Trotz der Wohnungsknappheit ist keine Revolution des Rechtsrahmens vorgesehen. Dies macht eine Diskussion von massgebenden Akteuren mit Bundesrat Guy Parmelin deutlich. Unterstützung erhielt ein Aktionsplan, der Hindernisse für Bauprojekte wegräumen will.
Nahrung, Wohnung, Gesundheitsversorgung. Dieses Dreigespann zählt zu den elementaren menschlichen Bedürfnissen und ist deshalb stark politisiert. Der Kostenanstieg im Gesundheitswesen ist seit Jahrzehnten ein permanentes Aufregerthema in der Schweizer Politik. Bei den Wohnungen gibt es starke politische Schwankungen, je nach Preisentwicklung. Seit 1950 lag im Mittel der Anteil der Kosten der Privathaushalte für den Posten Wohnung/Energie meist zwischen 15 und 20 Prozent der Brutto-Haushaltseinkommen, 2021 waren es rund 14 Prozent. Bei den ärmsten Haushalten (Monatseinkommen bis 4000 Franken) macht dieser Anteil allerdings 35 Prozent aus.
Das Thema hat zurzeit wieder Hochkonjunktur, weil die Wohnungsknappheit zunimmt und die Mieten steigen. «Eisberg voraus!», schrieben die Ökonomen der Credit Suisse im vergangenen Jahr in einer Immobilienstudie: «Die nicht mehr aufzuhaltende Verknappung des Angebots wird unweigerlich die Mietpreise nach oben treiben (…).»
Weniger Baubewilligungen
Die Rechnung von Immobilienökonomen und des Bundes geht etwa wie folgt: Pro Jahr braucht es wegen der Einwanderung und des grösseren Flächenverbrauchs pro Person etwa 50 000 zusätzliche Wohnungen, doch zurzeit werden jährlich nur etwas über 40 000 Wohnungen gebaut – was die wegen des Zinsanstiegs ohnehin kommenden Preiserhöhungen noch stark beschleunigt.
Der Rückgang der Baubewilligungen lässt vermuten, dass dieser Trend noch eine Weile anhält. So lag gemäss Bundesangaben 2023 die Zahl der Baubewilligungen 30 Prozent unter dem Niveau von 2016. Gemäss Prognosen der Zürcher Kantonalbank sind die auf dem Markt angebotenen Mietwohnungen 2023 im Mittel um 3,5 Prozent teurer geworden, und für das laufende Jahr ist ein weiterer Anstieg von 4 Prozent zu erwarten.
Die Verknappung zeigt sich nicht nur in den Preisen, sondern auch bei Messgrössen wie Leerwohnungsziffern (sinkend) und Dauer der Publikation von angebotenen Mietwohnungen (ebenfalls sinkend). Die Leerwohnungsziffer lag 2023 mit 1,15 Prozent noch leicht über dem langfristigen Mittel, doch hinter solchen Durchschnittswerten stecken grosse Unterschiede je nach Ort. Besonders knapp sind naturgemäss Wohnungen an «beliebten» Destinationen wie Grossstädten und ihren Agglomerationen sowie gewissen Tourismusgebieten.
Der Markt spielt nicht
Wenn die Preise steigen, sinkt die Nachfrage, und das Angebot nimmt zu, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Dieser Grundsatz aus dem Lehrbuch des Marktes spielt bei den Wohnungen bestenfalls beschränkt und mit starker Verzögerung – wenn überhaupt. Denn von einem freien Markt kann hier nicht die Rede sein kann. Diverse Bremsen spielen eine Rolle: Das Angebot von Bauland ist durch eine restriktive Zonenplanung künstlich verknappt; Projekte für eine Bauverdichtung werden oft durch langwierige Bewilligungsverfahren und Einsprachen gebremst; und bei bestehenden Mietern dürfen die Vermieter die Preise nicht beliebig erhöhen, so dass die Bestandesmieten deutlich unter den Marktpreisen für Neumieter liegen.
Laut Angaben der Zürcher Kantonalbank zahlen Altmieter im Landesdurchschnitt für vergleichbare Wohnungen 14 Prozent weniger als Neumieter. Je grösser die Regulierung ist, desto grösser ist die Differenz. In der Stadt Zürich beträgt der Altmieterbonus 26 Prozent, und in der besonders stark regulierten Stadt Genf sind es gar 54 Prozent. Der Effekt dieser Subventionierung der Altmieter ist klar: Man bleibt in seiner Wohnung, so lange es geht, selbst wenn die Wohnung nicht mehr passt. Der typische Fall sind ältere Leute, die nach dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners in überdimensionierten Wohnungen bleiben, weil sich der Wechsel in eine kleinere Wohnung nicht lohnt. Gemäss ZKB-Angaben sind in der Stadt Zürich zwei Drittel der grossen Wohnungen unterbelegt, und in Genf sind es sogar 72 Prozent.
Der Idealzustand ist unrealistisch
Laut einer Analyse der Raiffeisen-Gruppe von diesem Monat braucht rund ein Drittel der Mieter «zu viel» Wohnfläche, während ein Fünftel zu wenig zur Verfügung habe. Die Raiffeisen-Ökonomen rechnen vor, dass eine bessere Allokation des Wohnraums (Anzahl Personen im Haushalt plus 1 ergibt Anzahl Zimmer) nicht nur das Problem der Mieter mit zu wenig Wohnraum lösen würde, sondern zusätzlich 170 000 Vierzimmer-Wohnungen auf den Markt brächte. Doch in einer halbwegs freien Gesellschaft ist eine solche «ideale» Wohnraumzuweisung nicht möglich.
Was also soll die Politik tun? Auf der Politikbühne verlangen die üblichen ideologischen Interessengruppen nach ihrem Recht. Die Linke will noch mehr regulieren und nach dem wenig erbaulichen Vorbild des Kantons Genf konsequent «Kostenmieten» durchsetzen. Das würde die Nachfrage nach günstigem Wohnraum noch zusätzlich anheizen und das Angebot noch stärker bremsen. Die linke Antwort darauf ist eine noch stärkere Rolle des Staats für das Angebot von preisgünstigen (sprich: subventionierten) Wohnungen. Der Mieterverband hat im vergangenen Jahr auch eine Volksinitiative für eine konsequente Kostenmiete angekündigt. Die SVP ortet dagegen das Hauptproblem in der Einwanderung, während andere bürgerliche Stimmen vor allem die Hindernisse für Neu- und Umbauprojekte reduzieren wollen.
Kleinster gemeinsamer Nenner
Eine Revolution erscheint derzeit nicht mehrheitsfähig. Der Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat am Dienstag nach 2023 zum zweiten Mal massgebende Akteure im Wohnungsgeschäft für eine Diskussion am «Runden Tisch» in Bern aufgeboten. Präsent waren nebst Bundesämtern, Kantonen und Gemeinden diverse Organisationen der Bauwirtschaft und Interessengruppen von Mietern, Hauseigentümern und Heimatschutz.
Als Ergebnis der Diskussionen liegt nun der im vergangenen Jahr versprochene «Aktionsplan» vor, doch grosse Würfe sind darin nicht enthalten. Im Zentrum des Aktionsplans steht die Idee des Abbaus von Hindernissen für Bauprojekte. Einige der genannten möglichen Massnahmen betreffen die Raum- und Zonenplanung in den Kantonen und Gemeinden. Zur Diskussion stehen etwa Erleichterungen der Durchmischung von Arbeits- und Wohnzonen sowie höhere Ausnutzungsziffern. Bei der Schaffung zusätzlicher Wohnzonen soll zudem ein bestimmter Teil des Zusatzangebots für preisgünstige Wohnungen verfügbar sein.
Ein weiteres Thema ist die Beschleunigung von Baubewilligungsverfahren. So sei etwa zu prüfen, ob eine ausreichende Wohnraumversorgung neu als relevantes Interesse gesetzlich zu verankern sei. Zu prüfen sei auch die Idee, ob Baueinsprachen künftig etwas kosten sollen. Ein entsprechender Prüfauftrag des Parlaments dazu liegt schon vor. Zur Diskussion steht auch die Idee, das Ziel einer ausreichenden Wohnraumversorgung für die Abwägung bei Bauprojekten gesetzlich zu verankern.
Wo der Konsens fehlt
Keinen Konsens gab es bei weitergehenden linken Forderungen. So ist zum Beispiel keine weitere gesetzliche Einschränkung der Kurzzeitvermietung über Plattformen wie AirBnB vorgesehen. Der Aktionsplan beschränkt sich bei diesem Thema auf unverfängliche Stichworte wie «Erfahrungsaustausch» und «Aufbau einer Informationsplattform». Ebenfalls keinen Konsens erhielten Forderungen zu einem Zwang für Vermieter zur Bekanntgabe des Mietzinses des Vormieters und zu einem Vorkaufsrecht von Gemeinden bei Landverkäufen zu Marktpreisen.