Beim Besuch von Olaf Scholz in Washington stand eine Frage im Zentrum: Wie geht es weiter mit den Waffenlieferungen an Kiew? Der amerikanische Präsident liess die Europäer stets glauben, dass der Kongress mehr Gelder bewilligt. Doch die Realität sieht anders aus.
Wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht, haben Berlin und Washington fast so etwas wie einen Rollentausch vollzogen. War es früher der amerikanische Präsident, der sich um die europäische Solidarität mit Kiew Sorgen machen musste, kann sich nun der deutsche Bundeskanzler nicht mehr ganz sicher sein über das Engagement der USA im Krieg der Ukraine gegen die russischen Besatzer. Auch wenn Olaf Scholz sich am Freitag immer noch zuversichtlich zeigte, dass der amerikanische Kongress am Ende das Richtige tut und weitere Milliarden für Waffenlieferungen bewilligt, ist dies nicht gesichert.
«Der Besuch in Washington findet zu einem sehr entscheidenden Zeitpunkt statt», betonte Olaf Scholz vor seinem Treffen mit Präsident Joe Biden im Weissen Haus. Am Donnerstagabend hatte sich Scholz bereits bei einem Abendessen mit Senatoren aus beiden grossen Parteien ausgetauscht. Scholz sagte, er wolle Putin mit der Reise in die USA klarmachen, dass die westliche Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen werde. Gleichzeitig wolle er auch sehr dazu beitragen, dass der Kongress in den USA bald neue Hilfsgelder für die Ukraine bewillige.
Biden wähnte Europa in falscher Sicherheit
Ob dem Kanzler dies gelingt, ist indes fraglich. Als Scholz am Donnerstag in Washington eintraf, sorgten im Senat allerdings 17 Republikaner für einen kleinen Hoffnungsschimmer. Sie stimmten gemeinsam mit fast allen Demokraten zu, eine Debatte und eine finale Abstimmung über neue Militärhilfen für die Ukraine und Israel zu ermöglichen. Kiew sollen demnach weitere 61 Milliarden Dollar und Jerusalem zusätzliche 14 Milliarden Dollar zugesprochen werden. Doch noch ist nicht klar, wann und wie der Senat die Gelder endgültig verabschiedet.
Nach dem Senat müsste die Vorlage auch das republikanisch kontrollierte Repräsentantenhaus passieren. Die konservative Fraktionsführung in der grossen Parlamentskammer um Speaker Mike Johnson steht bisher jedoch sehr loyal zu Donald Trump. Sollte sich Trump gegen die Hilfsgelder aussprechen, scheint das Gesetz im Repräsentantenhaus nur noch sehr geringe Chancen zu haben.
Wohl nicht zufällig publizierte Scholz deshalb vor seiner Visite einen Gastkommentar im konservativen «Wall Street Journal», das sich vor allem an ein republikanisches Publikum richtet. Unter dem Titel «Ein russischer Sieg würde uns alle in Gefahr bringen», betonte der Bundeskanzler einerseits, wie wichtig die Freiheit der Ukrainer für den gesamten Westen und die liberale Weltordnung ist. Andrerseits erklärte er den amerikanischen Lesern, dass Deutschland und Europa bereits einen beträchtlichen Beitrag leisten, um Kiew zu unterstützen. «Deutschlands Militärhilfe ist die zweitgrösste nach Amerika.» Damit wirkte Scholz dem gängigen Argument vieler Republikaner entgegen, dass Europa zu wenig tue.
«Wir müssen unsere Solidarität mit der Ukraine nicht nur bekunden, sondern auch mit Taten belegen», erklärte der Kanzler zudem vor dem Treffen mit Biden. Europa weite deshalb die Unterstützung für Kiew aus, beteuerte Scholz. Was im Detail im Weissen Haus besprochen wurde, ist nicht bekannt. Max Bergmann von der Denkfabrik Center for Strategic Studies in Washington hofft jedoch, dass der amerikanische Präsident den Bundeskanzler davon überzeugen konnte, dass Europa noch mehr tun muss. Für Biden sei dies unter den gegebenen Umständen nicht einfach. Amerikas moralische Autorität sei gesunken, weil es selbst Mühe bekunde, neue Finanzmittel für die Ukraine bereitzustellen.
Europa tue laut Bergmann heute zwar viel mehr als noch zu Beginn des Krieges. «Aber es ist noch immer nicht genug, um die Lücke zu füllen, welche die USA hinterlassen könnten», erklärt er. Auch Joe Biden treffe dabei eine Schuld. «Das Weisse Haus hat im vergangenen Jahr einen Fehler gemacht, indem es unseren europäischen Partnern versicherte, dass sie sich immer auf Amerika verlassen können», sagt Bergmann. Das sei ein Gefühl, an welches die jetzige Regierung glauben möchte. In der Realität jedoch spiele der Kongress eine wichtige Rolle. «Und wir haben jetzt einen Teil der Republikanischen Partei, welche die amerikanische Führungsrolle in der Welt nicht unterstützen will.»
Trump spielt mit einem alten Gefühl: dem Isolationismus
Dieser Teil der Republikanischen Partei ist Donald Trumps Basis. Und diese dürfte im Hinblick darauf, dass Trump die Präsidentschaftswahlen im Herbst gewinnen könnte, noch einflussreicher werden. Für die Ukraine und die Nato wäre das ein düsteres Szenario, glaubt Bergmann. «Trump hat einen Plan.» Und der Kern davon laute: «Die Nato ist es nicht wert.»
Um das Verteidigungsbündnis zu sabotieren, brauche es nicht unbedingt einen Austritt. Trump könne die Nato einfach «einschläfern», indem er etwa nicht zu Gipfeltreffen geht oder die Botschaft in Brüssel nicht mit dem notwendigen Personal besetzt, erklärt Bergmann. Im Unterschied zu seiner ersten Amtszeit werde er mit diesem Kurs bei den republikanischen Kongressabgeordneten kaum auf Widerstand treffen.
Trump würde dabei jedoch nicht irrational handeln. «Wir führen seit 20 Jahren Krieg», holt Bergmann aus. Das habe den Willen der Amerikaner für eine aktive Aussenpolitik erodiert. Trump spiele deshalb mit dem Gefühl, das in der Geschichte der USA meistens dominiert habe: «Wir sind ziemliche Isolationisten. Die vergangenen 80 Jahre waren eine Anomalie.»
Scholz scheint sich durchaus bewusst zu sein, wie ernst die Lage ist. Fast zwei Stunden lang sprach er am Nachmittag mit Biden. Danach meinte er: «Jetzt ist es notwendig, dass in Europa auch alle Staaten ihre Kraft sammeln, um die Ukraine mit noch mehr Waffen und Munition zu unterstützen.» Dennoch gestand der deutsche Kanzler ein: «Wir sollten nicht darum herum reden. Für die Frage, ob die Ukraine in der Lage sein wird, das eigene Land zu verteidigen, ist die Unterstützung aus den Vereinigten Staaten unverzichtbar.»