Berlin hat eine grosse russische Diaspora, seit dem Ukraine-Krieg leben noch mehr Russen hier. Dabei wollen Exilanten und Putinisten nichts miteinander zu tun haben: Wie geht das im Alltag?
Auf dem Kurfürstendamm in Berlin hört man fast so viel Russisch wie Deutsch. Man trifft Russen vor den Schaufenstern der Luxusboutiquen. Sie sitzen vor russischem Zuckergebäck im Café Pavlova, dem eine Ballerina der 1920er Jahre den Namen gab. Auch die Kundschaft im Kaufhaus des Westens spricht häufig Russisch.
Berlin ist die russischste deutsche Stadt. Hier leben zwischen zweihundert- und dreihunderttausend Menschen russischer Herkunft. Seit Putins Überfall auf die Ukraine sind noch mehr Russen nach Berlin gekommen. Vor allem Intellektuelle, die Putins Regime öffentlich kritisieren und zu ihrer eigenen Sicherheit das Exil gewählt haben.
Den «Ostbahnhof Europas», so hat der Historiker Karl Schlögel die Stadt genannt in seinem Standardwerk über das russische Berlin. Im Kleinen wiederholt sich heute, was in den 1920er Jahren das Gesicht von Berlin verändert hat.
Während der Oktoberrevolution flüchteten mehr als 400 000 Russen nach Berlin, darunter viele Künstler und Schriftsteller wie Wladimir Nabokov oder Maxim Gorki. Viele liessen sich rund um den Kurfürstendamm in Charlottenburg nieder, dem wohlhabenderen Stadtteil im Westen, weshalb man auch von Charlottengrad sprach.
Heute heissen sie Viktor Jerofejew, Wladimir Sorokin, Maria Stepanova, Sergei Lebedew oder Ljudmila Ulitzkaja – die international erfolgreichen Schriftsteller, die in Berlin eine Wahlheimat gefunden haben. Hier leben sie neben Russen, die Putin bewundern oder die lieber schweigen. Das russische Berlin ist eine geteilte Stadt.
Kulturhaus von Moskau gesteuert
Ein Ort, an dem sich diese Trennung zeigt, befindet sich mitten in Berlin. Wenn man das Russische Haus in Berlin-Mitte betritt, geht es zuerst an einem Wachmann vorbei. Mit hängenden Schultern sitzt er an einem Tisch und schaut einen düster an. Man passiert einen Sicherheitsscanner und findet sich in einem riesigen Foyer. Mauern aus Sichtbeton, postsowjetische Wuchtigkeit.
Etwas wird einem hier schnell klargemacht: keine Fragen zum Krieg! Dafür sei die russische Botschaft zuständig. Stattdessen vergleicht man sich mit dem Goethe-Institut, das die heimische Kultur in die Welt hinaustrage. Das Haus unterhält eine Bibliothek, hier belegen die Kinder der russischsprachigen Diaspora Sprachkurse, es finden Konzerte statt, das hauseigene Kino zeigt Filme aus Russland.
Für die Exilanten ist das Haus zu einem Unort geworden. In einer Ausstellung im Foyer zum 40-Jahre-Jubiläum der Institution wird klar, warum. An eine Stellwand sind Zeitungsartikel gepinnt. «Putins Propaganda-Palast mitten in Berlin», lautet ein Titel. «Kreml-Propaganda-Zentrale darf einfach weitermachen», ein anderer.
«Filetstücke», steht über den kritischen Beiträgen. Man kann diesen Kommentar des Russischen Hauses nur sarkastisch verstehen.
Immer wieder gab es Forderungen, das Russische Haus zu schliessen. Ein Grünen-Politiker hat das Haus sogar angezeigt. Zu reden gaben propagandistische Filme und Ausstellungen, in denen die Ukrainer als Nazis dargestellt wurden. Die Proteste blieben erfolglos.
Beim Direktor Pavel Izvolskiy löst dies Genugtuung aus. Dennoch fühlt er sich unverstanden. Viele Medien hätten eine vorgefasste Meinung. Er merke das an ihren Fragen. Manchmal fragten sie, wo denn das Porträt des russischen Präsidenten hänge. Oder für welchen Geheimdienst er, Izvolskiy, arbeite. Er lächelt.
Izvolskiy war einst für ein Kernenergie-Unternehmen tätig. Er sitzt in seinem Büro an einem riesigen Tisch, der an die Tische erinnert, an denen Putin sitzt. Auf die Frage, wie sehr das russische Aussenministerium Einfluss nehme auf das Programm des Hauses, sagt er: Aus Moskau kämen bloss Vorschläge, entscheiden würden sie hier.
Helfen tut seine Beteuerung wenig, deutsche Kulturinstitutionen boykottieren das Russische Haus. Für eine Retrospektive des sowjetischen Filmemachers Andrei Tarkowski erhielten sie die Rechte für die deutschen Fassungen nicht. Die Stiftung Weisse Rose verweigerte die Zusammenarbeit für die gegenwärtige Ausstellung über den deutsch-russischen Widerstandskämpfer Alexander Schmorell.
Dabei bilde die Kultur doch gerade eine Brücke zwischen verschiedenen Ländern, sagt Izvolskiy. «Aber wie soll das gehen, wenn jetzt Kontakte abgebrochen werden?»
Um sein Kulturverständnis zu veranschaulichen, zitiert Izvolskiy ausgerechnet den Satz «Unwissenheit ist Stärke» aus «1984»: In George Orwells dystopischem Roman über den Stalinismus ist dies die Parole der Partei, die die Bevölkerung kontrolliert und unterdrückt. Wer unwissend sei, könne leicht manipuliert werden, sagt Izvolskiy. Wer hingegen ein Kulturverständnis habe, bilde sich seine eigene Meinung, er könne einordnen, was gut und was schlecht sei, und entziehe sich so der Kontrolle. «Die Leute, die unser Haus angreifen, sind absolut ignorant.»
Was sagt er denn zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine? «Ich warte darauf, dass es Frieden gibt», sagt Izvolskiy nur. «Wenn jetzt Mauern hochgezogen werden, müssen wir uns umso aktiver darum bemühen, miteinander in Verbindung zu bleiben.» Im Übrigen gehörten auch viele Ukrainer zu den Gästen des Hauses. Stimmt das?
Wenig später findet im Russischen Haus ein Klavierkonzert der Petersburgerin Elena Büchel statt. Im Publikum sitzt auch die Ukrainerin Valeria, die vor dem Krieg geflüchtet ist und ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie habe als Musiklehrerin in Charkiw gearbeitet. Mehr will sie nicht sagen.
Auch Anna und Slava kamen zum Konzert, sie Russin, er Ukrainer. Sie leben schon länger im Ausland. Ihre Tochter im Kindergartenalter nimmt im Russischen Haus Deutschunterricht. Sie lehnen den Krieg ab und haben grösste Mühe mit Putin. Trotzdem blieben sie mit der russischen Kultur verbunden, sagt Anna. Hier lägen ihre Wurzeln. Sie müsse dies immer wieder auch gegenüber den Verwandten in Russland betonen, die in ihr wegen ihrer kritischen Haltung eine Verräterin sähen.
Selbst die Opposition ist zerstritten
Der Schriftstellerin und Journalistin Irina Rastorgujewa muss man nicht mit Kulturvermittlung kommen. Man trifft sie an der Buchmesse für russischsprachige Literatur, die zum ersten Mal in Berlin stattfindet. Wer nur noch im Exil oder unter Pseudonym publizieren kann, glaubt nicht an irgendeine Form von Verständigung.
In ihrem jüngsten Buch «Pop-up-Propaganda» bezeichnet Rastorgujewa das Geschehen in Russland als «dystopischer Roman mit Elementen des Absurden oder als Lehrbuch der Psychiatrie». Sie weiss nicht, ob sie je nach Russland zurückkehren kann, wo sie Familie und Freunde hat.
Bei einem Glas Wein draussen sagt die 41-Jährige, während sie den Mantel eng um sich zieht: «Das russische Exil bildet die zersplitterte russische Gesellschaft ab. Die verschiedenen Milieus überschneiden sich kaum.»
Wer politisch aktiv sei, müsse befürchten, dass dies der zurückgelassenen Familie schaden könnte. Viele Emigranten zögen es daher vor, zu schweigen und ein normales Leben zu führen. «Sie passen sich den Deutschen an und wollen keinen Kontakt zu anderen Russen.» Andere hälfen ukrainischen Flüchtlingen. Oder schrieben Briefe an politische Gefangene in Russland und versuchten so, etwas im Kleinen zu bewirken.
Einen Austausch gebe es vor allem dort, wo Interessen zusammenträfen – wie jenes für Literatur an der Buchmesse. «Letztlich ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Selbst die Widerständigen kapseln sich ein.»
Auch deshalb fehlt der russischen Protestkultur im Exil die Einigkeit. Die Opposition ist gespalten. Der Kremlkritiker Alexei Nawalny, der 2024 in einem Straflager starb, unterstützte die Annexion der Krim. Bei vielen Exilanten ist er deswegen schlecht angesehen. Anti-Kriegs-Märsche der Opposition in Berlin widerspiegeln dieses Bild. Die Teilnehmerzahl bleibt überschaubar.
Manche fordern nur den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Für andere ist dies zu wenig: Sie kämpfen auch für militärische Unterstützung und Waffenlieferungen für die Ukraine. Julia Nawalnaja wird kritisiert, da sie nur von Putins Krieg statt von der kollektiven Schuld der Russen spricht. «Sie geben Putin allein die Schuld für den Krieg und weigern sich, über die Millionen Russen zu sprechen, die die Morde an den Ukrainern unterstützen», sagt Irina Rastorgujewa.
Nichts am Hut mit Wichtigtuern
Der russische Schriftsteller Sergei Lebedew hält diesen Oppositionellen vor, sie hätten ihre politische Karriere im Kopf, glaubten an eine Rückkehr nach Russland und wollten die Leute dort, ihre potenziellen späteren Wähler, nicht verärgern.
Lebedew nimmt nie an Veranstaltungen der russischen Opposition teil. Diese sei ihm zu russlandfreundlich. Er sagt auch widerwillig ein Gespräch zu. Eigentlich habe er zu alldem nichts zu sagen. Schliesslich sitzt er doch vor einem Kaffee, zieht an seiner Zigarette, holt tief Luft, was wie ein Seufzen klingt, holt aus.
Der 43-Jährige beklagt die «moralische Apathie» der Russen. Es gebe keine Tradition des Widerstands. Man gäbe sich lieber in die Hand eines Führers, statt selber nachzudenken, wie es eine Demokratie erfordert. Das sei halt aber anstrengender.
Lebedew findet zwar, jeder, der frei sprechen könne, müsse seine Stimme erheben. Sich mit anderen Künstlern zusammenzuschliessen, das interessiere ihn aber nicht. Es gebe zu viel Wichtigtuerei. Dafür fehle der Wille zu Selbstkritik.
«Die russische Kultur ist eine Kultur der Dissidenten, der Schriftsteller und Künstler, die gegen die Regierung sind», sagt er. «Das kulturelle Emigrantenmilieu kennt viele Nuancen, doch kaum jemand hält die russische Kultur für mitschuldig am Zustand des Landes.» Erst langsam schwinde der Widerstand, sich auch mit der «gewalttätigen, kolonialen und imperialen DNA» der russischen Kultur zu befassen.
Begegnet er auch Russen, die Putin in irgendeiner Weise bewundern? Denen weiche er aus, sagt er. «Ich kenne keine Putin-Freunde. Ich bewege mich in einem Kreis, in dem sie einfach nicht existieren.»
Auch Irina Rastorgujewas Toleranz mit Andersdenkenden kennt Grenzen. Für die «Berliner Zeitung», für die sie lange eine Kolumne geschrieben hat, schreibt sie derzeit nicht. Das Blatt sei ihr zu Putin-freundlich und zu gleichgültig gegenüber dem Krieg.
Wie gerufen fährt auf der Strasse Unter den Linden ein kleiner Velo-Umzug vorbei, mit flatternder Regenbogenfahne und «Peace»-Zeichen darauf, dazu laute Musik. Sie demonstrieren für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine.
Wann immer sie solche Umzüge sehe, werde sie wütend, sagt Rastorgujewa. Die Ukraine habe ein Recht auf Selbstverteidigung, sage sie den Pazifisten und gebe sich streitlustig. «Es artet immer aus.»
«Ach Scheisse!»
Gestritten wird auch an einem Samstagmorgen vor dem Supermarkt Rossija in Charlottenburg, ein Mann und eine Frau brüllen sich auf Russisch an, als nahe das Ende der Welt.
Das Rossija verkauft russische Spezialitäten, hier findet man gezuckerte Kondensmilch, Kaviar, Birkensaft aus Sibirien, Wodka. Das Geschäft ist rund um die Uhr geöffnet, sieben Tage die Woche. Unter der nahen Eisenbahnbrücke türmt sich der Müll, Obdachlose haben hier ihr Schlaflager eingerichtet. Sie decken sich im Rossija mit billigem Alkohol ein, sonst trifft man zwischen den engen Regalen fast nur russischsprachige Kundschaft an.
Auskunft geben will niemand. Sobald sie merken, dass eine Journalistin fragt, verstummen sie. Ein glatzköpfiger Hüne bewacht den Eingang, es werde viel gestohlen, sagt er. Er stellt sich als Ahmed vor. Als das Gespräch auf den Ukraine-Krieg kommt, sagt er «Ach Scheisse» und läuft davon.
Angestellte des Rossija wurden auch schon von ukrainischen Passanten angepöbelt und gefragt, warum sie den Namen Rossija nicht auswechselten. Viele Russen seien es leid, sich ständig zum Krieg verhalten zu müssen, hört man oft, sie wollten sich nicht kollektiv schuldig fühlen. Es lässt sich gut nebeneinanderher leben, solange man sich nicht zu erkennen gibt.
Kaminers gesäuberte «Russendisko»
Wladimir Kaminer lässt die Weigerung zum Gespräch nicht gelten. Der 57-jährige Schriftsteller fühlt sich mitverantwortlich für den Ukraine-Krieg, obwohl er seit über dreissig Jahren in Berlin lebt. Als unter Gorbatschow Reisen möglich wurde, folgte er der Einladung der DDR-Regierung, welche jüdische Bürger aus der Sowjetunion willkommen hiess und die Flüchtlinge umstandslos anerkannte. Ein Privileg, das bei heutigen russischen Exilanten, die den deutschen Pass beantragen, Neid weckt.
Über seine Ankunft in Deutschland schrieb Kaminer im Jahr 2000 den Bestseller «Russendisko». So hiess auch die wilde Party, die er in Berlin veranstaltete und die stadtbekannt wurde. Heute lädt er noch einmal im Jahr dazu ein. Bloss hat er das Programm politisch gesäubert: Die Musik von Putin-Unterstützern hat er rausgeschmissen. Oder von denen, die schweigen. «Die sind noch schlimmer.»
Nicht erst seit Putin an der Macht sei, würde die russische Bevölkerung manipuliert. «Die Machthaber haben das Volk schon vorher als Eigentum betrachtet. Ich wurde hineingeboren in ein blutrünstiges System, das uns verschlucken wollte», sagt er, während er in einem Lokal namens «Rechts vom Fischladen» eine Fischsuppe isst, die so scharf ist, dass er sich mit einem Taschentuch den Schweiss von der Stirn wischt. Oder er schwitzt, weil er beim Erzählen so in Fahrt kommt.
Kaminer hat keinen engen Draht zur russischen Diaspora. Er kommt schon ins Philosophieren, wenn von «Russen» die Rede ist. Wer ist damit gemeint? Er bedaure vor allem die junge Generation von Russen, die nur temporär in Berlin bleiben und zurückgehen wolle, sobald der Krieg beendet sei. Sie glaubten den Älteren wie ihm nicht, die ihnen sagten: Vergesst es, das Land ist verloren, es gibt keine Rückkehr, keine liberalen Intellektuellen werden je in Russland regieren. «Aber junge Menschen sind grundsätzlich optimistisch, die wollen das nicht hören.»
Immer wieder lässt Kaminer seinen spöttischen Humor aufblitzen. So erzählt er von den russischen Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten, die in Charlottenburg fast jede zweite Praxis betreiben, was sich an den Klingelschildern ablesen lässt. Die Russen trauten deutschen Ärzten nicht, sagt Kaminer: Ein Arzt müsse gut Russisch sprechen, «sonst kann er die Tiefe ihres Leidens nicht nachvollziehen».
Wer den Dialog sucht, macht sich verdächtig
An wenigen Orten kommen sich ein Putinist und ein Putin-Hasser so nahe wie in einer Arztpraxis. Hier merken sie vielleicht auch, was sie verbindet: verletzlich zu sein. Russische Ärzte in Berlin behandeln seit dem Krieg auch viel mehr Ukrainer, weil sie dieselbe Sprache sprechen. Wer ein Problem mit ihr als Russin habe, konsultiere sie wohl nicht, sagt eine Hausärztin, die ursprünglich aus St. Petersburg kommt. Die meisten Patienten seien bloss dankbar, dass sie ihnen helfe.
An einem weiteren Ort zeigt sich, wie heterogen die Gemeinschaft der emigrierten Russen ist, und dass verschiedene Ansichten kein Problem sind, solange sie nicht zur Sprache kommen. Die Kulturwissenschafterin Swetlana Suslowa trifft man am Ostermontag in einer Kathedrale in Charlottenburg. Sie trägt Rot, knallig wie ihr Lippenstift und symbolisch für das Blut Christi und das Leben. Für die Messe bindet sie sich wie die meisten Frauen ein Kopftuch.
Suslowa heisst richtig anders. Die 39-Jährige verurteilt Putins Überfall auf die Ukraine. Mit voller Härte urteilt sie aber nicht über ihre Heimat. Man spürt ihre Angst. Sie habe eine innerliche Wende gemacht, sagt sie nur: Sie möchte die russische Zivilgesellschaft unterstützen. Sie zitiert Konrad Adenauer: «Demokratie braucht Demokraten.»
Für Suslowa ist die Kritik an Russland, so verhalten sie sie formuliert, mit der Praktizierung ihres Glaubens vereinbar. Sonst müsste sie stören, dass das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, der Patriarch Kyrill I., ein ehemaliger KGB-Agent, den Kreml vorbehaltlos unterstützt.
Lieber setzt sie sich für Verständigung ein. Sie hat mit ihrem Unternehmen ein Programm entwickelt, um Leute mit anscheinend unversöhnlichen Positionen ins Gespräch zu bringen, das sie auch Firmen anbietet zwecks Teambildung. Dahinter stehe auch ihre persönliche Erfahrung, sagt sie. Sie habe Anfang des Krieges sehr gelitten. Die vergifteten Diskussionen mit ihren russischen Freundinnen, zu merken, dass man das Thema Russland besser meidet.
Suslowas Eltern leben in Sibirien. Weil sie sich nicht nach Russland getraut, trifft sie sie meistens in der Türkei. Aber auch die Kompromisslosigkeit von Putin-Kritikern beschäftigt sie. «Wenn ich sage, ich suche den Dialog und man solle niemanden davon ausschliessen, ist das für viele schon ein Problem.»
Sie selbst hat keine Scheu, mit einer Kirchengängerin mittleren Alters zu sprechen, die nur Olga genannt werden will. Oppositionelle wie Irina Rastorgujewa oder Sergei Lebedew hielten Olga wegen ihrer unbeirrten Parteinahme für Putin wohl für verloren.
Olga ist Mitglied des Deutsch-Russischen Forums, eines Vereins, dem Leute aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft angehören und der sich um einen Austausch zwischen den beiden Ländern bemüht. Seit dem Angriff auf die Ukraine streiten sich seine Mitglieder um die Ausrichtung. Soll man die Beziehung zu Russland abbrechen? Oder versteht man sich weiterhin als Brückenbauer? Reicht es schon, alle Parteien zur Beendigung des Krieges aufzufordern? Nein, finden viele.
Olga sieht es so: Der Angriff auf die Ukraine sei berechtigt, sagt sie. Putin habe nichts gegen die Ukrainer. Sondern Ziel der militärischen Intervention seien «terroristische Objekte». Schuld am Konflikt sei die Nato-Osterweiterung, Russland verteidige sich bloss. Wenn der Westen die Ukraine nicht mit Waffen unterstützen würde, gäbe es nicht so viel Leid auf beiden Seiten und könnte der Krieg enden. Der Westen habe eine komplett einseitige Sicht. Sie müsse jetzt aber gehen, sagt sie und steht auf.
Nach der Messe, in der viel gesungen und Weihrauchfässer geschwungen werden, zeigt Suslowa auf einen Mann: der russische Botschafter. Die Priester hätten ihn namentlich begrüsst. Sie fand das unnötig, eine Politisierung der religiösen Feier.
Nichts hält sie hingegen zurück, Blumen am sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten nahe dem Brandenburger Tor niederzulegen, wie sie erzählt: für die Soldaten, die hier für den Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland gefallen sind.
Ginge es wiederum nach Sergei Lebedew, dem Schriftsteller, liesse er den überlebensgrossen Soldaten aus Bronze niederreissen, um den Mythos von den Befreiern, die er Besatzer nennt, zu entlarven.
Damals teilten sie die Stadt. Heute prägen die geteilten Russen Berlin.