohne Halter. Diese paaren sich besonders häufig mit Wölfen. Aber auch Hunde, die trotz Halter frei herumlaufen, können zum Partner eines Wolfes werden.
Die Paarung geschieht meist im Februar oder März, wenn die Wölfe in der sogenannten Ranzzeit sind. In der Regel ist es die Wölfin, die sich mit einem männlichen Hund paart, selten geschieht es umgekehrt. Meistens handelt es sich um eine Einzelgängerin, die mangels Partner einen Hund akzeptiert. Es kommt auch vor, dass sich ein Hund einem geschwächten Rudel nähern kann. Normalerweise haben männliche Hunde keine Chance, sich in direkter Konkurrenz gegen einen Wolfsrüden durchzusetzen.
Nur ein Wolfshund ist in der Schweiz entdeckt worden
In der Schweiz ist bis anhin nur ein Hybrid entdeckt worden. Gemäss Sara Wehrli von Pro Natura war es ein Tier mit auffällig hellem Fell. Es wurde im Juni 2022 im Bündner Rheintal erlegt und stammte vermutlich aus einem bekannten Hybrid-Rudel, das zu dieser Zeit in Norditalien lebte. Wehrli sieht der Hybridisierungs-Thematik in der Schweiz eher gelassen entgegen. «Introgression zwischen nah verwandten Arten ist ein natürlicher Vorgang. Entscheidend ist, dass das Tier die ökologische Nische der Wölfe ausfüllt und sich auch wie ein Wolf verhält.»
Problematisch werde es, wenn der Genpool einer wildlebenden Tierart durch die Kreuzung mit Haustieren stark «verfälscht» werde. Es sei wichtig, bekannte Mischlinge aus der freien Natur zu entfernen, wie es in der Schweiz der Fall ist. Ängste hält Wehrli für unbegründet: «In der Schweiz gibt es weder Populationen streunender Hunde, noch lassen die bisherigen genetischen Analysen auf eine Hybridisierung bei den hiesigen Wölfen schliessen.»
Wehrli geht davon aus, dass sich Hybride ohnehin nicht durchsetzen würden – gerade, weil sie durch die Vermischung des Erbmaterials schlechtere Voraussetzungen hätten, sich in der freien Wildbahn zu behaupten.