Einblicke in die verschwiegene Welt der Luxuspsychiatrie.
Was ist das für eine Welt? Ein arabischer Prinz bringt seine ganze Entourage in die Luxusklinik mit. Eine Patientin will nur bei Vollmond geschöpftes Wasser trinken, eine andere bei jeder Massage ihr Hündchen auf dem Körper haben. Und dann ist da noch der russische Alkoholiker, der in Monaco mit seinem Ferrari verunfallte und widerwillig zum Entzug nach Mallorca gereist ist. Er darf dort zwar in einer hübschen Finca wohnen, doch das mit dem Entzug geht ihm dermassen gegen den Strich, dass er sein Louis-Vuitton-Köfferchen packt und per Autostopp flüchtet. Ungünstig nur, dass er weder Geld noch Pass bei sich hat. Und so ruft er vom Flughafen aus in die Klinik an: Man möge ihn doch abholen.
All das ist die Welt von Abdullah Boulad, einem früheren Sonderschüler aus Kloten, der heute eine Psychiatrie für Superreiche auf Mallorca führt. Ihre Sorgen sind zu seinem Business-Modell geworden. Seit sechs Jahren betreibt er The Balance, eine Klinik mit mehreren Standorten, wo sich Suchtkranke oder Menschen mit psychischen Störungen behandeln lassen können. Für bis zu 600 000 Euro im Monat.
Leute, die sich solche Beträge leisten können, gibt es genug: Weltweit sollen 420 000 Personen ein Vermögen von 30 Millionen Dollar oder mehr haben. Es sind lukrative Geschäftszweige entstanden, die sich auf Superreiche spezialisieren. Dass dazu auch die Suchtmedizin und die Psychiatrie gehören, hat gute Gründe: Wer besonders reich ist, hat auch ein besonders hohes Risiko für mentale Probleme.
Der Unternehmer Boulad steht an einem milden Wintertag auf der Terrasse seines «Office» in Palma, als er die Episoden aus diesem wundersamen Milieu erzählt. Die Sonne spiegelt sich in den Fenstern der Jachten, die unten im Hafen liegen und auf die Sommersaison warten. Mallorca ist für Boulad zur neuen Heimat geworden, auf seiner Finca hält er Pferde und baut eigenes Olivenöl an.
Boulad hat eine gewinnende Art. Er trägt schicke Slim-Fit-Anzüge und strahlt die Selbstsicherheit eines Mannes aus, der sich von ganz unten in die Welt der Reichen und Schönen hochgearbeitet hat.
Einst war er ein Flüchtlingskind. Boulad erinnert sich noch, wie Flugzeuge im libanesischen Bürgerkrieg seine Heimatstadt bombardierten. Und wie die Grossmutter ihn und seine Geschwister in den Schutzraum brachte. Boulads Vater, ein Geschäftsmann, engagierte sich politisch und wurde deshalb verfolgt. 1986 floh er mit seiner Familie. Über Mailand kamen sie in die Schweiz, ihre ganzen Habseligkeiten passten in eine rote Adidas-Sporttasche.
Abdullah war da sieben Jahre alt. Er sprach zwar Arabisch, Französisch und Englisch. Aber weil er kein Deutsch konnte, musste er in Kloten in die Sonderklasse. Und fühlte sich minderwertig. Als «Dunkelhäutiger» war er ein Aussenseiter in der Schule. Das Geld war immer knapp, in die Ferien konnte die Familie nicht verreisen. «Für mich war das ein grosser Ansporn: Ich entwickelte einen ungeheuren Aufstiegswillen», sagt Boulad.
Der genaue Ort des Anwesens ist geheim
Jetzt fährt Abdullah Boulad, mittlerweile 46-jährig, mit einem schwarzen Van vom «Office» zu seinen beiden Fincas im Niemandsland etwas ausserhalb von Palma. An einer von Trockenmauern gesäumten Seitenstrasse öffnet sich ein schlichtes rotes Tor, ein Kiesweg führt an Olivenbäumen vorbei zu einem zweistöckigen Steinhaus.
Mallorca bietet, abseits von El Arenal und Ballermann, die Abgeschiedenheit und Ruhe, die er gesucht hat. Zudem strömen immer mehr Vermögende auf die Insel, die vermehrt auf Luxustourismus setzt. Er habe klein angefangen und dann stetig ausgebaut, sagt Boulad.
The Balance verspricht den Einsatz neuester wissenschaftlicher und technologiebasierter Therapieansätze, so die transkranielle Gleichstromstimulation, die bestimmte Hirnareale gezielt anregt und so bei Depressionen helfen soll. Oder Neuro- und Biofeedbacksysteme, die physiologische Prozesse im Körper messen und in Echtzeit zurückmelden. Das soll sich auch für die Psychotherapie nutzen lassen, etwa bei Angststörungen.
Aber was The Balance laut Boulad vor allem von klassischen Promi-Rehabs wie jenen in Malibu oder in Florida unterscheidet, ist die maximale Individualisierung: Ein Patient bekommt nie einen anderen Patienten zu Gesicht. Um ihn kümmern sich 15 bis 25 Fachleute, und jeder Kunde erhält einen eigenen, auf ihn zugeschnittenen Ernährungs- und Behandlungsplan. Dazu gehören neben täglicher Psychotherapie auch Yoga, Pilates, Akupunktur, Klangschalenmassage oder Hippotherapie.
Die im Landhausstil eingerichtete Finca wirkt nicht sonderlich luxuriös, eher wie ein hochklassiges Airbnb. Aber sie ist grosszügig, mit einer Wohnfläche von rund 400 Quadratmetern. «Die Kunden kommen nicht wegen der schönen Villa, doch sie sind an ein gewisses Niveau beim Komfort und den Dienstleistungen gewöhnt», sagt Boulad. «Das müssen wir auch bieten, Askese ist nicht unser therapeutisches Konzept.»
Das Haus ist ebenso verwaist wie der Garten mit Palmen und Pool: Der Klient, der in der Finca einquartiert ist, sei gerade am Hiken, heisst es. Drinnen läuft leise Loungemusik, eine Haushälterin wartet mit warmen Tüchern für die Hände. In der Küche bereitet die Köchin das Mittagessen vor und schneidet Rindsfilets. «Maria», stellt sie sich mit einem Lächeln vor. Sie umarmt Jil Moore, die Client-Relation-Managerin. «You look so beautiful today», sagt die eine zur anderen.
Hierher kommen Leute, die so viel Geld haben, dass sie die paar hunderttausend Euro für die Therapie aus der Portokasse bezahlen. Es sind Royals, Sportcracks, Film- und Pop-Stars, CEO, Mitglieder von reichen Familien.
Die Promis sind auf absolute Diskretion angewiesen. Deshalb ist der genaue Ort des Anwesens ein Geheimnis. Für The Balance wäre es ein grosser Imageschaden, wenn die Öffentlichkeit erführe, dass Prinz XY in der Luxusklinik auf Drogenentzug ist. Und erst recht, wenn Paparazzi auftauchten.
Die Kunden stammen laut Boulad aus aller Welt, besonders viele aber aus Nordamerika und dem Nahen Osten. Auch Schweizer, Deutsche und Österreicher waren schon in der Klinik. Die Patienten sind süchtig nach Alkohol, Kokain, Medikamenten, Sex. Oder sie leiden an einer psychischen Krankheit, haben Angststörungen, Burnouts, Depressionen, eine posttraumatische Belastungsstörung, sind magersüchtig. Manche brauchen auch bloss eine Auszeit, eine Neuorientierung.
Für diese illustren Patienten hat Boulad eine Welt kreiert, die nur aus Beige- und Goldtönen zu bestehen scheint. Eine Welt aus blumigen Duftölen, Hochglanzlächeln und Superlativen, in der die Grenze zwischen Schein und Sein verwischt. Boulad nennt The Balance das «exklusivste Behandlungszentrum der Welt». Sich selbst preist er in seinem im Eigenverlag publizierten Buch «Ein Leben in Balance» nicht nur als erfolgreichen Geschäftsmann, sondern gar als «bedeutenden Gelehrten» an. In seiner Klinik wirbt er mit «Schweizer Medizin-Kompetenz», obwohl die grosse Mehrheit des Fachpersonals keinen Bezug zur Schweiz hat.
Man fragt sich unweigerlich, ob Boulads Geschichte zu schön ist, um wahr zu sein. Zumal die glänzende Fassade auch Risse hat.
Eine Niederlage in der Glarner Bergwelt
Ins Geschäft mit den Superreichen rutschte Boulad einst eher zufällig hinein. Er lernte den Besitzer der Küsnacht Practice kennen. Diese Klinik hat das Konzept der massgeschneiderten Betreuung von psychisch angeschlagenen Personen mit grossem Vermögen quasi erfunden. Boulad wurde 2016 Geschäftsführer, doch bald zerstritt er sich mit dem Besitzer. «Wir hatten unterschiedliche Ideen», sagt er dazu nur. «Und ich dachte, ich kann das allein besser.»
Doch mit seinem ersten Projekt scheiterte Boulad krachend. Er wollte das Konzept der Luxuspsychiatrie von der Goldküste in die Glarner Bergwelt transferieren. Boulad eröffnete 2018 in einem ehemaligen Nobelhotel in Braunwald die «luxuriöseste Klinik» der Welt namens Swiss Recore. Und versprach, bis zu 20 Arbeitsplätze zu schaffen.
Nach wenigen Monaten war die Klinik geschlossen, und Boulad musste Konkurs anmelden. Dabei hinterliess er verbrannte Erde. Die Lokalzeitung schrieb von einem «Luftschloss». Und jemand, der mit Boulad zu tun hatte, nennt ihn einen «Blender». Boulad selbst sagt, er habe Lehrgeld bezahlt und eine halbe Million Franken verloren. «Damit war ich selbst der mit Abstand grösste Geschädigte.»
Dass sein Plan nicht aufgegangen ist, erklärt er damit, dass der autofreie Kurort zu abgeschieden gewesen sei – für die Patienten aus der High Society, aber vor allem für das Personal. «Es gelang mir nicht, genug hochqualifizierte Therapeuten zu finden, die bereit waren, in Braunwald zu arbeiten.»
Boulad gehört zur Gattung Unternehmer, die Scheitern nicht als ultimatives Versagen betrachten. «Nicht alles, was man anpackt, wird zu Gold.» Er liess sich von der einen Niederlage nicht bremsen. Kurze Zeit später gründete er The Balance.
Boulad sagt, der Betrieb auf Mallorca floriere. Heute könne seine Klinik bis zu sieben Patienten gleichzeitig behandeln, in einer der angemieteten Fincas oder – gegen Aufpreis – auch auf einer Jacht. Im Schnitt blieben sie sechs Wochen. 2024 sei das Unternehmen stark gewachsen, und 2025 habe auch wieder gut begonnen. Pro Jahr habe seine Klinik 70 bis 80 Kunden. «Wir sind praktisch immer ausgebucht.»
Unabhängig überprüfen lassen sich solche Aussagen kaum. Dies nicht nur, weil Boulad keine Geschäftszahlen offenlegt. Sondern auch, weil das Business mit kranken Superreichen grundsätzlich verschwiegen ist. Hinter der Anonymität der Kunden kann sich ein Unternehmer verstecken, wenn es ihm weniger gut läuft, als er das gerne möchte.
Auch Boulads Konkurrenten geizen nicht mit Superlativen und bezeichnen ihre Betriebe wahlweise als «the world’s best luxury treatment center» oder «the world’s most private and discreet addiction clinic». Der CEO der Küsnacht Practice erzählt in den Medien gar eine ähnliche Aufstiegsgeschichte wie Boulad: Er habe sich aus eigenem Antrieb vom brasilianischen Bohnenbauern zum Klinikdirektor an der Zürcher Goldküste hochgearbeitet.
Die Welt der Schönen und Reichen, in der sich alle ständig überbieten müssen, scheint als Modell zu dienen für das Marketing der Luxuskliniken.
All das bedeutet freilich nicht, dass diese Kliniken mit der Behandlung von Superreichen nicht echten Erfolg hätten. Boulad betreibt seine Klinik in Mallorca nun immerhin seit sechs Jahren. Und selbst Konkurrenten attestieren ihm hinter vorgehaltener Hand, dass er sehr talentiert sei in der Akquise zahlungskräftiger Kundschaft.
Nur selten dringt etwas aus dieser undurchsichtigen Welt nach draussen. Zurzeit sollen sich in der Balance-Klinik der Rapper Kanye West und dessen Frau Bianca Censori behandeln lassen, dies berichtete die deutsche «Bild»-Zeitung. Der amerikanische Superstar, der an einer bipolaren Störung leidet, hat in den letzten Jahren immer wieder mit bizarren Aktionen für Aufregung gesorgt: Mal schreibt der Afroamerikaner auf X, er liebe Adolf Hitler, mal lässt er seine Frau an der Oscar-Verleihung in einem komplett durchsichtigen Kleid über den roten Teppich laufen.
West und Censori sollen sich laut Insidern seit Anfang April auf Mallorca in Behandlung befinden. West sei inzwischen abgereist, nun aber zurückgekehrt. Die beiden wollen angeblich an ihren Eheproblemen arbeiten. The Balance sagt auf Anfrage nur: kein Kommentar.
Auch der deutsche Rapper Samra berichtete in einem Interview, dass er vor einiger Zeit in einer sehr teuren Privatklinik auf Mallorca einen Entzug gemacht habe, um von harten Drogen wegzukommen. «Das war das erste Mal, dass ich die Erfahrung gemacht habe, dass Menschen, die mich nicht kennen, mir helfen wollten», sagte er darüber in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Eine Anfrage der NZZ liess Samras Management aber unbeantwortet.
Zwischen Therapiesitzungen nach New York zum Meeting
Möglich war ein Gespräch jedoch mit einer ehemaligen Patientin, zu welcher die Leute von The Balance den Kontakt vermittelt haben. Ashley, eine Amerikanerin mittleren Alters, die eigentlich anders heisst, erzählte der NZZ ihre Geschichte in einem Video-Call.
Ashley scheint alles zu haben, was man für ein privilegiertes Leben braucht: intakte Familie mit zwei Kindern, schönes Haus an der US-Ostküste, ein gut gefülltes Bankkonto. Und doch geht es der 50-Jährigen schlecht: Sie ist niedergeschlagen, kann nicht schlafen, hat Panikattacken, verliert Gewicht. Sie will es immer allen recht machen, schaut aber kaum zu sich selbst. Antidepressiva schlagen nicht an, so betäubt sie sich mit Alkohol und Tabletten. «Ich war auf dem Weg zur Selbstzerstörung», sagt sie.
Im Internet findet sie The Balance und fragt dort an. Die Klinik schickt ihr ein Angebot, das sie erschreckt: «400 000 Dollar für einen Monat, das ist doch verrückt», denkt sie damals. Doch Ashleys Mann, ein erfolgreicher Finanzinvestor, ist bereit, die Therapie zu bezahlen. Und so fliegt Ashley nach Mallorca.
Am Flughafen wartet ihre Personal Managerin Tama auf Ashley und umarmt sie. Die Personal Manager sind zentral im Konzept von The Balance und anderen Luxuskliniken. Sie begleiten die Patienten die ganze Zeit und wohnen auch mit ihnen in der Finca.
«Es ist sehr schwierig, in diesem Job eine richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden», sagt die Klientenbetreuerin Jil Moore. Damit es angesichts der sehr engen Beziehung nicht zu Romanzen kommt, werden die Personen so ausgewählt, dass sie nicht den sexuellen Präferenzen der Klienten entsprechen.
Ashley fühlt sich bei Tama gleich gut aufgehoben, es entwickelt sich eine Art Freundschaft. Am ersten Tag gibt es körperliche Untersuchungen und Bluttests, am dritten Tag beginnen die intensiven Sitzungen mit einer Psychotherapeutin. «Das war hart. Wir tauchten tief in meine Psyche ein und schauten, was falsch war», erzählt Ashley. Sie lernt, für sich selbst einzustehen, legt wieder an Gewicht zu und schwört dem Alkohol ab.
Nach vier Wochen kehrt sie in die USA zurück. Nicht geheilt, «aber ich bin nun auf dem richtigen Pfad», sagt sie. Dass sie dieselben Fortschritte erzielt hätte, wenn sie daheim zu einem Psychotherapeuten gegangen wäre, glaubt Ashley nicht. «Auf Mallorca verdichtete sich ein Jahr Therapie in einem Monat.»
Ashley ist als Frau eines reichen Mannes nicht unbedingt eine typische Kundin von The Balance. Abdullah Boulad teilt seine Klientel grob in zwei Hauptgruppen ein: jene, die das Vermögen selbst erschaffen haben, meist 45 bis 60 Jahre alt. Und die Erben, 18 bis 25 Jahre alt.
Zur ersten Gruppe gehören High Performer, die sich ins Burnout schuften. Oder die ihre Leistung nur mit Kokain und Schlaftabletten erbringen können und irgendwann die Kontrolle über den Konsum verlieren.
Oft sind es nicht die CEO oder Unternehmer selbst, die erkennen, dass sie sofort Hilfe brauchen. Sondern Angehörige oder Kollegen in der Firma. «Geht gar nichts mehr, setzen sie sich in New York oder London in den Privatjet und kommen zu uns», sagt Boulad.
Gerade, wenn es sich um die Chefs von börsenkotierten Firmen handelt, darf nichts von den Problemen nach aussen dringen. Dafür sei Mallorca bestens geeignet, sagt Boulad. «Dann ist der CEO eben ein paar Wochen in einem Sabbatical und postet gelegentlich schöne Bilder vom Strand oder den hiesigen Bergen.»
Nicht alle können sich komplett vom Business abkoppeln. Für solche Fälle gibt es in den durchgetakteten Behandlungsplänen ein Zeitfenster für einen Video-Call mit dem Verwaltungsrat. Oder man setzt die Therapie für zwei Tage aus, damit ein Manager einen Kurztrip nach New York machen kann.
Auch Fussballstars waren laut Boulad schon bei ihm in Behandlung. Kokain oder übermässiger Schlafmittelkonsum seien in diesen Kreisen weiter verbreitet, als man vermuten würde – allen Dopingkontrollen zum Trotz. Bei Eishockeyprofis sei Schmerzmittelsucht ein häufiges Problem.
Es sind für The Balance besonders delikate Fälle: Würden die Probleme publik, wäre die Karriere gefährdet, der Marktwert könnte einbrechen. «Wir arbeiten eng mit den Klubs zusammen», sagt Boulad. Offiziell haben die Spitzensportler dann eine Verletzung, die sie auskurieren müssen.
Die zweite grosse Gruppe unter den Balance-Kunden sind die Kinder und Kindeskinder der Superreichen. Was Boulad und seine klinische Direktorin Sarah Boss von ihnen berichten, entspricht gängigen Klischees. Er habe kürzlich mit einem früheren Patienten telefoniert, dem Sohn eines in seinem Land bekannten Unternehmers, der auch politisch engagiert ist, erzählt Boulad.
Er habe den jungen Mann gefragt, was er mache. «Er sagte, er gehe ab und zu im Family-Office arbeiten. Ich fragte: Machst du das gerne? Er antwortete: Irgendetwas muss ich ja tun.» Nichts mache dieser Sohn aus Passion, sagt Boulad. «Es fehlt ihm an Sinn, an einer Aufgabe. Ein erfülltes Leben besteht nicht daraus, jederzeit mit dem Privatjet überallhin fliegen zu können.»
Abdullah Boulad führt durch das 300 000 Quadratmeter grosse Gelände zur zweiten Finca, die ähnlich aussieht wie die erste. Der Wind braust durch die Bäume, sonst ist nichts zu hören. Die Idylle ist laut Boulad schon Teil der Therapie: Ein Manager habe sich kürzlich auf die Wiese gesetzt und 30 Minuten lang Ameisen beobachtet, erzählt die Klientenbetreuerin Moore. «Das hat ihn total entspannt.»
Viele der Klienten sind schwierige Persönlichkeiten, auch aufgrund ihrer Krankheit. Ein schizophrener Patient mit Suchtproblemen sei unkontrollierbar geworden und habe allein um die Insel fahren wollen. Da hätten sie die Therapie abbrechen und ihn in eine Klinik in Zürich überweisen müssen, sagt Boulad. Eine Frau aus einer arabischen Royal-Dynastie behandelte das Personal so schlecht und von oben herab, dass es ebenfalls nicht mehr ging.
Dennoch stellt sich die Frage, ob man nicht versucht ist, einen Patienten unter fast allen Umständen zu halten. Und ob man nicht bei der Therapie Kompromisse macht. Schliesslich geht es um Hunderttausende von Euro. «Die Gesundheit steht immer an erster Stelle, nicht das Business», antwortet die Psychiaterin Boss. Deshalb nehme The Balance auch keine akut suizidalen Personen oder Magersüchtige mit einem zu tiefen BMI auf. «Da können wir die Sicherheit nicht gewährleisten.»
Wie in Zürich die Luxuspsychiatrie erfunden wurde
Mittlerweile ist Boulad auch an den Ort zurückgekehrt, an dem alles angefangen hat: nach Zürich. Sie hätten internationale Kunden, die lieber in die Schweiz wollten, sagt er. «Zürich steht viel stärker für medizinische Topqualität als Mallorca – und auch für Diskretion.» The Balance hat deshalb im letzten Herbst ein Office im Zürcher Seefeld eröffnet. Doch hier gibt es viel Konkurrenz.
Einer, der die Geschichte der Luxus-Rehabs in Zürich geprägt hat, ist Jan Gerber, heute CEO der Paracelsus Recovery. Der schlanke, gross gewachsene Mann bittet in sein Büro am Zürcher Utoquai, zwischen dem Nobelhotel Eden au Lac und dem Opernhaus gelegen. Die Fensterfront gibt den Blick frei auf den Zürichsee.
Gerber sagt von sich, es sei seine Passion, Verständnis zu schaffen für die Leiden wohlhabender Menschen. «Schmerz ist Schmerz, egal wie viel Geld jemand hat oder wie berühmt er ist.»
Es ist inzwischen 15 Jahre her, seit Gerbers Mutter und sein Stiefvater in Küsnacht erstmals einen Patienten nach der Methode behandelten, die man inzwischen als Zürcher Schule der Luxuspsychiatrie bezeichnen könnte. Gerbers Mutter war Pflegefachkraft, sein Stiefvater ein kanadischer Suchtberater.
Dieser lernte in einer englischen Privatklinik einen sehr wohlhabenden Patienten kennen, der sich in der Gruppentherapie deplatziert fühlte: Die anderen Patienten könnten sich schlicht nicht in seine Lage hineinversetzen. Im Gespräch zwischen Patient und Suchtberater kam die Idee für ein Behandlungsprogramm für Superreiche auf: maximal individualisiert und absolut diskret. Eine Marktlücke.
Den ersten Patienten – einen New Yorker Topmanager – quartierten Mutter und Stiefvater kurzerhand im eigenen Gästezimmer in Küsnacht an der Goldküste ein. Und nannten das ganze schlicht Küsnacht Practice.
Gerber, der in London ein Wirtschaftsstudium absolviert hatte, kümmerte sich um die finanzielle Seite des Geschäfts. Es wurde rasch klar, dass die Sache Potenzial hat. Sie gründeten eine Firma. Und wuchsen exponentiell. «Wir waren nicht vorbereitet auf den schnellen Erfolg. Es kam zu Spannungen zwischen uns», erzählt Gerber. Er und seine Mutter stiegen aus und gründeten die Paracelsus Recovery, die praktisch das gleiche Geschäftsmodell hat.
Zürich wurde innert weniger Jahre zu einem Hub der Luxuspsychiatrie. Aus der Küsnacht Practice spalteten sich auch die Küsnachter Calda Clinic und The Balance ab.
Es sei nicht einfach gewesen, das Vertrauen der reichen Kundschaft zu gewinnen, sagt Gerber. Was ihm bei der Paracelsus Recovery geholfen habe, sei die Verpflichtung von Thilo Beck gewesen, einem international renommierten Zürcher Suchtmediziner und Psychiater. Beck passt auf den ersten Blick so gar nicht zu einer Luxusklinik: Er hat sich eigentlich einer komplett anderen Klientel verschrieben.
Der Arzt, der sich um Junkies und Superreiche kümmert
Beck hat ein schmuckloses Büro in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs. Wer zu ihm will, muss durch eine Sicherheitstüre. Im Gang draussen warten Patienten, die vom jahrelangen Drogenkonsum gezeichnet sind, auf ihren Termin. Beck ist hauptberuflich Co-Chefarzt für Psychiatrie im Arud-Zentrum für Suchtmedizin.
Die Arud (Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen) wurde 1991 als medizinische Antwort auf die offene Drogenszene in Zürich gegründet. Das Behandlungsangebot steht allen offen. Seit 30 Jahren kümmert sich Beck aber gerade auch um jene Menschen, die wegen ihrer Drogenabhängigkeit in der Arbeitslosigkeit gelandet sind, die für den nächsten Schuss auf der Strasse betteln oder dealen und die ihre Nächte in Notschlafstellen verbringen. Der Kontrast zu den wohlhabenden Patienten könnte nicht grösser sein. Die einen konsumieren billigen Schnaps und gestrecktes Heroin, während die anderen Zehntausende von Franken für Kokain ausgeben.
Doch Beck stellt auch verblüffende Ähnlichkeiten fest. Beide Gruppen seien sozial stigmatisiert und marginalisiert. «Auch Superreiche und Stars sind eine Art von Randständigen.» Und es gebe bei beiden eine emotionale Verwahrlosung.
Bei den reichen Patienten, die den Wohlstand selbst erschaffen haben, stellt Beck fest, dass sie oft eine selbstzerstörerische Arbeitsethik hätten. «Sie vernachlässigen die Familie, die Freunde und ihre eigene Gesundheit.»
Unter anderen Problemen leiden jene, die in eine reiche Familie hineingeboren wurden. Oft sind die Eltern nicht präsent, die Kinder wachsen mit wechselnden Dienstmädchen auf, bekommen wenig Zuwendung. Und sie stehen unter enormem Leistungsdruck, weil die Familie klare Erwartungen hat, was aus ihnen werden soll. «Rich kids» hätten deshalb ein deutlich höheres Risiko als Personen aus dem Mittelstand, an Angst- oder Essstörungen sowie Depressionen zu erkranken oder drogensüchtig zu werden.
Ihr Vermögen öffne ihnen theoretisch zwar die Türen zu den besten Spezialisten, sagt Beck. «Doch zum Teil sind sie medizinisch schlechter versorgt als unsere Patienten in der Arud.» Sie trauten sich häufig nicht, in eine reguläre Klinik einzutreten, damit die Probleme nicht publik würden.
Häufig sei diese Klientel auch von Schuldgefühlen geplagt. Denn wer alles hat, müsste doch eigentlich glücklich sein. Zudem seien Superreiche und Prominente extrem misstrauisch. Sie hätten kaum eine Chance auf normale Beziehungen: «Sie wissen nie, ob sich jemand wirklich für sie interessiert – oder nur für ihr Geld und ihre Berühmtheit.»
Darum sei es so wichtig, den Millionären und Milliardären als Therapeut auf Augenhöhe zu begegnen, sagt Beck. Diese Herangehensweise entspricht seiner therapeutischen Philosophie, die er beim Junkie und beim Topmanager gleichermassen anwendet. Nur kann er im Luxus-Segment therapeutisch «aus dem Vollen schöpfen».
In einer gewöhnlichen Klinik sehe man den Psychiater oft nur einmal pro Woche, bei Paracelsus und anderen Luxuskliniken seien es drei, vier oder auch fünf Termine, die gerne einmal anderthalb Stunden dauerten. Hinzu kommen die vielen anderen Therapien, die auch auf die körperliche Gesundheit abzielen. Beck ist überzeugt, dass sich diese Intensität und der hohe Individualisierungsgrad lohnen. In wenigen Wochen könne man so Ergebnisse erzielen, die sich sonst erst nach Monaten oder gar nach Jahren einstellen.
«Natürlich haben auch wir keinen Zauberstab», sagt er. Die Therapie könne nur gelingen, wenn der Patient bereit sei für eine Veränderung. Aber wenn sich das Potenzial zeige, könne man es voll nutzen. Bei seinen Patienten in der Arud hat er diese Möglichkeiten nicht. Dafür fehlen die Mittel – auch wenn das Schweizer Gesundheitswesen vergleichsweise üppig ausgestattet ist.
Am Anfang seiner Zeit bei der Paracelsus Recovery hätten ihn die ungleichen Möglichkeiten belastet, sagt Beck. Er habe lernen müssen, das zu akzeptieren. «Menschen mit mehr Mitteln können sich mehr leisten, das war stets so und wird auch so bleiben.»
Schweizer Psychiater kritisiert «völlig überrissene Preise»
Einer, der das Phänomen der Luxuspsychiatrie sehr kritisch sieht, ist Toni Berthel. Der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin hat Mühe damit, dass suggeriert werde, eine Heilung in einem Monat sei möglich. Er spricht von «Hochintensiv-Psychofitness» und einer «Machbarkeitsillusion».
Schwere Essstörungen oder Suchterkrankungen seien chronifizierte Krankheiten, die aus Enttäuschungen oder schlimmen Erfahrungen resultierten und oft zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen aufträten, sagt Berthel. Man könne sie nicht einfach rausoperieren wie einen entzündeten Blinddarm. «Sein Leben zu ändern, ist ein langer und schmerzhafter Prozess. Die harte Arbeit beginnt erst nach einem Entzug.»
Deshalb sind für ihn die Luxuskliniken in erster Linie «Geldmaschinen». Eine der Institutionen habe ihn einst angefragt, ob er als Psychiater für sie tätig sein wolle. Das wäre lukrativ gewesen, er hätte mehr als doppelt so viel verdient wie in seiner normalen Tätigkeit als Psychiater. Doch er lehnte ab.
«Als Arzt, der sich in der Grundversorgung engagiert und täglich sieht, wie schwierig es ist, überhaupt Therapieplätze für Suchtkranke zu finden, finde ich es befremdlich, dass man aus dem Leid von Menschen Profit schlägt – auch wenn sie sehr reich sind», sagt Berthel.
Auf solche Kritik entgegnet Abdullah Boulad: «Ich bin keine Mutter Theresa, auch wenn ich Menschen helfen will. Ich bin in dieser Branche, um ein profitables Unternehmen zu betreiben.» Die hohen Preise seien indes gerechtfertigt durch die personalintensive Betreuung, die exklusiven Unterkünfte und die Nachsorge, die im Paket enthalten seien.
Der Aufenthalt auf Mallorca diene meist der Stabilisierung und sei nur die erste Etappe auf dem Weg zur Besserung. Die Therapeuten bleiben dann noch einige Wochen lang über Video-Calls mit dem Patienten in Kontakt, manchmal geht sogar der Personal Manager für einige Zeit mit dem Patienten nach Hause mit.
Nach ein paar Wochen in The Balance ist niemand, der an schweren Depressionen leidet oder ein massives Suchtproblem hat, kuriert. Das würde auch Boulad nicht versprechen. «Wir sind keine Garage, die nach einem Radwechsel eine Garantie abgeben kann.» Bringt eine Behandlung bei The Balance immerhin eine höhere Chance für eine nachhaltige Besserung? «Ja, das würde ich behaupten – auch wenn ich es nicht mit Zahlen belegen kann», sagt Boulad.
Ein zentraler Punkt ist aus seiner Sicht aber die Alternativlosigkeit: Bekannte Politiker oder Musikstars könnten sich schlicht nicht in eine gewöhnliche Klinik einweisen lassen. «Auch wären Gruppentherapien mit ‹normalen› Menschen schwierig, weil Superreiche in einer ganz anderen Welt leben und man wohl aneinander vorbeireden würde.»
Solche Punkte kann Kritiker Berthel nachvollziehen. Aber das sei noch keine Rechtfertigung für «völlig überrissene» Preise. Ein Koch in einer Klinik müsse psychisch kranken oder süchtigen Menschen gesundes Essen auf den Tisch bringen, keine Luxusmenus. Und Yoga, Massagen und die vielen weiteren Behandlungen, so sinnvoll diese sein mögen, könne man auch nicht den ganzen Tag lang machen.
Jan Gerber von der Paracelsus Recovery räumt ein, dass sich in diesem Geschäft durchaus Geld verdienen lasse, wenn man es richtig mache. Aber auch bei ihnen habe es schon Jahre mit roten Zahlen gegeben. Die Villen und Penthouse-Suiten müssen bezahlt werden, auch wenn die Patienten ausbleiben, genauso wie das Personal. Ein paar Patienten mehr oder weniger können am Ende den Unterschied machen zwischen Gewinn und Defizit.
Günstiger sei die intensive Behandlung mit Rundum-Service und Luxusunterkunft deshalb kaum zu erbringen, sagt Gerber. Bei skeptischen Kunden bringe er immer das gleiche Beispiel: Die Top-Suite im Dolder kostet pro Tag 14 500 Franken, das macht pro Monat 435 000 Franken. Da sei aber kein eigener Koch dabei, kein eigener Chauffeur – und schon gar keine medizinische Behandlung. «So gesehen ist unser Angebot fast schon günstig.»
150 000 Pfund für die Vermittlung von George Michael
Klassische Werbung funktioniert bei dieser exklusiven Klientel kaum, die Luxuskliniken setzen deshalb bei der Kundenakquise auf Mundpropaganda. Oder auf gute Kontakte zu Ärzten, die Superreiche behandeln. Nicht immer läuft das sauber ab.
Vor einigen Jahren deckte die britische Zeitung «Sunday Times» auf, dass Kliniken Psychiater dafür bezahlt hatten, ihnen Klienten zu vermitteln. Verwickelt in den Skandal war damals auch die Küsnacht Practice. Einem Arzt soll die Klinik 2015 mindestens 150 000 Pfund überwiesen haben – für die Vermittlung von George Michael. Der drogensüchtige Pop-Star blieb gleich sechs Monate in der Küsnacht Practice.
Laut ehemaligen Mitarbeitern der Klinik, die im Artikel nicht namentlich genannt werden, ist es sonst üblich gewesen, pro Patient 25 000 Franken zu vergüten. Gerade im Geschäft mit Londoner High-Society-Ärzten seien solche Methoden verbreitet gewesen. Und das, obwohl Kickback-Zahlungen in Grossbritannien verboten sind.
Die Verantwortlichen der Küsnacht Practice sagten damals, dass sie nie gegen Gesetze verstossen hätten, stritten die Zahlungen aber nicht explizit ab. Tatsächlich räumte auch einer der Ärzte ein, dass er Zahlungen der Klinik erhalten habe, nachdem die Reporter der «Sunday Times» ihm entsprechende Abrechnungen der Klinik vorgelegt hatten.
Der Artikel erschien 2018, da war Abdullah Boulad schon nicht mehr CEO der Küsnacht Practice. Kickback-Zahlungen müssen aber auch in seiner Zeit in der Chefetage 2016/17 üblich gewesen sein. Heute sagt er dazu, er habe sich an all seinen Wirkungsstätten stets für ethisch einwandfreies Verhalten eingesetzt. Und das halte er auch bei The Balance so. «Wir bezahlen niemandem für die Übermittlung von Kunden, das wäre vollkommen gegen unsere Prinzipien.»
Gleichwohl ist der Konkurrenzkampf um die einträglichen Patienten hart. Doch Boulad ist davon nichts anzumerken, wenn er auf der besonnten Terrasse über dem Jachthafen von seinen Ablegern in Marbella und London erzählt. Von weiteren Expansionsplänen. Von Ideen für eine «Budget»-Version der Luxuspsychiatrie – «nur» 150 000 Euro im Monat – die er auch in Zürich anbieten will. Diesen Schritt will er nicht etwa gehen, weil er nicht mehr genug superreiche Kunden für sein Angebot findet. Sondern, weil er damit noch mehr Patienten helfen könne.
The Balance nennt er den innovativsten Betrieb der Branche. Und den flexibelsten: «Wir sind wie ein Luftballon», sagt er. Der Betrieb lasse sich schnell aufblasen, wenn’s laufe. Falls nicht, könnten sie die Luft auch rasch wieder ablassen. Die meisten seiner rund 120 Mitarbeiter sind nicht fest angestellt. Und die Unterkünfte nur gemietet.
In Zürich ist der Luftballon bis jetzt noch ziemlich leer. Seit dem Start im Herbst konnte The Balance hier erst einen Patienten betreuen.