Schweizer Aktien in Deutschland zu kaufen, war bislang umständlich. Doch mit dem 1. Mai ändert sich das. Für den Vermögensaufbau ist das eine gute Nachricht. Ganz reibungslos verläuft die Startvorbereitung indes nicht.
Ab dem 1. Mai ist alles anders. Zumindest für deutsche Anleger, die in Schweizer Aktien investieren wollen. Dafür hat der Schweizer Bundesrat Ende Januar gesorgt und eine seit 2019 andauernde Hängepartie beendet, während der Schweizer Valoren in Deutschland nur über Umwege zu haben waren. Damit stehen deutschen Anlegern nun alle Schweizer Aktien einfach offen; zumindest in der Theorie. In der Praxis braucht es noch eine klassische Anlegertugend: Geduld.
Die Hintergründe dieser Entwicklung sind schnell erzählt: Die Europäische Union (EU) und die Schweiz hatten in Sachen Aktieninvestments lange die Regularien des anderen als gleichwertig anerkannt. Doch dann lief ein Abkommen aus, das diese so genannte Börsenäquivalenz regelte. Weil eine Folgeabrede nicht zustande kam, hat die Schweiz 2019 dafür gesorgt, dass ihre Wertpapiere an europäischen Handelsplätzen nicht mehr handelbar waren.
Anleger konnten bei Brokern also Nestlé oder Roche nicht direkt über Xetra oder andere deutsche Börsenplätze ordern. Das soll nach dem Maifeiertag ab dem 2. Mai grundsätzlich anders sein.
«Vorher konnten unsere Kundinnen und Kunden keine Schweizer Aktien kaufen», sagt zum Beispiel Julius Weller, Leiter des Brokerage von Scalable Capital. «Möglich waren nur Alternativen wie etwa ETF auf den Schweizer Börsenindex SMI.» Das Kürzel ETF steht für Exchange Traded Funds, welche die Wertentwicklung eines Index spiegeln.
Broker boten aber auch Umwege an wie etwa den ausserbörslichen Handel über Anbieter wie Lang & Schwarz, Tradegate oder Baader Trading. Möglich waren darüber hinaus Transaktionen über die Schweizer Börse. Wer diese Umwege nutzte, musste in manchen Fällen mit Zusatzkosten rechnen.
Ein Vorteil des Kaufs über eine heimische Börse liege darin, dass keine Fremdwährungskosten anfallen, erklärt ein Sprecher von Flatex Degiro. Wird eine Aktie in einem Nicht-Euro-Land wie der Schweiz gehandelt, stellen Broker dem Anleger in der Regel die Umrechnung in Euro in Rechnung. Deren Höhe richtet sich nach dem Anbieter.
Bei ausserbörslichen Geschäften gibt es ausserdem, anders als im regulierten Börsenhandel, keine Handelsaufsicht und die Regeln sind weniger streng. Ein anderer Nachteil dieses Wegs sind die oft ungünstigeren Kauf- und Verkaufskurse (Spreads), besonders ausserhalb der regulären Handelszeiten.
Nun jedoch werden Schweizer Aktien für deutsche Anleger wieder günstiger handelbar. Von Consors heisst es, durch den Handel an deutschen Börsen verringern sich für den Kunden die Handelsplatzgebühren im Vergleich zum OTC-Handel erheblich, da diese nun nicht mehr exklusiv über Schweizer Handelsplätze ordern müssen.
«Künftig wird der Handel genauso schnell und einfach stattfinden wie der anderer europäischer oder amerikanischer Aktien», sagt Brokerage-Chef Weller von Scalable Capital, «und zu den gleichen Kosten.»
Die Rückkehr der eidgenössischen Valoren an deutsche Börsen erleichtert Anlegern die Investition in Papiere wie Nestlé, Roche oder Novartis, aber auch in Titel wie den Sanitärspezialist Geberit oder den Dienstleistungs- und Handelskonzern DKSH.
Nestlé & Co.: Populäre Schweizer Aktien im Vergleich
Gerade jetzt ist das für Anleger eine gute Nachricht. Immerhin sei die Unsicherheit nach dem US-Zolldesaster hoch, sagt Torsten Steinbrinker, CEO der Reichmuth Integrale Vermögensverwaltung. Entsprechend seien nun vor allem defensive Dividendenwerte gefragt. «Qualitätstitel aus der Schweiz punkten neben einer attraktiven Dividendenrendite über dem kurzfristigen Zins mit starken Geschäftsmodellen, erstklassigen Bilanzen und hoher Preissetzungsmacht», sagt er und geht davon aus, dass im Zug der derzeitigen Renaissance europäischer Aktien nicht zuletzt Schweizer Werte deutlich profitieren werden.
«Schweizer Aktien gelten generell als sicherer Hafen», sagte zuletzt Johan Utterman in einem Interview mit The Market. Utterman ist Head of Swiss Equities bei Lombard Odier Investment Managers.
Gewichtung im Stoxx Europe 600: Schweiz stärker als Deutschland
Erste Anlaufstelle für die Anleger sind in der Regel die Broker, bei denen die Order für die unterschiedlichen Handelsplätze platziert werden. Doch dort so ohne weiteres bereits am 2. Mai auf Xetra oder anderen Handelsplätze zu handeln, ist kein Selbstläufer.
Immerhin stehen einige Broker noch abseits. Revolut beispielsweise, manchem als Anbieter digitaler Guthabenkarten bekannt, erklärt auf Nachfrage, derzeit biete man keine Schweizer Aktien an der Schweizer Börse an, sondern ADR. Ein American Depositary Receipt ist ein Zertifikat, das einen Anteil an einer Aktie repräsentiert und quasi stellvertretend für die Aktie am US-Markt gehandelt wird. Justtrade wiederum will weiterhin auf den ausserbörslichen Handel setzen. Ob man künftig auch börsliche Orders ermöglichen will, ist noch nicht entschieden.
Doch die meisten befragten Broker wollen das neue Absatzpotenzial nutzen. Allerdings müsse der Handel erst auf den verschiedenen Handelsplattformen wieder aufgenommen werden, sagt ein Sprecher von Consors. «Jede Börse muss das einzeln mit der Schweiz vereinbaren. Wir sind mit diesen dazu in Kontakt und lassen uns über die Wertpapiere informieren, für die der Handel wieder aufgenommen wird.» Von Tradegate etwa habe man zuletzt bereits eine Liste von 138 Aktien erhalten, für die am 5. Mai der Handel wieder aufgenommen werden soll. Tradegate ist eine auf Privatanleger spezialisierte Börse, die auch ausserbörslichen Handel anbietet. «Aktuell gehen wir davon aus, dass auch die anderen Plattformen den Handel wieder zeitnah aufnehmen», teilte Consors weiter mit.
Der sparkasseneigene S Broker erklärt auf Nachfrage, dass beim Unternehmen ab Mai Schweizer Aktien nun auch an weiteren Börsenplätzen wie Tradegate, Börse Stuttgart und anderen handelbar sein werden.
Ähnlich klingt es bei der Commerzbank-Tochter Comdirect. Dort sind ab frühestens dem 2. Mai Schweizer Aktien wieder an deutschen Börsenplätzen handelbar, allerdings nicht ohne weiteres. Eine Sprecherin nennt die Voraussetzungen: So müsste zum Beispiel die «Handelsinfrastruktur» bis dahin von den Börsen hergestellt sein, also zum Beispiel Kursstellungen und Handel aktiv sein.
Der selbst börsennotierte Broker Flatex Degiro teilte mit, dass er Kunden ebenfalls die Wahl des Handelsplatzes lassen werde, sobald die Deutsche Börse mit Xetra oder andere Börsen die Aktien anbieten.
Allerdings brauchen die deutsche Börsen dazu eine Genehmigung der Schweizer Aufsichtsbehörden. Ein Sprecher von Trade Republic sagt, aus dem Markt höre man, dass fast alle Marktplätze eine solche Genehmigungen beantragt haben sollen, diese aber noch ausstehen.
Dennoch geben sich die Börsenplätze selbst abwartend optimistisch. Die Börsen AG, welche die Handelsplätze Düsseldorf, Hamburg und Hannover bündelt, erklärt, man habe dieses Gesuch gestellt, ebenso wie andere deutsche Börsen. «Wann mit einer Entscheidung der Schweizer Aufsicht gerechnet werden kann, lässt sich derzeit nicht sagen.»
Der Sachverhalt werde derzeit noch abschliessend geprüft, heisst es von der Börse Stuttgart. Doch «voraussichtlich werden Schweizer Aktien ab 1. Mai wieder an der Börse Stuttgart handelbar sein.»
Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma wiederum will sich auf Nachfrage nicht zu möglicherweise laufenden Anerkennungsverfahren äussern.
Ein charmanter Zusatznutzen einiger Schweizer Aktien im Vergleich zu ETF sind Sachdividenden. Das können zum Beispiel Produkte des Unternehmens sein, dessen Aktien ein Anleger hält. Schokolade also von Lindt & Sprüngli (jedenfalls für Inhaber der Namensaktie, Kurs derzeit: 115’000 Fr.) oder ein Pyjama-Rabatt von Calida. Dazu müssen Anleger im schweizerischen Aktienregister eingetragen werden. Viele Broker bieten diese Dienstleistung an. Bei Consors beispielsweise kostet die dauerhafte Eintragung 51,45 €, bei Comdirect 14,90 €.
Kleiner Wermutstropfen: Der steuerliche Verwaltungsaufwand sinkt nicht. Deutsche Anleger müssen sich also weiterhin einen Teil der dort abgeführten Quellensteuer auf Dividenden in Höhe von 35% von den Schweizer Steuerbehörden erstatten lassen.
In Summe ist für deutsche Anleger mit dem Schweizer Federstrich einiges in Bewegung geraten: Sobald die Genehmigungen der Aufsicht Finma vorliegen, dürften die hiesigen Börsen schnell handeln und in deren Gefolge die meisten Broker. Bis es so weit ist, brauchen Anleger etwas Geduld. Doch ab dem 2. Mai können sie schon testen, ob ihr Broker den vereinfachten Handel anbietet.
Für Weller von Scalable ist klar, dass die Handelsaktivität deutscher Privatanleger hinsichtlich Schweizer Aktien deutlich steigen wird. Vermögensverwalter Steinbrinker von Reichmuth geht davon aus, dass sich damit der Fokus weg von ETF auf den Schweizer Markt wieder hin zu Einzeltiteln verschieben wird.
An attraktiven Aktien fehlt es nicht: Anregungen dazu hatte The Market zuletzt zum Beispiel mit den Favoriten der Schweizer Fondsmanager veröffentlicht.