Das kreative Trio sorgte mit spektakulären Ausstellungen und Riesenskulpturen für Aufsehen. Unter der Kuppel des Grand Palais in Paris wird der drei Kunst-Freunde in einer grossen Ausstellung gedacht.
Sie passieren nicht alle Tage, doch jeder weiss: Begegnungen können Leben entscheidend verändern und Energien freisetzen. Ein Paradebeispiel ist das geradezu legendäre Zusammenkommen dreier Geistesverwandter, die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben haben: Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle und Pontus Hulten.
«Salut, Pontus», schrieb die Französin Niki de Saint Phalle in den sechziger Jahren in einem ihrer nach Stockholm geschickten, an Skizzen reichen Briefe: «Die Ausstellung von Jean war grossartig. Sehr sexy. Eine Maschine hat mich den ganzen Nachmittag über regelrecht erregt. Das ist wirklich Pornographie!»
Die in den USA aufgewachsene Künstlerin war mittlerweile mit dem in Paris ansässig gewordenen Schweizer Jean Tinguely liiert und dachte gar nicht daran, sich gegenüber dem schwedischen Museumsdirektor Pontus Hulten gewählter auszudrücken. Die drei waren seit einiger Zeit befreundet und im Kampf gegen den Muff der späten Nachkriegszeit eng verbündet. Sie zogen an einem Strang und zeigten gemeinsam entwickelte Projekte in provozierenden, geradezu ketzerisch antibürgerlichen Ausstellungen.
Ihre Verbindung reicht ins Jahr 1954 zurück, als sich Jean Tinguely und Pontus Hulten in Paris kennenlernten. Hier hatte Tinguely seine erste Einzelausstellung, und Hulten war unter den Besuchern. Nur wenige Monate später schleuste Hulten, der sich auf Anhieb für Tinguelys Kunst begeisterte, Werke von ihm nach Stockholm. So begann eine lebenslange, von ununterbrochenen Dialogen über Kunst und Gesellschaft geprägte Freundschaft.
1960 stiess Niki de Saint Phalle hinzu – Tinguelys Gefährtin, später zweite Ehefrau –, und aus der Formation wurde ein enorm produktives und kreatives Trio, das immer wieder für Aufsehen sorgte. Tinguely thematisierte mit abenteuerlich wirkenden Apparaturen die Bewegung, Niki de Saint Phalle stellte das Frausein und die Farbe in den Mittelpunkt ihres Schaffens, und Hulten sorgte dafür, ihre – mitunter ephemeren – Resultate öffentlich zur Diskussion zu stellen.
Niki de Saint Phalle während der Schiessübung in Stockholm am 14. Mai 1961; Jean Tinguelys «Cyclograveur» (1960) im Moderna Museet, Stockholm, 1961.
Ein Kunst-Biotop
Ihnen und den zentralen Etappen ihrer Kooperationen gilt jetzt eine grosse, faszinierende Schau in Paris, die sich als Auftakt einer Serie von Ausstellungen des Musée national d’art moderne im Grand Palais versteht. Denn die Räumlichkeiten des Museums in seinem Stammhaus, dem Centre Pompidou, sind wegen dessen Sanierung bis 2030 eine Baustelle. Das seinerseits frisch sanierte Ausweichquartier zwischen Seine und Avenue des Champs-Élysée ist bekanntlich seit Jahrzehnten mit bedeutenden Expositionen hervorgetreten und für seine lichte, überkuppelte Halle bekannt.
Jean Tinguely: «Sculpture méta-mécanique automobile», 1954; Niki de Saint Phalle: «Le monstre de Soisy», um 1966.
Jean Tinguely (1925−1991), den seine knatternden, Geräusche erzeugenden Maschinen bekannt machten, und Niki de Saint Phalle (1930−2002), die mit farbenfrohen Skulpturen zu einem Begriff wurde, werden dabei nicht langatmig vorgestellt. Doch weil nur noch wenigen geläufig ist, wer Pontus Hulten (1924−2006) war, nämlich ein Museumsmann, erfährt man, dass er sich nach dem Studium der Kunstgeschichte und der Ethnografie anfangs auch als Maler abstrakter Bilder betätigte und Experimentalfilme drehte.
Hulten konzentrierte sich schliesslich auf eine 1949 mit punktuellen Werkverträgen begonnene Laufbahn am schwedischen Nationalmuseum. 1958 übernahm er die wissenschaftliche Leitung des Moderna Museet, dessen Direktor er 1963 wurde. Sein pluridisziplinäres und antielitäres Programm machte international Schule. Wichtig war ihm auch eine deutlich verstärkte Ankaufstätigkeit, die nicht zuletzt der Kunst von Freunden wie Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle galt.
Das Künstlerpaar lebte und wirkte damals in der Pariser Impasse Ronsin, einer Insel von Kreativen im Pariser Häusermeer der Rive gauche. Hier hatte bereits Constantin Brancusi seine Werkstatt. Fotos der Ateliersiedlung und des Hofs erinnern an das, was im Berlin der achtziger Jahren in Kreuzberg oder später am ruinösen Tacheles der Oranienburger Strasse zu sehen und zu erleben war: ein wie vom Zufall bestimmt wirkendes Kunst-Biotop.
Jean Tinguely in der Pariser Impasse Ronsin, Aufnahme von 1960; Niki de Saint Phalle: Tir, séance», 1961, diverse Objekte und Farbe auf Holz.
Von Tinguely, der im Hof inmitten von Materialien und Gerümpel aller Art seine Apparaturen konstruierte, bevor er mit Saint Phalle in ein Dorf südlich von Paris zog, zeigt das Grand Palais nun teils kleinere, teils raumgreifende Maschinen. Mehr noch, es bringt viele von ihnen zum Laufen, wenn auch, wegen ihres Alters und ihrer Fragilität, nur alle paar Minuten und für wenige Augenblicke.
Dazu gehören eine «Méta-Matic»-Apparatur, die er 1959 konzipiert hat, um unter Publikumsbeteiligung Zeichnungen hervorbringen zu lassen, oder «Le Soulier de Madame Lacasse», der 1960 dem Schuh einer Ronsin-Nachbarin zu einer neuen Karriere verhalf. Höhepunkt der Schau ist seine klassenzimmergrosse Assemblage «L’enfer, un petit début» von 1984, eine veritable Höllenmaschine, die mithilfe von Motoren, Räderwerk und Keilriemen allerlei kuriose Fundstücke in Bewegung setzt, kakofone Töne und Lärm erzeugt und ein Spektakel ohnegleichen abgibt.
Niki de Saint Phalle: «L’accouchement rose», 1964, Gibs, Farbe, verschiedene Objekte; Kolorierte Fotografie von «Hon», 1979.
Monster und «Nanas»
Niki de Saint Phalle war stets ebenbürtige Partnerin, blieb aber ihren eigenen Ausdrucksmitteln treu, nicht erst seit Hulten 1966 im Moderna Museet ihre Installation «Hon – en katedral» präsentierte: eine Art gigantische, auf dem Rücken liegende und schwangere Puppe mit angewinkelten, gespreizten Beinen. Eingang der begehbaren Monumentalskulptur vom Typus der «Nana», die die Künstlerin im Vorjahr zu entwickeln begonnen hat, war der Bereich, auf den Gustave Courbet mit seinem Gemälde «Ursprung der Welt» fokussierte.
Wer prüde war – und das waren in jener Zeit nicht wenige, manche kamen ja auch mit ihren Kindern –, musste sich einen Schubs geben, um durch den unmissverständlich die Vagina bezeichnenden Eingang ins Innere zu gelangen, um dort weitgehend von Tinguely ersonnene Überraschungen zu erleben.
Als Hulten 1977 an das neu erbaute Centre Pompidou wechselte, dessen erster Direktor er wurde, stellte er die beiden Kunstschaffenden erneut aus. Für die Eingangshalle entwickelten die Freunde die Installation «Le Crocrodrome de Zig et Puce», ein riesiges, animiertes Monster, bei dem erneut auf Publikumsbeteiligung gesetzt wurde, um Besucher eine Alternative zu passiver Kunstkonsumhaltung zu bieten. 1983 nahm dann am seitlichen Vorplatz, hin zur gotischen Kirche Saint-Merry, deren «Fontaine Stravinsky» Gestalt an.
Nach Tinguelys Tod blieb Hulten bei sämtlichen laufenden Vorhaben kenntnisreicher Berater und aktiver Partner der Witwe, gleichgültig, ob er mittlerweile in Venedig oder Bonn wirkte. Niki de Saint Phalle sorgte mit seiner Unterstützung nicht nur dafür, das Museum Tinguely in Basel zu verwirklichen. Am Herzen lag ihr auch die Vollendung der Monumentalplastik «Le Cyclop» im Wald von Milly-la-Forêt bei Fontainebleau.
Nobilitiert wurde das auf einer kleinen Lichtung wiederum im Kollektiv entstandene einäugige Ungeheuer dadurch, dass es in staatliche Obhut gelangte. Und die Zusammenarbeit des Trios dadurch, dass Niki de Saint Phalle und Pontus Hulten sogar Staatspräsident François Mitterrand zu einem Besuch in den Wald locken konnten.
«Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, Pontus Hulten». Grand Palais, Paris, bis 4. Januar 2026, Katalog: 45 Euro.