Christian Martin, der Präsident der Kommunikationskommission, findet Datennetze wichtiger als Autobahnen oder Tunnel. Die Branche habe aus dem schwierigen 5G-Ausbau gelernt, sagt er mit Blick auf die mögliche Nutzung eines umstrittenen neuen Frequenzbereichs: der Millimeterwellen.
Herr Martin, wir treffen Sie am Sitz Ihrer Firma in Nänikon, Zürich, und nicht in einer Beamtenstube in Bern. Der Schweizer Telekomregulierer arbeitet nur in einem Teilzeitpensum. Wir finden das speziell.
Ja, der Comcom-Präsident hat ein 60-Prozent-Mandat. Natürlich fällt der Aufwand übers Jahr gesehen nicht gleichmässig an. Bei einer Mobilfunk-Frequenzvergabe ist er höher und jetzt in einer Anfangsphase ebenfalls. Ich habe viele Kennenlerntermine, auch mit Kollegen in internationalen Organisationen.
Was haben Sie für ein Standing in europäischen Gremien als Vertreter der Schweiz?
Als Telekomregulatoren geht es uns etwas besser als der Elektrizitätskommission, die gar nicht mehr an den Treffen der EU-Strombehörden teilnehmen kann. Wir sind an den Sitzungen noch dabei – auch wenn wir in gewissen Momenten den Raum verlassen müssen. Nun, da die Schweiz wieder über verschiedene Abkommen verhandeln will, sehen wir wieder mehr Bereitschaft für eine Zusammenarbeit.
Christian Martin
Präsident der Kommunikationskommission
Christian Martin ist seit Anfang Jahr Comcom-Präsident, zuvor war er einfaches Mitglied dieser Behörde. Daneben führt er aber auch seine eigene Firma, die Martin Engineering AG. Sie entwickelt und vertreibt Software für die digitale Verwaltung von Zahnarztpraxen. Den Grossteil seiner beruflichen Karriere verbrachte der Elektroingenieur bei Cisco, deren Schweiz-Chef er auch war. Von 2020 bis 2022 leitete Martin das Cloud-Geschäft von Google in der Schweiz und in Österreich.
Lassen Sie uns raten: Sie sind der einzige Teilzeitregulator in Europa.
Ja, ich bin ein totaler Exot. Wir sind sieben Personen und ein paar Spezialisten beim Bundesamt für Kommunikation, die Behörden anderer europäischer Länder zählen meist mehrere hundert Mitarbeiter. Die Schweiz hat einen Regulierungsansatz gewählt, den es im Ausland so nicht gibt: Wir greifen nicht vorab in den Markt ein, sondern werden nur aktiv, falls dieser nicht funktioniert. Das ermöglicht einen sehr schlanken Set-up, der mir persönlich sehr entspricht. Sonst hätte ich wohl nicht Ja zu diesem Amt gesagt.
Der Bundesrat hat im Dezember eine sogenannte Gigabit-Strategie beschlossen, die gewährleisten soll, dass die Bevölkerung in der ganzen Schweiz sehr schnelle Internetverbindungen hat. Wie finden Sie das?
Ich finde es super, dass es diese Gigabit-Strategie gibt. Sie ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz extrem wertvoll. Datennetze sind aus meiner Sicht sogar wichtiger als Autobahnen oder Tunnel. Das sehen aber nicht alle so: Ich bekomme oft die Frage, wofür es überhaupt superschnelles Internet brauche.
Ja, wofür braucht es das?
In meinem Unternehmen gibt es zum Beispiel Anwendungen, die wir lieber zentralisieren würden, etwa das Betreiben von Röntgenbilder-Applikationen mittels eines Cloud-Servers. Aber das ist aufgrund der fehlenden Bandbreiten gar nicht möglich. Andere datenintensive Anwendungen, etwa im Bereich KI oder Virtual Reality, stehen noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Steht genügend Bandbreite zur Verfügung, dann entstehen tausend neue Geschäftsideen, und das ist enorm wichtig für die Innovationskraft der Schweiz.
Eine andere Frage ist jene der Finanzierung. Der Bundesrat geht da neue Wege und zöge gerne Mittel aus künftigen Vergaben von Mobilfunkfrequenzen heran – für schnelles Internet in jenen Randgebieten, die nicht gewinnbringend erschlossen werden können. Gerät die Comcom so unter Druck, möglichst hohe Einnahmen bei der Versteigerung von Frequenzen zu erzielen?
Grundsätzlich haben wir als Comcom natürlich nicht den Auftrag, eine Breitbandstrategie zu finanzieren, sondern eine gute Allokation der knappen Ressource Mobilfunkspektrum zu organisieren. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir unter Druck stehen, die Einnahmen aus Vergaben zu maximieren. Es ist sogar eine positive Nachricht, dass Gelder, die der Bund mit der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen einnimmt, neu zweckgebunden für die Investition in die Telekominfrastruktur verwendet werden sollen.
Der Bundesrat rechnet mit einem Mittelbedarf bis zu 750 Millionen Franken. Damit erzeugt die Gigabit-Strategie schon ein bisschen Druck auf Sie, oder?
Ich empfinde es nicht so. Die geschätzten Kosten für die Gigabit-Strategie sind etwa in der Grössenordnung der Mindestpreise für alle Frequenzen in den beiden Auktionen von 2012 und 2019 zusammen. Auch könnte die Comcom eine Rolle bei der Koordination der Gigabit-Strategie spielen, damit nicht ein Flickwerk aus tausend kleinen Netzen entsteht.
Sie haben also eine Idee, wie man so etwas umsetzen könnte?
Ja, wir haben uns ein paar sehr interessante Fälle im Ausland angeschaut, wie dort der Hochbreitbandausbau in dünn besiedelten Regionen gefördert wird.
Wollen Sie noch einmal einen runden Tisch mit allen Telekomfirmen organisieren, so wie das die Comcom vor zehn Jahren beim Glasfaserausbau gemacht hat?
Nicht unbedingt. Das damals beschlossene Mehrfasermodell funktioniert aus meiner Sicht gut und bedarf keiner Revision. Es gäbe aber andere Massnahmen, um die Ausbaukosten zu senken: Wir haben in der Schweiz Tausende von Kabelkanälen von Bahnbetrieben, Elektrizitätswerken und anderen Akteuren. Aber die sind in keinem zentralen Register eingetragen. Das führt dann zu der absurden Situation, dass eine Firma die Strasse aufbohrt und wieder schliesst, und zwei Monate später eine andere Firma genau das Gleiche noch einmal macht. Das könnten wir weitgehend vermeiden.
Dazu kommt: Die Branche beklagt sich regelmässig über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Swisscom.
Es gibt den Glasfaserstreit zwischen Init7 und der Swisscom über die Ausbauarchitektur. Ich hoffe auf einen baldigen Richterspruch der Weko und somit auf Rechtssicherheit. Dann sollten sich wieder alle Akteure zusammenraufen und ihren Glasfaserausbau miteinander koordinieren. Für die Schweiz ist es wichtig, möglichst schnell eine möglichst breite Abdeckung zu erreichen. Denn bei den Glasfasern sind wir nur europäisches Mittelmass.
Auch die Neuvergabe der Frequenzen kommt bald auf Sie zu. Die Nutzungsrechte laufen ja 2029 aus.
Ja, die Kronjuwelen der Frequenzen werden neu vergeben. Wir wollen die Vergabe schon 2027 durchführen, damit die Firmen hinterher genügend Zeit haben, um sich zu organisieren.
Zusätzlich zum bestehenden Spektrum sollen neue Frequenzen verfügbar werden. Braucht es diese aus Ihrer Sicht, damit die Telekomanbieter genügend Kapazitäten bereitstellen können?
Es könnten spannende neue Frequenzen verfügbar werden. Wie gross das Interesse daran ist, werden wir bis zum 26. Februar wissen. Dann geht die öffentliche Konsultation zu Ende. Ich gehe davon aus, dass die Telekomfirmen diese zusätzlichen Frequenzen beanspruchen möchten. Denn der Bedarf an zusätzlicher Bandbreite steigt steil an.
Das sind einerseits die Frequenzen im Bereich 6 Gigahertz. Sie werden im Moment allerdings noch anderweitig verwendet.
Sie werden heute für Richtfunk und Satellitenkommunikation und für Wi-Fi in den USA benutzt. Wir führen jetzt zwar eine Bedarfsabklärung durch, aber parallel dazu läuft auch die ganze Harmonisierung noch – also die Frage, ob diese Frequenzen in Europa überhaupt für den Mobilfunk freigegeben werden. Davon gehe ich aber aus.
Anderseits geht es um sogenannte Millimeterwellen, die in anderen europäischen Ländern zum Teil schon genutzt werden. Diese wecken neue Ängste bei 5G-Gegnern, denn Millimeterwellen haben andere Eigenschaften. Wenn sie auf die Haut treffen, erwärmt sich diese. Ginge dann nicht das ganze Einsprachetheater wieder von vorn los?
Die Mobilfunkgegner sind extrem gut organisiert, und die Nutzung von Millimeterwellen für den Mobilfunk ginge sicher nicht geräuschlos über die Bühne. Aber die Branche hat aus dem schwierigen 5G-Ausbau gelernt, und die Kantone haben für die Antennenbewilligungen mehr Rechtssicherheit. Zusätzlich macht das Bundesamt für Umwelt Studien über mögliche Auswirkungen auf die menschliche Haut und auf Insekten. Dazu muss man allerdings anfügen: Diese Millimeterwellen stoppen an der Haut und werden schon heute verwendet.
Wo denn?
Etwa bei der automatischen Türöffnung in Warenhäusern oder bei Parksensoren in Autos. Ich weiss nicht, ob sich die Leute dessen bewusst sind.
Für welche Anwendungen könnten Millimeterwellen im Mobilfunk denn gebraucht werden?
Da bin auch ich gespannt. Grundsätzlich ermöglichen sie sehr schnelles Internet, aber nur auf Sichtdistanz. Dafür kann man aber auch Wi-Fi verwenden, ohne regulatorische Auflagen erfüllen zu müssen. Einen Wi-Fi Access Point darf jeder ohne Bewilligung aufstellen.
Naheliegend wäre wohl ein Einsatz in Sportstadien.
Genau, in Fussballstadien etwa, bei Gaming-Events oder für die Steuerung von Industrierobotern. Andere Anwendungen sehe ich persönlich nicht, darum bin ich sehr gespannt auf das Feedback der Telekomanbieter. Die grosse Angst der Mobilfunkgegner ist natürlich, dass es flächendeckend neue Sender geben könnte. Solche Frequenzen werden aber eher punktuell eingesetzt.
Täuscht der Eindruck, oder sind das Bundesamt für Kommunikation und die Telekomfirmen sehr darauf bedacht, das Thema Millimeterwellen so diskret wie möglich zu behandeln? Weil sie keine schlafenden Hunde wecken wollen?
Bisher sprach man aus meiner Sicht wenig darüber, weil keine Nachfrage da war. Aber der Bundesrat hat in einem Bericht vom letzten November klargemacht, dass er diese Frequenzen nur zur Verfügung stellen werde, wenn die Telekomfirmen einen Bedarf anmelden. Und er unterstützt Studien, um die Wirkung von Millimeterwellen zu erforschen. Es wird aber immer Leute geben, die auch der Wissenschaft nicht glauben.
Was hat die Branche aus der missglückten Einführung von 5G gelernt?
Die Erkenntnis aus der letzten Versteigerung ist sicher, dass sehr viel zurückhaltender kommuniziert werden sollte. 5G ist ja mehr eine Evolution von 4G und keine Revolution. Der Tenor in der Branche ist, dass das übertriebene Marketing beim Ausbau sicher nicht geholfen hat. Für die Behörden ist eine Lehre daraus, dass die Rahmenbedingungen früher klar sein sollten.
Bei der letzten Vergabe war das nicht der Fall.
Das lief sehr unglücklich. Die Telekomanbieter bezahlten viel Geld für die Konzessionen, kamen dann anfangs aber kaum voran beim Ausbau, weil es so viele Einsprachen gegen neue Sender gab und die rechtlichen Rahmenbedingungen unklar waren. Ein Kanton stoppte angesichts der Unsicherheiten sogar vielerorts Bewilligungsverfahren.
Die Vorzüge von 5G wurden überverkauft. Eigentlich hat uns diese neue Mobilfunkgeneration keinen Innovationsschub beschert. Jetzt schauen die Leute unterwegs einfach Youtube und Tiktok, und das war’s, oder?
Ja, die Branche hat sehr viel versprochen. Man hat sich viel erhofft von neuen Anwendungen wie zum Beispiel dem Slicing, bei dem Telekomanbieter für die Kundschaft virtuelle Unternetze definieren. Aber dann hat sich gezeigt, dass das nicht unbedingt den operativen Bedürfnissen der Unternehmen entspricht.
Wie meinen Sie das?
Zur Steuerung der businesskritischen Infrastruktur wollen die Firmen lieber ein eigenes Campusnetz betreiben, damit sie selbst entscheiden können, wann und wie operative Änderungen vorgenommen werden. Es hat also eher praktische als technische Gründe, wieso Telekomanbieter kaum Mobilfunknetze für Firmenkunden betreiben. Dabei hatten sie sich viel von diesem Geschäft versprochen.
Gibt es denn in der Schweiz Firmen, die ihre eigenen Mobilfunknetze betreiben, statt auf die Dienste von Mobilfunkanbietern zurückzugreifen?
Wir sehen eine steigende Nachfrage nach solchen Campusnetzen. Ich habe gerade mit einer Firma gesprochen, die ein solches Campusnetz für die vorausschauende Instandhaltung ihrer Kompressoren einsetzt. Aus verschiedenen Gründen funktioniert das für sie besser als eine Wi-Fi-Anbindung.
Wie viele solcher Firmen-Mobilfunknetze gibt es denn?
Ich habe mir sagen lassen, es handle sich bereits um eine zweistellige Zahl. Kommerziell scheint das interessant zu sein. Aber wir sind da nicht involviert. Firmen können seit dem 1. Januar direkt beim Bundesamt für Kommunikation eine Lizenz beantragen. Die Auflage ist, dass die Unternehmen Dritten keine Mobilfunkdienstleistungen anbieten, auch nicht den eigenen Mitarbeitern. Und dass sie die Strahlenschutzverordnung einhalten.